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INTERVIEW/367: Initiativvorschläge - forcierte Stetigkeit ...    Aktivist Jonas im Gespräch (SB)


Jonas gehört der Radikalen Linken Berlin an und war an der Organisation des Kongresses "Selber machen - Konzepte von Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie" [1] beteiligt, der vom 28. bis 30. April im offenen Zentrum Bethanien in Berlin-Kreuzberg stattfand. Am Rande des internationalen Treffens beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu den Beweggründen, die zu diesem Kongreß geführt haben.


Klassizistische Gebäude im Umfeld des Bethanien - Fotos: © 2017 by Schattenblick Klassizistische Gebäude im Umfeld des Bethanien - Fotos: © 2017 by Schattenblick Klassizistische Gebäude im Umfeld des Bethanien - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Berlin-Kreuzberg - Steingewordener Ordnungsanspruch
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könntest du etwas zu den Gruppen und Organisationen sagen, die am Zustandekommen dieses Projekts beteiligt sind?

Jonas: Wir haben gemeinsam mit verschiedenen Gruppen aus Berlin wie Zwangsräumung verhindern, Basta-Erwerbsloseninitiative, Hände weg von Wedding, Kiezladen Friedel 54 und einigen Einzelpersonen sowie verschiedenen bundesweiten Gruppen wie Internationalistisches Zentrum Dresden, Antifa, Kritik & Klassenkampf FFM und am Rande zum Beispiel dem Kollektiv aus Bremen und dem kurdischen Studierendenverband YXK/JXK im letzten halben Jahr diese Konferenz organisiert.

SB: Wie seid ihr drauf gekommen, daß ihr die Organisationsfrage in den Vordergrund stellt? Was sind die objektiven Bedingungen, aus denen heraus ihr das für erforderlich haltet?

Jonas: Wir streben danach, eine linke Gegenmacht aufzubauen und Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, sich gegen Staat und Kapital zur Wehr zu setzen, und dafür braucht es eine gewisse Form von Organisierung. Unserer Ansicht nach ist die notwendige Organisierung in der Basis oder die Selbstorganisierung der Leute am geeignetesten, um sich wirksam zusammenzuschließen. Mit diesem Ansatz hat zumindest unsere Gruppe zu ihrer Gründung vor zweieinhalb Jahren zu arbeiten begonnen. Jetzt wollten wir auf dieser Konferenz mit anderen Gruppen bundesweit und auch darüber hinaus ins Gespräch kommen. Im letzten Jahr gab es viele Diskussionen in unterschiedlichsten Gruppen, die ähnliche Ansätze verfolgen. Eine Konferenz kann sehr produktiv sein oder einen sehr guten Ort schaffen, um direkt darüber in Austausch zu kommen, Ideen weiter zu entwickeln und sich kennenzulernen, um von dort aus gestärkt nach vorne zu gehen.

SB: Wie breit ist euer Spektrum aufgestellt und wie groß ist das Interesse daran, in Anbetracht der relativen Schwäche der Linken spektrenübergreifend etwas auf die Beine zu stellen?

Jonas: Wie groß dieses Interesse ist, sieht man vor allen Dingen an denjenigen Gruppen, die zu der Konferenz aufgerufen und sie mit organisiert haben. Sie verstehen sich überwiegend als spektrenübergreifend. In unserer Struktur sind unterschiedlichste Richtungen vertreten, von MLern über Autonome, Anarchist*innen, und so ist es im Großen und Ganzen bei den anderen Mitorganisator*innen auch. Für uns macht es erst einmal keinen Unterschied, welche Richtung oder Ideen verfolgt werden. Bei einer Zwangsräumung sind wir alle von demselben Angriff betroffen, da muß man nicht viel drüber reden, das finden alle scheiße. Bei vielen Punkten gibt es einen sehr breiten Grundkonsens, da kann man andere Aspekte erst einmal zurückstellen, weil wir gar nicht an der Stelle sind, wo die zu diskutieren wären.

SB: Findet in irgendeiner Form auch eine Beteiligung der parlamentarischen Linken wie der Partei Die Linke oder der DKP statt?

Jonas: Das ist für uns schon die Frage. Wenn wir den Staat als ganzes in Frage stellen, dann muß man natürlich auch über alle parlamentarischen Formen hinwegkommen. Daher sind Parteien kein primärer Ansprechpartner für uns. Wir sind natürlich total aufgeschlossen, wenn Leute hierherkommen und diese Ideen vertreten. Ich bin der Meinung, daß es in der DKP jede Menge Leute geben wird, die das interessieren könnte, wahrscheinlich auch in anderen Parteien. Aber die Parteistruktur an sich ist - das ist meine persönliche Meinung dazu - nicht die richtige Organisationsform, sondern ein anderer Ansatz als eine Basisorganisierung.

SB: In den letzten Jahren gab es im Bereich sozialökologischer Kämpfe einen gewissen Aufschwung des Interesses und auch der Zahl der daran beteiligten Leute. Spielt das bei euch eine Rolle oder seid ihr auf diesem Kongreß eher mit sozialen und Klassenfragen beschäftigt?

Jonas: Wir sind tatsächlich in der thematischen Ausrichtung der Sessions und Panels vor allem auf soziale und Klassenfragen fokussiert, das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir die anderen Themen auch für relevant erachten. Wir wollen halt nicht diese Trennung aufmachen zwischen wenigen Hauptwidersprüchen, die es zuerst zu bekämpfen gilt, und vielen Nebenwidersprüchen. Das ist fatal. Aber man muß auch sagen, daß es auch aus diesem Spektrum viele Anfragen gab.

Zum Beispiel bietet nachher jemand einen Workshop zur Solidarischen Landwirtschaft an, was ein bißchen in diese Richtung geht. Wir waren auch in Kontakt mit einem Ökohofkollektiv, die quasi als Betriebskollektiv arbeiten und einen Workshop mitorganisieren wollten, die haben leider abgesagt. Ich denke, daß diese Kämpfe wichtig sind, aber hier platzt es aus allen Nähten. Du hast selber gemerkt, daß die Räume überfüllt sind. Wenn wir parallel dazu noch mehr angeboten hätten, dann wäre das für uns nicht zu stemmen gewesen. Man muß das auch als ersten Schritt sehen, wir wollen weitermachen und nach vorne gehen. Das ist ein kleiner Start, bei dem viele wichtige Themen diskutiert werden müssen.

SB: In moderateren Teilen der Linken wird viel über Transformation geredet, über Veränderung aus der Gesellschaft heraus. Ihr habt ja auch John Holloway angefragt, der vorschlägt, den Kapitalismus in der unmittelbaren Lebenspraxis zu brechen, anstatt das gleich für das große Ganze zu beanspruchen. Dennoch scheint der Widerspruch zwischen einem revolutionären Anspruch grundsätzlicher Art und den vielen Experimenten im Kleinen, die leicht Gefahr laufen, aufgesogen zu werden, weiterhin im Raum zu stehen. Wie würdet ihr oder du das sehen, wie breit sollte der Ansatz der gesellschaftlichen Veränderung, der revolutionären Entwicklung sein?

Jonas: Der Ansatz muß schon ganzheitlich sein. Gerade Holloway sagt ja auch, daß es nie aufhört, daß es immer ein veränderlicher Prozeß ist, ein Ausbalancieren, daß die Macht versucht, die Anti-Macht aufzusaugen oder andersherum. Morgen findet zum Beispiel ein kleiner Workshop zu Betriebskollektiven statt, in dem die Frage aufgeworfen wird, inwiefern sich Betriebskollektive noch in andere Kämpfe einmischen und über ihr unmittelbares Interesse hinausgehen, oder ob es ihnen um die Absicherung fürs Private geht. Das kann auch schnell passieren, oder sie werden ihren eigenen Ansprüchen durch Selbstausbeutung nicht gerecht, weil sie versuchen, in Marktregularien zu agieren. Das sind diese "kleinen" Fragen, auf die man diese große Frage in vielen verschiedenen Aspekten herunterbrechen kann.

Das wollen wir hier probieren. Einerseits zu zeigen, es gibt viele Punkte, aber es wird nicht das Perfekte geben und es wird nicht zu Ende sein. Es wird andauern. Das ist das wichtige. Wir haben auch viele internationale Perspektiven, gerade bei den Bewegungen, die immer sehr gehypt oder hervorgehoben werden, wie zum Beispiel die Revolution in Rojava oder auch bei den Zapatistas. In Rojava beziehungsweise in der Region wird seit 40 Jahren gekämpft. Was dort geschafft wurde, hat sich entwickelt und war ein Prozeß. Es ist nicht von jetzt auf gleich gekommen, sondern es gab Strukturen, die diese Entwicklung aufgefangen und unterstützt haben. Auch jetzt gibt es viele Veränderungen, die Strukturen verändern sich, und die ganze Art des Zusammenlebens verändert sich. Man darf sich nicht darauf ausruhen zu sagen, irgendwann kommt der Punkt, und danach ist alles schön. Das wird es nicht geben, sondern es wird immer eine Weiterentwicklung sein.

SB: Wie weit ist der Widerstand gegen die immer stärker werdende Rechte aus deiner Sicht ein bloßer Abwehrkampf, mit dem dieser Aufmarsch nur in seinen Schranken gehalten wird, oder gibt es Ideen, nocheinmal in die Offensive zu kommen?

Jonas: Auf dem Kongreß selber ist das jetzt nicht das Thema, sondern das spielt eher in den Gedanken, wie sich die Idee für diesen Kongreß entwickelt hat, eine Rolle. Mit dem Erstarken der europäischen Rechten und der deutschen Rechten, der AfD oder Pegida-Straßenbewegung gab es oder gibt es schon in vielen Initiativen und Strukturen ein linksradikales Umdenken. Diese Dauermobilisierung, jede Woche Demo, ist einfach nicht zu stemmen. Das ist in der jetzigen Verfaßtheit unmöglich. So stammt diese Rückfokussierung auf eine Basisorganisierung oder Selbstorganisierung, das Rückbesinnen auf ursprüngliche Fragen, auf die kleinen und alltäglichen Problemchen im Endeffekt von Leuten, die am stärksten von staatlicher Repression oder vom System betroffen sind. Das drückt sich in Berlin zum Beispiel in Mietenkämpfen aus, die gerade hier im Bezirk im letzten halben Jahr stark zugenommen haben. Oder in Arbeitskämpfen, was in der radikalen Linken auch ein total stiefmütterlich behandeltes Feld ist. Hier wird die Frage diskutiert, wie man die Grundlage dafür schaffen kann, gegen diese Verhältnisse einen erfolgreichen Kampf zu führen. Die weitverbreitete Meinung oder Analyse lautet, daß dazu derzeit die Voraussetzung fehlt. Diese bestände halt in einer breiten Gegenbewegung, die das auch durchsetzen kann.

SB: In den Texten, die im Vorfeld des Kongresses verfaßt wurden, kam häufiger zur Sprache, daß die radikale Linke zu abgehoben sei, daß sie aufgrund bestimmter Szenekodierungen oder anderer Praktiken schwer zugänglich sei. Würdest du das bestätigen, sollte man da etwas ändern, oder trifft das deiner Ansicht nach gar nicht zu?

Jonas: Auf der einen Seite ja, auf der anderen nein. Im weitesten Sinne würde ich das für bestimmte Kreise bestätigen und sagen, daß ich das auch so empfinde, da gibt es kein weitergehendes Interesse, auch einmal über Dinge hinwegzublicken und vielleicht ersteinmal mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Da fehlt mitunter auch eine gewisse Toleranz und Offenheit. Das heißt ja nicht, daß man andere Meinungen von vornherein akzeptieren muß oder daß man nicht widersprechen darf, aber zumindest ersteinmal Verständnis für Probleme aufbringt. Das stehen manche Dinge schon im Weg. Deshalb kann ich da zustimmen.

Auf der anderen Seite glaube ich aber auch , daß es durchaus bei vielen Leuten, vor allen Dingen älteren Genoss*innen viel Bewußtsein darüber gibt und auch Kritik an jüngeren Genoss*innen geübt wird. Ich bin ja auch einer von den Jüngeren.

SB: Jonas, vielen Dank für das Gespräch.


Abbruchszenarios - Fotos: © 2017 by Schattenblick Abbruchszenarios - Fotos: © 2017 by Schattenblick Abbruchszenarios - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Risse im Fundament der Kommandohöhen
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Fußnote:

[1] BERICHT/268: Initiativvorschläge - koordinierte Effizienz ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0268.html


23. Mai 2017


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