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INTERVIEW/235: Das harte Brot der Diplomaten - Botschafterin Dr. Khouloud Daibes antwortet ... (SB)


Interview mit der Botschafterin Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland



Seit Juli 2013 hat Dr. Khouloud Daibes das Amt der Botschafterin Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland inne. Zum Jahresbeginn 2012 wurde der Status der Generaldelegation Palästinas zu dem einer Diplomatischen Mission mit Sitz in Berlin aufgewertet. Dr. Daibes, die ihre akademische Ausbildung in der Bundesrepublik absolvierte, von 2007 bis 2012 palästinensische Ministerin für Tourismus und Altertümer sowie von 2007 bis 2009 palästinensische Frauenministerin war, beantwortete dem Schattenblick einige Fragen zu den Grundlagen und Lösungsperspektiven des aktuellen Konflikts zwischen Israel und Palästina. Sie wurden ihr schriftlich zugestellt und spiegeln den Stand der sich schnell verändernden Ereignisse vom 4. August 2014.

Offizielles Bild der Botschafterin der Webseite der Palästinensischen Mission - Foto: © Palästinensische Mission

Dr. Khouloud Daibes
Foto: © Palästinensische Mission

Schattenblick: Frau Botschafterin, die Bundesregierung hat das Recht Israels auf Selbstverteidigung auch im jüngsten Konflikt vorbehaltlos anerkannt. Wie verhält es sich mit der Anerkennung des dementsprechenden Rechtes der Palästinenser durch die deutsche Regierung?

Botschafterin: Grundsätzlich haben alle Völker das Recht, sich zu verteidigen. Israels Krieg im Gaza-Streifen ist weder ein Fall von Selbstverteidigung noch ist es ein Krieg zwischen benachbarten Ländern. Israel ist eine Besatzungsmacht. Der Gaza-Streifen ist Bestandteil des Staates Palästina und wird seit 46 Jahren von Israel unter Verstoß gegen das Völkerrecht okkupiert. Das internationale Recht verbietet einer Besatzungsmacht, die Anwendung von Waffengewalt gegenüber einer Bevölkerung in einem von ihr besetzten Gebiet. Deshalb kann Israel sich nicht auf Art. 51 der UN-Charta, das sog. Recht auf Selbstverteidigung, berufen. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass Israel nicht ein Gebiet besetzen kann und gleichzeitig leugnen, dass die dort lebende palästinensische Bevölkerung sich selbst regiert und sich schützt, während es diesem Gebiet zugleich den Krieg erklärt.

SB: Die israelische Regierung will nicht mit der Hamas in Verhandlungen treten und behält die militärischen Angriffe auf den Gazastreifen bei. Was wäre zu tun, um diese festgefahrene Situation in Bewegung zu bringen und das Ziel der Aufhebung der Blockade des Gazastreifens zu erreichen?

Botschafterin: Die PLO ist die legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes und damit auch die Verhandlungsführerin.

SB: Wie beurteilen Sie die Rolle der Europäischen Union in diesem Konflikt? Hätte sie Ihrer Ansicht nach die Möglichkeit, als Vermittlerin aufzutreten oder die israelische Regierung zugunsten einer langfristigen Lösung zur Einstellung der Siedlungsaktivitäten auf palästinensischem Gebiet zu drängen?

Botschafterin: Wir würden ein aktiveres politisches Engagement der EU ausdrücklich begrüßen. Was die Siedlungen betrifft, hat die EU eine klare Haltung dazu: Die Siedlungen sind völkerrechtswidrig und eines der Haupthindernisse der Zwei-Staaten-Lösung. Die EU-Richtlinien für Stipendien, Preise und finanzielle Instrumente, die seit 1. Januar 2014 in Kraft sind, stellen einen ersten, wichtigen Schritt in diese Richtung dar. Tatsächlich muss jedoch weitaus mehr getan werden, um sicherzustellen, dass die Länder konform mit der EU-Politik und dem Völkerrecht weder direkt noch indirekt Israels Siedlungsaktivitäten unterstützen.

SB: US-Außenminister John Kerry hat sich bislang vergeblich bemüht, die israelische Regierung zu Zugeständnissen an die Adresse der Palästinenser zu bewegen. Halten Sie es überhaupt für möglich, daß eine Regierung, die den israelischen Streitkräften Panzergranaten für den Beschuß des Gazastreifens liefert und im UN-Sicherheitsrat gegen Israel gerichtete Resolutionen blockiert, in diesem Konflikt als ehrlicher Makler tätig wird?

Botschafterin: US-Außenminister John Kerry und sein Team zeichneten echte und intensive Bemühungen während der letzten neunmonatigen Verhandlungsrunde aus. Unabhängig vom Mediator erfordern jedoch Verhandlungen auch klare Parameter, gestützt vom Völkerrecht sowie die Möglichkeit der Umsetzung eines Abkommens.

SB: Die Regierung Ägyptens beteiligt sich daran, den Gazastreifen hermetisch abzuriegeln, und verfolgt die Muslimbruderschaft, der die Hamas historisch und ideologisch nahesteht, als politischen Gegner. Ist die Regierung in Kairo dennoch als unparteiische Vermittlerin geeignet?

Botschafterin: Aus vielen Gründen, etwa historischen, geografischen und politischen Gründen, ist die Rolle Ägyptens im gesamten Nahen Osten unverzichtbar. Ägypten hat gute Beziehungen zu allen Ländern in der Region.

SB: Für Israels Regierung handelt es sich bei den militärischen Aktivitäten der Hamas ausnahmslos um Terrorismus. In deutschen Medien ist unter Verweis auf die Charta der Partei immer wieder der Vorwurf zu vernehmen, daß die Hamas die Vernichtung Israels beabsichtige. Welche Position vertritt die palästinensische Autonomiebehörde dazu?

Botschafterin: Die PLO ist die alleinige Vertreterin des palästinensischen Volkes und Verhandlungsführerin. Mit der Einigung für die Bildung der jetzigen Konsensregierung nähert sich Hamas dem politischen Programm der PLO.

SB: Die Behauptung, die Hamas missbrauche die Zivilbevölkerung im Gazastreifen als menschliche Schutzschilde, legitimiert die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf diese. Halten Sie das Argument für stichhaltig und wenn nicht, wie könnte man es entkräften?

Botschafterin: Seit dem Angriff auf Gaza im Jahr 2008 kommen diese falschen Äußerungen wiederholt von israelischen Verantwortlichen. Internationale Untersuchungen haben schon in der Vergangenheit gezeigt, dass diese Behauptungen unwahr sind. Im Rahmen der jüngsten Gewalteskalation gegen den Gaza-Streifen sind viele unbestrittene Fälle von Tötungen palästinensischer Zivilisten dokumentiert, die nicht in der Lage waren, sog. "menschliche Schutzschilde" zu sein. Dazu gehören auch die vier Kinder, die am Strand beim Fußballspielen am 16. Juli von Israel getötet wurden. Dazu gehören auch die 15 Zivilisten in einer UN-Schule, die in dieser Notunterkunft am 24. Juli durch Bombardements ermordet wurden. Dazu gehören auch die acht Kinder, die am 28. Juli, dem ersten Feiertag Eid Al-Fitr, auf dem Spielplatz getötet wurden.

SB: Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat erklärt, die Offensive der israelischen Streitkräfte bis zur völligen Entwaffnung des Gazastreifens fortsetzen zu wollen. Wäre es Ihrer Ansicht nach eine politische Option, der Durchsetzung dieses Ziels durch die Entmilitarisierung der Hamas und anderer militanter Kräfte vorzugreifen, um schlimmeres Leid der Zivilbevölkerung zu verhindern?

Botschafterin: Unsere oberste Priorität ist es, das Leiden der palästinensischen Bevölkerung zu lindern. Dieser Krieg kann nicht militärisch gelöst werden, sondern nur eine politische Lösung wird eine dauerhafte Lösung sein, d.h. die Beendigung der Blockade des Gaza-Streifens und die Beendigung der Besatzung. Nur dieser Weg wird verhindern, dass sich diese schreckliche Tragödie wiederholt.

SB: Fast die Hälfte des Gazastreifens wurde zwischenzeitlich zum Operationsgebiet der israelischen Streitkräfte erklärt, aus dem sich die Zivilbevölkerung zu ihrem eigenen Schutz zurückziehen sollte. Zudem überlegt die israelische Regierung, zum Schutz ihrer Bevölkerung eine drei Kilometer breite Sperrzone innerhalb des Gazastreifens zu schaffen, die das für die palästinensische Bevölkerung nutzbare Gebiet um ein Drittel verkleinerte. Gleichzeitig werden die Lebensbedingungen der Bevölkerung immer untragbarer. Könnte diese Entwicklung langfristig auch auf den Versuch einer Annexion des Gebietes durch Israel hinauslaufen?

Botschafterin: Dazu sind mir keine Informationen bekannt und ich werde nicht darüber spekulieren. In der Vergangenheit haben sich hochrangige israelische Regierungsmitglieder offen geäußert, 61% der Westbank zu annektieren. Diese Aussagen sprechen mit Blick auf die Bereitschaft zur Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung für sich.

SB: Die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung unter Beteiligung der Hamas und Fatah sollte den Schlußstrich unter das innerpalästinensische Zerwürfnis ziehen, das das Westjordanland und den Gazastreifen in zwei separate politische Entitäten verwandelte. Für wie belastbar halten Sie dieses Bündnis in Anbetracht des gegen die Hamas erhobenen Vorwurfes, eine terroristische Organisation zu sein?

Botschafterin: Die innere politische Einheit des palästinensischen Volkes ist von existentieller Bedeutung. Die Bildung der neuen Einheitsregierung ist ein erster wichtiger Schritt, den Israel mit diesem Krieg gegen den Gaza-Streifen torpedieren wollte.

SB: Besteht die Gefahr, daß die palästinensische Jugend sich aufgrund der Aussichtslosigkeit ihrer Situation zu einer dritten Intifada erhebt?

Botschafterin: Je mehr Druck die israelische Besatzung ausübt, je aussichtsloser werden auch die Perspektiven, nicht nur für die jungen Palästinenser, sondern für alle. Lassen Sie mich an dieser Stelle erneut betonen, dass wir dem Besatzer einen zivilen und unbewaffneten Widerstand leisten.

SB: Der immer noch gültige Vertrag von Oslo hat die in ihn gesetzte Hoffnung der Palästinenser auf Eigenstaatlichkeit nicht erfüllt, sondern einen modus vivendi mit Israel etabliert, der der Besatzungsmacht den Vorteil verschafft, ihre Siedlungen ausbauen zu können, ohne auf wirksamen Widerstand zu stoßen. Wäre es Ihrer Ansicht nach sinnvoll, diesen Vertrag aufzukündigen und eine vorteilhaftere Vertragsgrundlage mit Israel auszuhandeln, auch wenn dies noch keine Eigenstaatlichkeit mit sich brächte?

Botschafterin: Diese Frage ist nicht einfach eine von Verträgen, sondern vielmehr ihrer Umsetzung. Israel ist seinen Verpflichtungen in den letzten 20 Jahren nicht nachgekommen, hat keine Vereinbarung eingehalten und verletzt viele UN-Resolutionen. Israel muss sich an völkerrechtliche Prinzipien halten und die 46-jährige Besatzung Palästinas beenden.

SB: Es mehren sich die Stimmen, die das schon aus territorialen Gründen immer unwahrscheinlicher werdende Modell der Zwei-Staaten-Lösung zugunsten eines Staates für alle im historischen Palästina lebenden Menschen verwerfen. Wie stehen Sie zu diesem Konzept? Was spricht dafür und was dagegen?

Botschafterin: Jede Lösung muss jedem, der in diesem Land lebt, die gleichen Rechte und Freiheiten garantieren. Die Zwei-Staaten-Lösung, über die internationaler Konsens besteht, hat keine Alternative außer einem Staat mit zwei Systemen - die Apartheid.

SB: Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge gilt aus palästinensischer Sicht bislang als unverhandelbar, obwohl für die Realisierung dieses Vorhabens de facto kaum noch eine Grundlage besteht. Wieso wird dennoch daran festgehalten?

Botschafterin: Das Rückkehrrecht ist ein individuelles, unveräußerliches Recht, das im UN- Beschluss Nr. 194 verankert und fester Bestand eines dauerhaften Friedens ist.

SB: Sie vertreten auch das Interesse der palästinensischen, auf etwa 50.000 Personen geschätzten Gemeinde in der Bundesrepublik an der Etablierung palästinensischer Eigenstaatlichkeit. Wieso positionieren sich die hier lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser nicht auf eine Weise, die in der Öffentlichkeit als eigene Stimme der Exilgemeinde wahrgenommen würde?

Botschafterin: Seit 1948 lebt die Mehrheit der Palästinenser in verschiedenen Ländern der Welt im Exil, was ihre Vielfältigkeit und unterschiedlichen politischen Ansichten, darunter auch in Deutschland lebende Palästinenser, erklärt.

SB: Zum Abschluß eine etwas persönliche Frage: Geschieht es Ihnen öfters, daß Sie, wie unlängst in einer Diskussionssendung des Deutschlandfunk geschehen, mehrfach darauf insistieren müssen, mit ihrem offiziellen Titel als Botschafterin angesprochen zu werden, ohne daß sich der zuständige Moderator für dieses Versäumnis entschuldigt?

Botschafterin: Sobald Deutschland Palästina als souveränen Staat anerkennt, erübrigt sich diese Frage.

8. August 2014