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INTERVIEW/256: Die andere Türkei - Zukunftspartner ...    Yavuz Fersoglu im Gespräch (SB)


Die HDP wird die außerparlamentarische Opposition in der Türkei mit aufbauen und stärken

Interview mit Yavuz Fersoglu, Sprecher des Deutsch-Kurdischen Kulturvereins in Hamburg

Pressekonferenz der Initiative zur Unterstützung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Hamburg-Altona am 12. April 2015

Y. Fersoglu in Großaufnahme - Foto: © 2015 by Schattenblick

Yavuz Fersoglu
Foto: © 2015 by Schattenblick

In Hamburg wie in vielen anderen deutschen Städten wird seitens kurdischer und linker Organisationen, Parteien, Vereine und Initiativen für die am 7. Juni in der Türkei bevorstehenden Parlamentswahlen mobilisiert, um hier lebende Stimmberechtigte aufzuklären und anzuregen, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen und mit der HDP eine Partei zu wählen, die für eine fundamentale Demokratisierung der gesamten Türkei wie auch eine politische Lösung der Kurdenfrage gleichermaßen eintritt. Vielen Akteuren ist es gleichermaßen ein Anliegen, angesichts der langjährigen Beziehungen zwischen deutschen und türkischen Regierungen und dem nicht zu vernachlässigenden Einfluß westlicher Staaten, der sich allein schon aus der NATO-Mitgliedschaft der Türkei ergibt, die kritische Öffentlichkeit hierzulande über Zusammenhänge aufzuklären, die sich zu der Frage zuspitzen ließen, inwieweit nicht auch der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft eine politische Mitverantwortung für die in so vielerlei Hinsicht repressiven Verhältnisse in der Türkei zukommen könnte.

An der Eröffnung eines Kontakt- und Informationsbüros der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in den Räumen der Altonaer Linkspartei [1] nahm auch Yavuz Fersoglu, Sprecher des Deutsch-Kurdischen Kulturvereins, teil. Er wurde in Nordkurdistan (Türkei) geboren und hatte in der Türkei für die linke Tageszeitung Özgür ündem sowie im Menschenrechtsverein IHD gearbeitet. 1992 beantragte er politisches Asyl in Deutschland und setzt seine publizistische Arbeit fort. Zunächst in Stuttgart, dann in Hamburg engagierte er sich in verschiedenen Initiativen wie zum Beispiel dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg sowie in türkisch-kurdischen Vereinen. Sein Studium an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) schloß er im Dezember 2003 als Diplom-Jurist im Arbeits- und Wirtschaftsrecht zur EU-Gesetzgebung ab. Im Mai 2000 trat er der PDS bei, von April 2002 an war er vier Jahre lang Landessprecher der PDS bzw. PDS.die Linke.

Die Schwerpunkte seiner politischen Arbeit im Landesverband der Partei Die Linke in Hamburg liegen in der Friedens-, Migrations- und Sozialpolitik. Im Anschluß an die Pressekonferenz anläßlich der Eröffnung des HDP-Kontaktbüros konnte der Schattenblick die Gelegenheit nutzen, mit Herrn Fersoglu über die bevorstehende Parlamentswahl und seine Einschätzungen der innenpolitischen Lage in der Türkei, aber auch die aktuellen Entwicklungen in der kurdischen Bewegung zu sprechen.


An der Eingangstür angebrachtes Wahlplakat mit der Aufschrift 'Für ein freies Leben gib deine Stimme an HDP' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wahlplakat der HDP an der Eingangstür des Altonaer Büros der Partei Die Linke
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Heute wurde hier im Büro der Altonaer Linkspartei ein Kontakt- und Informationsbüro der HDP eröffnet, um deren Wahlkampf in Hinblick auf die am 7. Juni in der Türkei bevorstehenden Parlamentswahlen zu unterstützen. Diese Kampagne ist natürlich auch auf die kurdische Community in Hamburg gerichtet. Worum geht es dabei im einzelnen?

Yavuz Fersoglu (YF): Zum einen ist jetzt neu, daß die Kurdinnen und Kurden wie auch die Türkinnen und Türken von hier aus wählen können, also in der türkischen Politik Mitspracherecht haben. Da muß man natürlich aufpassen, daß die türkisch-stämmigen Migranten oder Kurden nicht nur als Stimmvieh gesehen werden, sondern wirklich auch an der politischen Gestaltung der Türkei mitwirken können. Ein Problem ist, daß sie zum Beispiel hier nicht das Recht haben, Kandidaten aufzustellen. Das muß dahingehend geändert werden, daß auch von hier aus Menschen kandidieren und ins Parlament gewählt werden können. Es ist wichtig, daß die Menschen, die aus ihrer Heimat hierherkommen, auf diese Weise Einfluß auf die politische Entwicklung in der Türkei nehmen können.

Das ist ein demokratischer Prozeß, der sich auch auf die Menschen hier auswirkt. So kann eine gegenseitige Beeinflussung stattfinden, und das ist begrüßenswert. Viele Menschen, die als Flüchtlinge hierhergekommen sind, haben zum ersten Mal die Möglichkeit zu wählen. In den letzten 30, 20 oder 10 Jahren - je nachdem, wie lange diese Menschen schon hier leben - hatten sie diese Möglichkeit nicht. Sie sind aber als politische Menschen aus ihrem Land geflohen. Das ist also ein sehr begrüßenswerter Schritt, aber er reicht nicht aus. Es muß ihnen auch die Möglichkeit eingeräumt werden, direkt zu kandidieren.

Ich glaube schon, daß man auch von hier aus ein bißchen Einfluß darauf nehmen kann, daß die HDP als eine demokratische Partei in der Türkei gewählt wird. Denn wenn die HDP ins Parlament kommt, hat die AKP nicht mehr die große Mehrheit, die für Verfassungsänderungen erforderlich ist. Sie braucht dann die Unterstützung eines zweiten Partners. Erdogan will ja bekanntlich seine Macht ausbauen und wieder so eine Art Kalifat oder Sultanat in der Türkei einführen. Wenn die HDP jetzt die 10-Prozent-Hürde schafft, ist das gefährdet wie auch in Frage steht, ob die AKP überhaupt allein die Regierung stellen kann. Ich denke, daß dieser Prozeß auch Deutschland und die Europäer betrifft. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU sind ins Stocken geraten in den letzten Jahren, die AKP macht da nichts mehr. Eine Friedenspartei, die radikale demokratische Forderungen aufstellt, könnte wieder ein Partner für Deutschland, für die Menschen in Deutschland und für die EU sein.

SB: Es ist ja ein Manko, daß aus deutscher Sicht bislang keine Partei in der Türkei vorhanden war, von der die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gesagt hätte: Das ist eine Kraft, die wir positiv finden. Man hat eigentlich immer nur Erdogan gesehen, aber die übrigen Parteien kaum wahrgenommen.

YF: Erdogan kommt aus einer islamischen Tradition. Er hat die Demokratie in der Türkei für seine Zwecke ausgenutzt, um die Islamisierung des Landes voranzutreiben. Meines Erachtens ist Erdogan, das hat man beim IS gesehen, fundamentalistisch. Er unterstützt islamistische Kräfte, auch radikale. Er ist der Partner der ägyptischen Islam-Bruderschaft. Erdogan ist die Kraft im Nahen Osten, die die sunnitische Achse ausbaut, insofern ist er rückwärts- und nicht vorwärtsgewandt. Die CHP ist ebenfalls eine nationalistische Partei und hat eine kemalistische Tradition [2], die Grauen Wölfe sind eine faschistische Partei. In der Türkei gab und gibt es bisher keine wirklich demokratische Partei.

Immer wenn demokratische Kräfte in der Türkei gestärkt worden sind, hat das Militär - alle 10, 15 Jahre - geputscht. Sie haben dann jegliche demokratische Alternative niedergeschlagen, die Menschen in die Kerker geworfen und so weiter. Auch die heutige Verfassung der Türkei stammt noch vom Militärputsch von 1980. Die Demokratie in der Türkei durchzusetzen, ist enorm schwer. Zum ersten Mal stellt sich mit der HDP eine demokratische Partei zur Wahl, die nicht nur die Minderheiten, sondern auch die Menschen, die verschiedene Lebensweisen haben, in sich vereint und die radikale demokratische Forderungen aufstellt. Ich denke schon, daß sie auch ein Partner für emanzipatorische Kräfte hier in Europa sein könnte.

SB: Erdogan strebt eine Art "Präsidial-Demokratie" - in Anführungszeichen - an. Bräuchte er dafür eine Zweidrittel-Mehrheit, um die Verfassung zu ändern?

YF: Er bräuchte 400 von 550 Abgeordneten, um das direkt über das Parlament machen zu können, also eine Zweidrittel-Mehrheit, oder 330 Mandate, um ein Referendum durchführen zu lassen. Das ist fraglich, wenn die HDP ins Parlament kommt. Er braucht 276 Abgeordnete seiner Partei, um die Regierung zu stellen, und auch das ist ungewiß, wenn die HDP drin ist. Und wir werden alles dafür tun, damit sie das schafft.

SB: Es wurde vorhin schon angesprochen, daß die HDP ein gewisses Risiko eingeht, indem sie versucht, die 10-Prozent-Hürde zu überwinden. Was würde passieren, wenn sie das nicht schaffen würde, würde sie die Direktmandate, die sie im Moment noch hat, verlieren?

YF: Das ist natürlich ein gewisses Risiko. Aber ich denke, daß es lohnenswert ist, damit sich die demokratischen Kräfte im türkischen Parlament etablieren und den Demokratisierungsprozeß voranbringen können. Dabei darf man nicht vergessen, daß das Parlament nur die eine Seite ist. Die andere ist die Straße beziehungsweise die gesamte Opposition, die es in der Türkei neben dem Parlament als eine zweite Opposition gibt. Natürlich wird die HDP, wenn sie reinkommt, aber auch, wenn dies nicht geschieht, mit der Opposition zusammenarbeiten und sie stärken.

Und es gibt eine starke kurdische Bewegung in der Türkei, mit der die HDP, auch wenn sie nicht ins Parlament kommen sollte, zusammenarbeiten wird. Genauso wird sie auch im Westen der Türkei mit der Opposition, also mit den linken und emanzipatorischen Kräften, die Demokratisierungsprozesse in der Türkei auch außerhalb des Parlaments vorantreiben können. Es ist also ein Risiko, aber diese 30 Abgeordnetenmandate sind auch nicht alles. Es geht nicht allein um die parlamentarische Arbeit. Sollte die HDP nicht reinkommen, wird sie in den nächsten vier Jahren die außerparlamentarische Opposition in der Türkei mit aufbauen und stärken. Diese Aufgabe hat die HDP sowieso, ob sie nun im Parlament ist oder nicht.

SB: Die HDP wäre demnach als eine gemeinsame Plattform sowohl für die Kurdinnen und Kurden, aber auch für andere Menschen in der Türkei zu verstehen?

YF: Das ist die Idee jetzt. Weil die Kurden als lebendige Opposition in der Türkei stark sind, sind natürlich viele von ihnen in der HDP, aber genauso sind die übrigen Minderheiten in ihr vertreten - also Griechen, Roma, Armenier, Assyrer und Jesiden -, wie auch Gewerkschafter, linke Organisationen und Menschenrechtsaktivisten. Die HDP ist also nicht nur eine kurdische Partei. Es gibt eine andere kurdische Partei, die zugunsten der HDP nicht kandidiert. Das muß man auch klar so sagen.

SB: Wäre Ihrer Meinung nach die Frage völlig abwegig, wenn es jetzt zu einem großen Wahlerfolg der HDP und einer, nennen wir es einmal so, erdrutschartigen Veränderung im Parlament kommen würde, ob es zu einem erneuten Eingreifen des Militärs kommen könnte, weil die Interessen der herrschenden Kräfte dadurch stark beeinträchtigt wären?

YF: Es ist ja so, daß Erdogan sich schon jetzt vor den Wahlen mit den Militärs verbündet hat. Vor drei, vier Jahren wurden ehemalige Generäle verhaftet, weil sie angeblich einen Putschversuch gegen Erdogans Regierung unternommen hatten. Erdogan hat sich dafür entschuldigt und gesagt, so etwas wird nie wieder passieren. Er selbst hat vor den Generälen gesprochen. Daraufhin haben die zum ersten Mal seit fünf Jahren eine Presseerklärung abgegeben, in der es hauptsächlich gegen die kurdische Bewegung ging. Die Kräfteverhältnisse sind natürlich schwer einzuschätzen. Es war immer so, wenn die Opposition in der Türkei gestärkt wurde und die herrschenden kemalistischen Kräfte gesehen haben, daß sie die Führungsrolle verlieren, daß sie dann angegriffen haben. Jetzt haben wir einen Prozeß, bei dem die Islamisten in der Türkei gestärkt und die Kemalisten ein bißchen zurückgedrängt worden sind.

Ich denke nicht, daß die Gefahr eines Militärputsches gegenwärtig in der Türkei groß ist. Ich glaube, daß die Islamisten oder Erdogan mit den Militärs eher andere Provokationen unternehmen werden, um die HDP zu schwächen. Gerade vor den Wahlen ist damit zu rechnen, daß vielleicht der Friedensprozeß in Kurdistan ins Stocken gerät beziehungsweise militärische Auseinandersetzungen stattfinden, aus denen dann die nationalistischen, islamistischen Kräfte der Türkei einen Nutzen ziehen können. Diese Gefahr schätze ich jetzt als größer ein als die eines Militärputsches, weil der auch nicht mehr der Doktrin der NATO entsprechen würde und auch nicht der des türkischen Militärs.


Yavuz Fersoglu während des Interviews - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Gefahr gezielter Provokationen gegen die HDP ist größer als die eines Militärputsches
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: In den zurückliegenden Jahren gab es mehr oder weniger heftige innenpolitische Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der sogenannten Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Wirkte sich das auch auf die kurdische Bewegung aus?

YF: Die Fethullah-Gülen-Bewegung ist islamistisch, aber auch nationalistisch, zumindest nationalistischer als die AKP. Es war die Bewegung, die die AKP mit aufgebaut hatte und mit der sie ein Stück des Weges gemeinsam gegangen war und die - nach Erdogans Angaben - sowohl die Polizei als auch die Justiz unterwandert hatte. Nachdem Erdogan seine absolute Macht ausgebaut hat, wollte er die Macht mit ihr nicht teilen und hat sie dann an den Rand gedrängt. In den gegenwärtigen Machtverhältnissen ist sie nicht so stark, daß sie selbständig etwas machen können. Erdogan sagt jetzt zum Beispiel - der Geheimdienst sagt das auch -, daß Gülen-Kräfte dieses Mordattentat in Paris auf die drei kurdischen Frauen ausgeübt hätten. [3] In den Friedensgesprächen wurde behauptet, es sei die Gülen-Bewegung gewesen, die die KCK-Verhaftungen [4], also die gegen die kurdische Opposition, organisiert hätte. Es waren ja über 8000 Menschen, die vor vier bis fünf Jahren verhaftet wurden und im Gefängnis saßen. Erdogan nutzt sie in gewisser Weise inzwischen auch für sich als Feind. Ich glaube nicht, daß die Gülen-Bewegung gegenwärtig in der Türkei so stark ist, daß sie eine Gefahr darstellen könnte.

SB: Da Sie gerade die KCK-Operationen angesprochen haben: Wie ist denn die Lage der Menschen, die damals verhaftet wurden, heute? Sind sie immer noch in Haft?

YF: Nein. Mit der Einleitung des Friedensprozesses wurden sie nach und nach freigelassen, auch die Verfahren sind eingestellt worden. Die Menschen sind inzwischen alle wieder in Freiheit. Das war ein Ergebnis der Friedensgespräche.

SB: Welche Perspektiven und Erwartungen verknüpfen Sie heute mit den Friedensgesprächen?

YF: Für die kurdische Bewegung sieht es nicht so aus, daß die Erdogan-Regierung oder die Herrschenden in der Türkei zu einer wirklichen Lösung bereit sind. Das haben die letzten drei Jahre gezeigt. Aber es gibt trotzdem für die kurdische Bewegung keinen Grund, deswegen jetzt wieder den bewaffneten Kampf zu beginnen. Sie hat für sich geklärt, daß sie in der Türkei den Kampf mit politischen Mitteln fortsetzen und die Regierung so unter Druck setzen will. Die Erdogan-Regierung sagt zwar auch immer, daß sie fest entschlossen sei, diese Gespräche fortzusetzen. Aber ich persönlich denke nicht, daß da wirklich etwas Positives für die kurdische Gesellschaft herauskommen wird. Solange ein Erdogan in der Türkei regiert und die demokratischen Verhältnisse so sind, wie sie sind, wird da nicht viel passieren.

Für die kurdische Seite ist das ein politischer Prozeß und eine Aufgabe, die politisch gelöst werden muß. Die kurdische Bewegung wird den Weg zum Dialog offenhalten, sie wird nicht diejenige sein, die ihn verhindert. Die Lage der Kurden in der Türkei ist allerdings nicht nur mit der Türkei zu klären. Syrien und der Irak spielen da eine große Rolle, auch die Kurden im Iran müssen berücksichtigt werden. Da die kurdische Bewegung inzwischen all diese Gebiete umfaßt, muß sie auch all diesen Akteuren Rechnung tragen, um den politischen Dialog voranzubringen.

SB: Vielen Dank, Herr Fersoglu, für das Gespräch.


Eingangsbereich des Büros mit im Wind flatternden HDP-Fahnen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wahlkampfunterstützung in Hamburg-Altona für die Demokratiebewegung in der Türkei
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Siehe den Bericht über die Pressekonferenz der Initiative zur Unterstützung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Hamburg-Altona am 12. April 2015 im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/191: Die andere Türkei - das Schlimmste verhindern ... (SB)

[2] Die CHP - "Cumhuriyet Halk Partisi", zu deutsch: Volkspartei der Republik - ist die derzeit größte Oppositionspartei sowie die älteste aktive Partei in der Türkei. Sie wurde vom Staatsgründer und ersten Präsidenten der Republik, Mustafa Kemal Atatürk, gegründet und beruht auf den laizistischen Prinzipien des Kemalismus. Sie ist sozialdemokratisch ausgerichtet und gilt als dem Militär nahestehend. Bei den letzten Parlamentswahlen im Juni 2011 erlangte sie 135 der insgesamt 550 Sitze in der Nationalversammlung. Vor den diesjährigen Wahlen scheint sie allerdings, wie die Nominierung armenischer, kurdischer und Roma-Kandidaten vermuten läßt, von dem starren kemalistischen Dogma "eine Nation, eine Sprache und eine Fahne" abgerückt zu sein. Nach eigenen Angaben will sie die Lebensbedingungen all derjenigen verbessern, "die arm sind oder Diskriminierung, Vorurteilen und Gewalt ausgesetzt" sind. Nach Ansicht politischer Beobachter könnte dieser moderate Kurswechsel auf den wachsenden Einfluß der HDP zurückzuführen sein.

[3] Am 9. Januar 2013 wurden in Paris die kurdischen Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Söylemez in den Räumen des Kurdischen Informationsbüros ermordet. Sakine Cansiz, Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), hatte nach zwölfjähriger Haft in der Türkei in Frankreich politisches Asyl bekommen. Fidan Dogan war die Frankreich-Vertreterin des Kurdistan-Nationalkongresses, Leyla Söylemez eine junge Aktivistin.

[4] KCK - Koma Civakên Kurdistan, zu deutsch etwa: Union der Gemeinschaften Kurdistans - ist eine in der Türkei illegalisierte Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den 2005 von Abdullah Öcalan deklarierten Demokratischen Konföderalismus umzusetzen. Die KCK versteht sich als Keimzelle einer nichtstaatlichen gesellschaftlichen Struktur. Ihre (mutmaßlichen) Anhänger und Anhängerinnen waren ab 2009 einer massiven Verhaftungs- und Verfolgungswelle ausgesetzt. Dem Jahresbericht der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV) von 2013 zufolge wurden 2892 Personen, von denen 1302 inhaftiert waren, wegen Mitgliedschaft in der KCK angeklagt. In 34 von 112 Verfahren ergingen Urteile, durch die insgesamt 278 Personen zu zusammengerechnet über 2500 Jahren Haft verurteilt wurden.


Bisherige Beiträge zur Pressekonferenz der Initiative zur Unterstützung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Hamburg-Altona am 12. April 2015 im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/191: Die andere Türkei - das Schlimmste verhindern ... (SB)
INTERVIEW/252: Die andere Türkei - Wahlproporz und Daueropfer ...    Metin Kaya im Gespräch (SB)
INTERVIEW/253: Die andere Türkei - derselbe Kampf ...    Cansu Özdemir im Gespräch (SB)

5. Mai 2015


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