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INTERVIEW/343: Niemanden vergessen - Bündnis von links unten ...    Dieter Wegner im Gespräch (SB)



Dieter Wegner gehört zu den Gründungsmitgliedern des Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken [1], der seit Oktober 2005 regelmäßig einmal im Monat stattfindet. Zum 150. Jour Fixe waren Aktivistinnen und Aktivisten der Basisgewerkschaft "United Voices of the World" (UVW Union) [2] aus London am 25. März 2017 im Centro Sociale zu Gast. Die vor drei Jahren gegründete UVW Union organisiert vor allem Migrantinnen und Migranten aus der Reinigungsbranche und Gastronomie. Im Anschluß daran beantwortete Dieter dem Schattenblick einige Fragen zur Geschichte des Jour Fixe, zum Verhältnis zwischen Basisarbeit und etablierter Sozialpartnerschaft wie auch zur Gewerkschaftsarbeit damals und heute.


Banner 'Jour Fixe - Gewerkschaftslinke - Unterstützung eigenständiger, selbstbewusster, gewerkschaftlicher Kämpfe' - Grafik: © 2017 by Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg

Grafik: © 2017 by Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg

Schattenblick (SB): Wir haben heute das Jubiläum des 150. Jour Fixe mit den Gästen aus London gefeiert. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal ganz an den Anfang zurückkehren und dich fragen, wie ihr damals auf die Idee gekommen seid, ein solches regelmäßiges Treffen linker Gewerkschafter ins Leben zu rufen.

Dieter Wegner (DW): Als wir uns 2005 mit ein paar Kollegen oder Genossen getroffen haben, waren wir schon Rentner und haben uns erst einmal lange über Gewerkschaften ausgetauscht und geschimpft, Gewerkschafts-Bashing betrieben, anstatt uns über unsere Kinder, Enkel und Krankheiten zu unterhalten. Nein, im Ernst, ein bißchen war es tatsächlich so, und dann kam die damalige politische Situation hinzu. 2003, 2004 fing das ja mit der Agenda 2010, mit Hartz I, II, III, IV an. Wir bemerkten in unserem Umkreis sowohl in Gewerkschaften als auch unter Freunden und Nachbarn, daß 2004 eine ziemliche Ernüchterung unter den Kollegen einsetzte. Wenn man dann über die Folgen von Hartz IV redete, waren wir plötzlich nicht mehr die Spinner oder Idealisten, als die man uns abgetan hatte, sondern gab uns recht, was unsere Einschätzungen und Warnungen betraf. Wir kamen daraufhin zu dem Schluß, daß die politische Situation jetzt reif sei, sich im Kreis des Jour Fixe regelmäßig zu treffen, um einen Ort einzurichten, der linken oder gewerkschaftlich interessierten Kolleginnen und Kollegen einen Treffpunkt bot. Wir haben uns Jour Fixe genannt und damit einen verbreiteten Begriff aus den 60er, 70er Jahren aufgegriffen. Damals gab es in Hamburg viele solcher Treffen, und wir haben dieses Konzept einfach übernommen. "Jour Fixe" heißt ja nur regelmäßiges Treffen.

Wir haben im Oktober 2005 begonnen, und seither ist nur ein einziger Jour Fixe ausgefallen, als die AEG-Kollegen aus Nürnberg einen Tag vorher abgesagt hatten. Von dieser Ausnahme abgesehen haben alle Treffen stattgefunden, deren Ziel es stets war, Kollegen die Möglichkeit einzuräumen, authentische Berichte aus dem Arbeitsleben, über ihre Situation und ihre Kämpfe zu geben. Wir luden also nicht irgendwelche Koryphäen oder Professoren oder Oberjournalisten ein, etwas von sich zu geben, sondern sorgten dafür, daß die Kollegen selbst berichten konnten. Das haben wir bis jetzt immer so gehalten und dabei auch nicht nur unsere lokale Situation im Blick gehabt. So waren unter anderem Kollegen aus Serbien da, neulich die russischen Trucker und heute die Basisgewerkschafter aus England. Zweimal waren auch chinesische Delegationen von den Arbeitswelten China-Deutschland [3] zu Gast, die eine Tournee machten und von der Lage der Wanderarbeiterinnen berichteten. Es war durchweg ein wesentlicher Aspekt, daß man nicht nur begrenzt sieht, was in Hamburg oder in Deutschland passiert, sondern auch die Gelegenheit wahrnimmt, Kollegen aus dem Ausland zu empfangen, um etwas über ihre Situation und Kämpfe zu erfahren.

SB: Wie hat sich der Zuspruch zum Jour Fixe im Laufe der Jahre weiter entwickelt?

DW: Der Jour Fixe steht organisatorisch auf drei Beinen. Das erste Bein sind die regelmäßigen Treffen, zumeist jeweils am ersten Mittwoch im Monat. Das zweite ist das Jour Fixe Info, das inzwischen über 800 Kollegen bekommen, die an einem Jour Fixe teilgenommen oder sich bei anderer Gelegenheit in den Verteiler eingetragen haben, weil sie es gut finden. Sie bekommen vier- oder fünfmal im Monat einen Newsletter zugesandt, und das wächst immer weiter, jeden Monat kommen etliche Interessenten dazu. Das dritte Bein des Jour Fixe ist das wichtigste: Wir gehen mit unseren bescheidenen Kräften an Schauplätze von Streiks oder Betriebsbesetzungen, um diese zu unterstützen. Hier in Hamburg haben wir vor fünf Jahren beim Neupack-Streik [4] vom Jour Fixe aus einen Solikreis initiiert. Wir reisen auch an andere Orte in Deutschland, an denen Kämpfe stattfinden, und sind beispielsweise seit drei Jahren öfter in Bad Hersfeld. Als dort die ersten Streiks bei Amazon [5] stattfanden, haben wir Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen aufgenommen, die auch mit einer Gruppe von sechs oder sieben Leuten hier in Hamburg waren, um über ihren Streik zu berichten. Als wir uns 2005 gründeten, war gerade bei Gate Gourmet, einer Catering-Firma aus Düsseldorf, die Flugzeuge mit Eßwaren ausstattet, ein Streik im Gange [6]. Wir haben hier Geld gesammelt und sind hingefahren, bekamen Kontakt zu den Gate-Gourmet-Leuten und deren Unterstützern. Die sind dann 2006 insgesamt zweimal zum Jour Fixe gekommen und haben über ihren langen Streik berichtet, der mehrere Monate dauerte.

SB: Schafft ihr mit dem Jour Fixe, zu dem ihr jeweils unterschiedliche Gruppen einladet, auch längerfristige Zusammenhänge, indem ihr mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Kontakt bleibt?

DW: Das ist unser Ziel. Wenn wir losfahren und mit Streikenden Kontakt aufnehmen, sind wir dann ein paar Wochen oder Monate dabei. Als wir vor sieben Jahren in Bremen waren, wo über 1000 Hafenarbeiter rausgeflogen sind, war auch ein Kollege von der GHB aus dem Hamburger Hafen dabei. Es hatte sich gerade ein Komitee aus Entlassenen gegründet, mit dem wir nach wie vor Kontakt haben. Einer aus dem damaligen Komitee, der längst einen anderen Job hat und als Fahrer arbeitet, ist heute abend hier dabei. Solche Kontakte zu pflegen ist eines unserer Ziele. Wir wollen keine Mitglieder haben, die in der Konstruktion unseres Jour Fixe auch gar nicht vorgesehen sind. Wir wollen nicht wie eine Partei sein, sondern Kontakte, die wir geknüpft haben, aufrechterhalten, und das geschieht auch. Zu den Kollegen aus Hersfeld haben wir ständigen Kontakt, sie auch schon eingeladen oder fahren selber dorthin. Wir waren damals auch bei StrikeBike [7], dieser Firma in Nordhausen in Thüringen, die Kontakte haben leider nur zwei, drei Jahren bestanden und sind dann einfach abgerissen, obwohl wir sie noch eingeladen oder mit ihnen telefoniert haben. Das gibt es auch, mal ist es so, mal so.

So ein Klima wie in London, von dem die UVW-Basisgewerkschaft heute berichtet hat, haben wir hier nicht. Die Not ist bei uns auch nicht so groß wie in Rußland, wo die Menschen am Abgrund stehen und anfangen zu kämpfen. In Deutschland hat man immer noch Hartz IV, ALG II, das ist zwar nicht viel, aber man kann davon noch leben. Dort haben sie nichts mehr, da gibt es keine Arbeitslosenversicherung, keine Krankenversicherung, nichts, während hier ein bescheidenes Leben mit ein paar Quadratmetern Wohnung und nicht verhungern noch möglich ist. Ob das allein die entscheidende Rolle spielt, weiß ich nicht. Wenn man diese Frage stellt, kommt man jedenfalls ins Philosophieren. Es ist ein interessantes Phänomen, daß bei Veranstaltungen, die seit drei Monaten zum G20-Gipfel in Hamburg stattfinden, Dutzende oder manchmal sogar Hunderte Kollegen kommen, obwohl solche Treffen in verschiedensten Kreisen stattfinden. Die meisten von diesen Leuten haben einen Job und viele von ihnen sind prekär beschäftigt. Sie kümmern sich aber nicht um die Situation an ihrem Arbeitsplatz und schließen sich nicht im Betrieb zusammen. Ihr politisches Interesse zeigen sie, indem sie zu G20-Versammlungen gehen, und am siebten, achten Juli wollen sie an der großen Demo teilnehmen, um ihre Kritik am Kapitalismus rauszulassen. Das spiegelt sich auch darin wider, daß zum Jour Fixe nur 20, 30 Leute kommen, heute waren es 50 oder 60. Neulich hatten wir einen gut besuchten Jour Fixe zu Griechenland und Distomo mit 80 oder 90 Leuten, aber sonst bleibt es oft bei 20, 25 oder 30 Teilnehmern.

SB: Ihr habt euch der gewerkschaftlichen Basisarbeit verschrieben. Wie verhält sich das zu den höheren Rängen der Gewerkschaften - werdet ihr geduldet oder erlebt ihr ein Konkurrenzverhältnis, wenn nicht gar Gegenwind seitens der Führungsetagen?

DW: Zum einen sind wir zu 80 oder 90 Prozent Mitglieder einer Gewerkschaft. Zum anderen sind viele bei unseren Treffen ja schon etwas älter. Von den vier Gründungsmitgliedern waren damals drei Rentner, und ein Kollege stand noch im Erwerbsleben. Das ist auch jetzt noch so, in unserer Vorbereitungsgruppe sind drei Leute Rentner und zwei im Arbeitsprozeß. Da ich selber in Rente bin, hat das natürlich den Vorteil, daß ich auch unter der Woche in Gang sein kann und am Wochenende immer Zeit habe. Gegenwind aus den Führungetagen? Dazu sind wir zu unbedeutend. Aber wir werden wohl beachtet in dem Sinne, was treiben diese Linken da so? Wir sind insofern in Opposition als wir die urgewerkschaftlichen Prinzipien hochhalten - von der Theorie als auch von der Praxis her. Hingegen arbeiten die offiziellen Gewerkschaftsführungen im Rahmen ihrer Sozialpartnerschaftsideologie, die sie im Kopf, und den Bündnissen, die sie geschlossen haben, mit der Regierung und den Kapitalistenverbänden zusammen: Die IG Metall und IG Chemie mit ihrer Industrie 4.0, ver.di mit der Dienstleistung 4.0, sie nennen das Zukunftspakt 4.0. Das ist eine totale Verschmelzung, fast schon eine Symbiose mit Kapital und Staat. [8] Alle vereint das gleiche Ziel, den Standort Deutschland zu verbessern und die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu fördern. Wir stehen konträr zu solchen Auffassungen. Wie wir schon bei unserer Gründung als Selbstverständnis formuliert haben, geht es uns darum, eigenständige Kämpfe zu unterstützen - auch gegen Übergriffigkeiten von Gewerkschaften oder politischen Organisationen. Wir sind absolut dafür, daß die Kolleginnen und Kollegen ihre eigenen Kräfte entfalten und im zweiten Schritt Kontakt zu anderen Gruppen und deren Kämpfen aufnehmen.

SB: In welchem Maße sind linke Positionen in der Gewerkschaftsarbeit aufgehoben und wo weisen sie deines Erachtens darüber hinaus?

DW: Unsere Auffassung ist ja, daß man nicht bei Erscheinungen und kleinen Verbesserungen, die erkämpft werden, stehenbleiben kann. Es ist gut, wenn solche Verbesserungen erkämpft werden, aber es geht um die Wurzel der Geschichte und die Gründe des Kampfs, nämlich eine andere Gesellschaft. Jeder, der gewerkschaftlich aktiv ist, sollte dahin gelangen, daß es letzten Endes darum geht, eine andere Gesellschaft zu erreichen. Man kann nicht dabei stehenbleiben, ein bißchen mehr Lohn oder etwas bessere Sozialleistungen zu bekommen. Das ist die Rolle der offiziellen DGB-Gewerkschaften, sich in diesem Spiel auf gewisse Verbesserungen im ökonomischen Sektor zu beschränken. In den 60er, 70er Jahren haben sie auf diese Weise eine Menge erreicht, in manchen Jahren betrug die Lohnerhöhung elf oder vierzehn Prozent und die Arbeitszeit wurde verkürzt. Das war die Basis ihrer damaligen Erfolge. Wie jeder weiß, liegt das weit zurück, denn seit 20 oder 25 Jahren stehen Reallohnverluste auf der Tagesordnung, und das ist Ausdruck der Politik, die die Gewerkschaften jetzt machen.

SB: Wie hast du über die Jahre die Gewerkschaftsarbeit erlebt - ist sie im Vergleich zu früheren Zeiten erheblich schwächer geworden?

DW: Ich bin schon seit Anfang der 60er Jahre in der Gewerkschaft und war zuerst in der ÖTV, dann vier, fünf Jahre in der IG Druck und Papier. Die Situation in den 60er, 70er Jahren, teilweise auch in den 80ern, kann man mit der heutigen nicht vergleichen. Das war damals noch eine ganz lebendige Geschichte. Wenn beispielsweise die IG Druck und Papier hier in Hamburg zur Delegiertenversammlung einlud, kamen 500 oder 600 Leute. Dabei waren nicht nur Delegierte zugelassen, sondern auch Mitglieder. Es gab andere Versammlungen, bei denen der Saal mit 200, 300 Leuten bis auf den letzten Platz gefüllt war. Das waren Orte, die man ansteuerte, um zu diskutieren und sich mit den Gewerkschaftsvorsitzenden heftig auseinanderzusetzen. So etwas passiert heute überhaupt nicht mehr. Wenn heute der Fachbereich 08 bei ver.di Einladungen an Hunderte Mitglieder verschickt, kommen nur fünf, sechs Leute und die hauen nach ein, zwei Stunden wieder ab. Ich habe in den letzten dreizehn Jahren Aussprüche von hauptamtlichen Gewerkschaftssekretären gehört, die offen sagten, die Gewerkschaft sei ein Leiche. Das entspricht auch meinem Erleben, die Gewerkschaften sind tot, es gibt nur noch einige Arbeitskreise. Ich selber nehme auch an einem Arbeitskreis teil, zu dem Kollegen kommen, die sich mal sehen und miteinander reden wollen, da kommen dann 20, 30 Kollegen zusammen. Aber so ein Leben wie damals herrscht heute in keiner Weise mehr in den Gewerkschaften.

Aus meiner Sicht müssen die Gewerkschaften neu entstehen. Und das geschieht nicht, indem sich die da oben etwas anderes ausdenken wie etwa Reformen oder Erneuerung durch Streik, wie Riexinger es ausgedrückt hat. Wenn diese Erneuerung nur darin besteht, daß sie glauben, quantitativ mehr streiken zu müssen, passiert nichts. Meines Erachtens kann es nur zur Erneuerung kommen, wenn Bewegung da ist, wenn von unten her Kämpfe stattfinden - das ist die Erneuerung. Aber nicht aus den Apparaten oder von oben. Und eine Erneuerung vollzieht sich dort - das zeigt sich in vielen Auseinandersetzungen wie jener bei Amazon - auch gegen Widerstände im Gewerkschaftsapparat. Wir haben bei der Firma Neupack in Hamburg und Rotenburg erlebt, daß die streikenden Kollegen nach kurzer Zeit gegen die eigene Gewerkschaftsführung kämpfen mußten. Sie wurden betrogen, als man ihnen erklärte, es gebe etwas Besseres als den traditionellen Streik. Den sollten sie nicht mehr fortführen, weil er ineffektiv sei, und statt dessen zum Flexi-Streik übergehen. Das war insofern Betrug, als dadurch der Streik abgebrochen wurde. Sie wurden in den Betrieb reingeschickt, nach einer Woche wieder für zwei Tage rausgeholt und dann wieder reingeschickt. Die Kollegen haben nach ein paar Tagen gesagt, das ist Flexi-Verarschung, und trafen mit diesem Ausdruck den Nagel auf den Kopf. Der Streik ist dadurch verlorengegangen. Insofern heißt Erneuerung durch Streik, sich nicht nur mit den jeweiligen Kapitalisten, sondern sehr oft auch mit dem Gewerkschaftsapparat und der Gewerkschaftsführung auseinanderzusetzen. Wenn die Kollegen Glück haben, erwischen sie einen hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär, der lange Zeit mit ihnen zusammengeht. Das gibt es ja auch noch. Gott sei Dank gibt es noch etliche Gewerkschaftssekretäre, die nicht auf soziale Partnerschaft gepolt sind.

SB: Ihr habt euch in jüngerer Zeit intensiv mit dem Phänomen des sogenannten Union Busting befaßt. Welche Bedeutung haben diese direkten Angriffe auf engagierte Gewerkschafter hier in Deutschland?

DW: Seit zwei Jahren existiert aus dem Jour Fixe heraus ein kleiner Arbeitskreis zum Thema Union Busting oder Fertigmacher, wie wir sagen. Wir haben im vergangenen Jahr eine Veranstaltung dazu gemacht, und am 8. April folgt ein weiterer Workshop. Beim letzten Mal hatte ich bei der Einladung zum Workshop die Frage gestellt, wer von den Kollegen selbst von Union Busting betroffen sei. Zu meiner Überraschung meldeten sich auf einen Schlag 25 Leute, die das bejahten, von denen sich dann 18 tatsächlich angemeldet haben. Hinzu kamen 15 andere Teilnehmer, die aus Interesse am Thema und als Unterstützer zugegen waren. Der Begriff "Union Busting" ist aus den USA übernommen worden und bezieht sich auf das Phänomen, daß von bestimmten Kapitalfraktionen Gewerkschafter massiv angegriffen werden. Das betrifft kleinere und größere Firmen gleichermaßen und breitet sich in unglaublicher Weise aus. Dabei werden Menschen gezielt fertiggemacht. Beispielsweise bekommt eine Kanzlei den Auftrag eines Unternehmens, das einen bestimmten Betriebsrat loswerden will. Die Kanzlei erhält eine gewisse Summe und sagt zu, dafür zu sorgen, daß der betreffende Gewerkschafter in einer vereinbarten Frist mit oder ohne Abfindung draußen ist. Einige werden krank, andere ziehen sich zurück oder kündigen selbst.

Wir haben bei diesem Workshop von erschütternden Schicksalen gehört. Ein Kollege, den das besonders drastisch getroffen hatte, war sogar Konzernbetriebsrat einer Chemiefirma in Süddeutschland. Er und ein anderer Betriebsratskollege hatten den Mißstand offengelegt, daß Kollegen in diesem Betrieb aufgrund einer Vergiftung am Arbeitsplatz krank wurden. Als er das der Geschäftsführung meldete, sagte diese, halt mal still, es geht um einen Auftrag von sechs Millionen, halt die Schnauze. Er ließ aber nicht locker, worauf sie diverse Kündigungen aussprachen und Privatdetektive auf ihn ansetzten, die ihn und seine Familie auf übelste Weise schikanierten. Wie er mir neulich bei einem Telefongespräch sagte, sei er kurz davor gewesen, sich umzubringen, damit das ein Ende hat und seine Frau und sein Sohn in Ruhe weiterleben können. Solche Schicksale werden von den Kapitalisten und den Kanzleien, die diese Aufträge annehmen, in Kauf genommen. Insofern ist das ein wichtiges Thema für uns, zu dem wir einmal im Jahr einen Workshop organisieren.

SB: Dieter, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://gewerkschaftslinke.hamburg

[2] https://www.uvwunion.org.uk

[3] https://www.forumarbeitswelten.de

[4] https://gewerkschaftslinke.hamburg/2016/11/09/der-lange-und-schwierige-weg-zum-streik-bei-neupack/

[5] http://www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/handel/handel-amazon/neue-streiks-bei-amazon-im-september-2015/

[6] http://www.gg-streik.net

[7] http://archiv.labournet.de/branchen/sonstige/fahrzeug/bikesystems.html

[8] https://gewerkschaftslinke.hamburg/2017/03/31/die-deutschen-gewerkschaftsfuehrer-als-teil-der-deutschen-elite/


Beiträge zum Jour Fixe mit der Basisgewerkschaft "United Voices of the World" (UVW Union) aus London im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/260: Niemanden vergessen - die Rechte des modernen Proletariats ... (SB)

3. April 2017


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