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INTERVIEW/310: Migrationskonferenz Kampnagel - das Glas ist halb voll ...    LaToya Manly Spain im Gespräch (SB)


Weibliche Flüchtlinge weisen die Opferrolle von sich

Interview mit LaToya Manly Spain am 27. Februar 2016 in Hamburg


Durch die Ereignisse auf dem Kölner Domplatz in der Sylvesternacht 2015/2016 hat die europäische "Flüchtlingskrise" eine perfide Note bekommen. Seitdem steht der Verdacht im Raum, die jungen Männer unter den Kriegsflüchtlingen aus den Ländern der muslimischen Welt hätten es auf die europäische Frau abgesehen - wollten sie vergewaltigen, schwängern und sich der Bevölkerungszusammensetzung Europas bemächtigen. So sehen in etwa die kruden Phantasien jener "Patrioten" aus, die seit Monaten durch Aufmärsche in Dresden und anderen Großstädten der EU zum Schutz des christlichen Abendlandes aufrufen. Vor diesem Hintergrund war auf der ersten International Conference of Refugees and Migrants Ende Februar das Geschlechterverhältnis unter den Flüchtlingen sowie zwischen Migranten und alteingesessener europäischer Bevölkerung ein vieldiskutiertes Thema. Darüber und über einiges mehr sprach der Schattenblick auf der Veranstaltung mit LaToya Manly Spain.


LaToya Manly Spain spricht auf der Pressekonferenz - Foto: © 2016 by Schattenblick

LaToya Manly Spain
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick: Frau Manley Spain, wo kommen Sie ursprünglich her?

LaToya Manly Spain: Aus Sierra Leone.

SB: Wie lange leben Sie schon in Deutschland bzw. in Hamburg?

LMS: Seit 1994.

SB: Sind Sie politisch aktiv?

LMS: Ja, ich bin seit Jahren Mitglied verschiedener Gruppen, die sich für die Rechte von Migranten einsetzen, zuletzt von Lampedusa in Hamburg. Ich bin zudem seit langem im Akonda - Eine-Welt-Café in Hamburg-Barmbek, das sich selbst als eine Beratungs-, Begleitungs- und Begegnungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen mit und ohne Aufenthaltstatus bezeichnet, tätig.

SB: Könnten Sie uns als Mitorganisatorin der Konferenz sagen, was Sie mit der Veranstaltung hier auf Kampnagel erreichen wollten und inwieweit sich Ihre Erwartungen erfüllt haben?

LMS: Das wesentliche Ziel bestand darin, Flüchtlinge und Migranten aus ganz Europa zusammenzubringen, damit sie Kontakte knüpfen, in Workshops bestimmte Themen analysieren und die Lage in den verschiedenen europäischen Staaten vergleichen, um Ideen zu entwickeln, wie man die vorhandenen Probleme gemeinsam angehen könnte. Auf diese Konferenz sollen weitere länderübergreifende Treffen folgen.

Das langfristige Ziel wäre, Druck auf die Politik in den einzelnen Staaten sowie auf der EU-Ebene auszuüben, um den rechtlichen und gesellschaftlichen Status der Flüchtlinge und Migranten zu verbessern. So etwas läßt sich natürlich nicht in drei Tagen erzielen. Aber die Tatsache, daß so viele Menschen zu der Konferenz erschienen sind, darunter auch Flüchtlinge, die dafür gegen die gesetzliche Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit - Stichwort Residenzpflicht - verstoßen mußten, ist für mich ein großer Erfolg. Damit haben diese mutigen Menschen ihr Selbstvertrauen gestärkt und gleichzeitig dazu beitragen, solche unmenschlichen Reglements abzuschaffen.

SB: Von verschiedener Seite hieß es, die Konferenz solle dazu beitragen, das Mißtrauen zwischen den verschiedenen Ethnien und religiösen Gemeinden unter den Flüchtlingen und Migranten abzubauen, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erweitern. Ist das Ihres Erachtens gelungen?


LaToya Manly Spain sitzt im Sessel auf der Bühne und spricht ins Mikrophon - Foto: © 2016 by Schattenblick

LaToya Manly Spain auf einer Podiumsdiskussion
Foto: © 2016 by Schattenblick

LMS: Ich denke schon. In Europa spricht man von den Flüchtlingen und Migranten häufig so, als bildeten sie eine große amorphe Menschenmasse. Tatsächlich hat man es jedoch mit Individuen und Familien verschiedenster Nationalitäten, Ethnien, Kulturen und Religionen zu tun. Gleichzeitig können Menschen, die hinsichtlich dieser Merkmale übereinstimmen, trotzdem gegensätzliche politische Ansichten vertreten, vielleicht weil sie aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten stammen.

Die Flüchtlinge und Migranten werden, je nachdem woher sie kommen, von den europäischen Behörden unterschiedlich behandelt, was auch zu Ressentiments und Neid führt. So wird den Migranten aus Syrien offiziell der Status als Kriegsflüchtlinge nach der Genfer Konvention zuerkannt - denjenigen aus dem Irak und Afghanistan aber nicht, obwohl in diesen Ländern die Gewalt ebenfalls auf hohem Niveau tobt und sich dort niemand seines Lebens sicher sein kann. Der "Krieg gegen den Terror", also der Kampf gegen IS, Boko Haram, Al Kaida und ähnliche Gruppierungen, hat weite Teile Afrikas erfaßt. Und dennoch werden beispielsweise die Menschen aus Nigeria oder Mali, wo Regierungstruppen und islamistische Aufständische heftige Kämpfe auf dem Rücken der Zivilbevölkerung austragen, ebenfalls nicht als Kriegsflüchtlinge anerkannt.

Die unterschiedliche Handhabung führt dazu, daß Flüchtlinge aus Syrien das Asylverfahren häufig schon nach nur drei Monaten abschließen und daraufhin ein neues Leben beginnen können, während Menschen aus anderen Staaten Asiens und aus Afrika nach Jahren immer noch keine Perspektive auf einen Ausweg aus diesem behördlichen Irrgarten haben. Letztere können nicht arbeiten, leben von staatlicher Hilfe und wohnen zusammengepfercht und abgeschnitten von der regulären Gesellschaft in irgendwelchen Lagern.

SB: Bei einer Podiumsdiskussion heute nachmittag wurde der Fall mehrerer tausend Kriegsflüchtlinge aus Äthiopien moniert, deren Asylanträge seit Jahren nicht bearbeitet werden, weil es niemanden in Deutschland gibt, der die Sprache ihrer Volksgruppe übersetzen kann.

LMS: Ich kenne diese Geschichte. Sie ist zutiefst traurig und symptomatisch zugleich.

SB: Ein wichtiges Thema nicht nur unter Flüchtlingen, sondern auch in in allen Gesellschaften, auch derjenigen der westlichen Industrienationen, ist das nicht unproblematische Verhältnis unter den Geschlechtern. Man wurde heute Zeuge davon, als praktisch alle Teilnehmerinnen die Haupthalle besetzten, die dort laufende Diskussionsrunde unterbrachen und eine längere Debatte über ihre Benachteiligung auf der Konferenz erzwangen. Sie protestierten offenbar vor allem dagegen, daß die Räumlichkeiten, in denen Workshops über bestimmte frauenspezifische Themen stattfanden, von den restlichen Gebäuden auf dem Kampnagel-Gelände abgeschnitten waren. Gleichzeitig hieß es seitens einiger Organisatoren, daß sich die Frauen ursprünglich selbst für diese räumliche Aufteilung entschieden hätten. Könnten Sie uns erklären, was tatsächlich der Anlaß der spektakulären Protestaktion gewesen ist?


Sitzstreik der Frauen auf der Kampnagel-Bühne mit LaToya Manly Spain mittendrin - Foto: © 2016 by Schattenblick

Frauenprotest auf der Flüchtlingskonferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

LMS: Bei den Vorbereitungen ist die Frage aufgekommen, ob und wie man am besten den Frauen auf der Konferenz einen gewissen Freiraum verschaffen könnte. Viele weibliche Flüchtlinge stammen aus Ländern und Kulturen, in denen Männer und Frauen außerhalb der Familie weitgehend in getrennten Welten leben. Für Frauen solcher Herkunft ist es nicht nur ungewohnt, sondern eine zusätzliche Belastung, wie stark sie auf der Flucht bzw. in den Lagern hier in Europa dem direkten Kontakt mit fremden Männern ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund wurde entschieden, ein besonderes Forum zu schaffen, wo sich die Teilnehmerinnen der Konferenz unbelästigt von Männern austauschen und frei über ihre spezifischen Probleme reden können. Zu diesem Zweck hat man hinter den Kampnagelhallen extra für die Frauen-Workshops ein kleines Fertighaus errichtet.

Meines Erachtens war jedoch das Bedürfnis der Frauen aus stark patriarchalischen Gesellschaften nach einer gewissen Distanz vor allem von den deutschen Aktivistinnen, die an der Vorbereitung der Konferenz beteiligt waren, nicht ganz richtig verstanden worden. Das Fertighaus sorgte nicht nur für Distanz, sondern für Abgeschiedenheit. Dadurch fühlten sich die Frauen, die dort an den Workshops teilnahmen, von der restlichen Konferenz, vom großen Verkehr in der Durchgangshalle et cetera, abgeschnitten und damit benachteiligt. Hinzu kommt, daß nicht wenige der Beteiligten der Meinung waren, daß die Themen in ihren Workshops, wie zum Beispiel sexualisierte Gewalt von Männern gegenüber Frauen und Mädchen, wichtig genug waren, daß sie in der Haupthalle und nicht in einem abgeschiedenen Raum, der praktisch für alle anderen Teilnehmer der Konferenz unsichtbar war, gemeinsam diskutiert werden sollten.

SB: Einige Organisatoren der Konferenz waren von der Protestaktion nicht gerade begeistert, denn sie brachte den Ablauf der Veranstaltung durcheinander. Gleichwohl läßt sich nicht bestreiten, daß die Demonstration weiblichen Aufbegehrens ein sehr starkes Signal ausgesendet hat. Von daher könnte man doch die spontane Initiative, unabhängig von der Frage ihrer Berechtigung und der Form ihrer Ausführung, als Bereicherung für die Konferenz betrachten.

LMS: Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein. Der Zweck der Konferenz bestand von Anfang an darin, den Dialog unter den Flüchtlingen und Migranten sowie zwischen ihnen und der europäischen Gastgebergesellschaft voranzutreiben. So gesehen hat der Protest der Frauen für einen mächtigen Schub gesorgt. Es wurden viele Probleme offengelegt, über die man nun weiter diskutieren kann, um sie zu bewältigen.

Bis jetzt war der Diskurs um die Flüchtlingskrise sehr stark von der männlichen Sicht der Dinge beherrscht. Dies muß sich ändern. Fragen wie die der Gleichberechtigung, der Zurückweisung bzw. Abschaffung der weiblichen Opferrolle und vieles mehr müssen innerhalb der Gemeinde der Flüchtlinge und Migranten ausdiskutiert und neue Formen des geschlechterübergreifenden Miteinanders erarbeitet werden.

SB: Man hat den Eindruck, daß alle Beteiligten der Konferenz, ob sie es wollten oder nicht, in dieser Hinsicht weitergekommen sind.

LMS: Allerdings.

SB: Danke sehr, LaToya Manly Spain, für das Gespräch.


LaToya Manly Spain und SB-Redakteur sitzen einander auf einfachen Stühlen ohne Tisch gegenüber - Foto: © 2016 by Schattenblick

LaToya Manly Spain und SB-Redakteur
Foto: © 2016 by Schattenblick


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www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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24. März 2016


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