Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/437: Kamerun - Sprachethnozid am Beginn ...    Evarist im Gespräch (SB)


Gespräch am 7. Juni 2019 in Berlin-Kreuzberg


"Kamerun was nun?", eine "Ausstellung gegen das Verschweigen", ist noch bis zum 28. Juni im Rathaus Berlin-Kreuzberg zu sehen. [1] Von dem aus Kamerun stammenden und in Deutschland lebenden Evarist samt einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter konzipiert und organisiert, gibt die Ausstellung im 1. Stock des Verwaltungsgebäudes in der Yorkstraße 4-11 anhand von Bild- und Textdokumenten an Schautafeln Einblick in die eskalierende Repression im Westen des Landes. Da Evarist über Handy in täglichem Kontakt mit Angehörigen und Freunden in seiner Heimat steht, versucht er als Zeuge der Greueltaten, die Regierungstruppen an der Bevölkerung in den englischsprachigen Regionen verüben, die Menschen hierzulande davon in Kenntnis zu setzen und aufzurütteln. Während das Töten in diesem Landesteil genozidale Ausmaße annehme, sehe die Welt schweigend zu.


Fotomontage des Präsidenten als Raubvogel mit einem Baby in den Krallen, während ein Mann mit einem Stein nach ihm wirft - Bild: © 2019 by Evarist

Am 20. Mai 2019 töteten Soldaten in Muyuka ein drei Monate altes Kind
Bild: © 2019 by Evarist


Schattenblick (SB): Die meisten Menschen in Deutschland wissen wenig über Kamerun. Was möchtest du ihnen angesichts der aktuellen Entwicklung in deinem Heimatland nahebringen?

Evarist (E): Was ich für sehr wichtig erachte, versuche ich mit dieser Ausstellung zu vermitteln. Die Menschen in Deutschland sollen erfahren, was sich derzeit in meinem Heimatland abspielt. Ich habe mich mit meiner Bitte an den Bürgermeister von Kreuzberg gewandt, der uns daraufhin die Erlaubnis gab, die Ausstellung hier im Rathaus zu präsentieren. Wir hoffen, damit zum einen Leute zu erreichen, die zu Behördengängen hierher kommen, und wünschen uns darüber hinaus Interessierte aus der ganzen Stadt wie auch Besucher Berlins, nicht zu vergessen natürlich die Medien. Es geht uns darum, ein authentisches Bild der aktuellen Ereignisse in Kamerun zu zeichnen, von denen man hierzulande nur sehr wenig erfährt. Wir haben eine Gruppe zur Vorbereitung gebildet, Materialien wie insbesondere Bilder zusammengetragen und sie an Stellwänden arrangiert. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. Juni, so daß Zeit bleibt, noch mehr Menschen zu informieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

SB: Wie reagieren die Menschen, die vorbeikommen und sich die Ausstellung ansehen?

E: Viele sind schockiert, wenn sie auf den Bildern sehen, was in Kamerun geschieht. Da in den deutschen Medien wenig darüber berichtet wird, herrscht große Unkenntnis. In der Ausstellung mit den schrecklichen Ereignissen konfrontiert, sagen sie erschüttert: Das kann doch nicht sein! Das habe ich nicht gewußt! Offenbar sehen und hören die meisten Leute hierzulande keine ausländischen Nachrichten, sondern beschränken sich auf deutsche Sendungen. Das könnte erklären, warum der breiteren Öffentlichkeit wenig oder gar nichts über die aktuellen Verhältnisse in meinem Land bekannt ist und die Leute überrascht und entsetzt reagieren, wenn sie in dieser Ausstellung zum ersten Mal damit in Berührung kommen.

SB: Könntest du berichten, wie es zu dem aktuellen Konflikt in den englischsprachigen Regionen Kameruns gekommen ist und welches dort die zentralen Kontroversen sind?

E: Wenngleich die Geschichte dieser Problematik bis weit in die Kolonialzeit zurückreicht, möchte ich an dieser Stelle nur auf die Konflikte in jüngerer Zeit eingehen. Im Oktober 2016 gingen Anwälte und Lehrer auf die Straße, um ihrem Protest gegen die bereits seit geraumer Zeit durchgesetzte Zurückdrängung der englischen Sprache im Rechtswesen, bei Behörden und im Schulunterricht Ausdruck zu verleihen. Die Regierung hatte in zunehmendem Maße die Gerichte und Schulen mit französischsprachigem Personal besetzt. Das führte beispielsweise dazu, daß Lehrer aus dem französischsprachigen Teil Kameruns, die nie Englisch gesprochen hatten, plötzlich Kinder unterrichteten, bei denen es sich genau umgekehrt verhielt. Entsprechende Probleme traten an den Gerichten auf, wo die sprachliche Verständigung durch diese Entwicklung ebenfalls beeinträchtigt war. Deshalb waren Anwälte und Lehrer zu dem Schluß gekommen, daß es so nicht mehr weitergehen könne. Schließlich war nach Ende der Kolonialzeit bei Erlangung der Unabhängigkeit Kameruns festgeschrieben worden, daß der westliche Landesteil Englisch als offizielle Amts- und Verkehrssprache wie auch das englische Justizsystem beibehalten dürfe.

Im Grunde wollten die protestierenden Juristen und Lehrpersonen zunächst nur mit der Regierung sprechen, um die Problematik aus ihrer Sicht zu schildern und auf Abhilfe zu drängen. Die Regierung war jedoch nicht bereit, sie auch nur anzuhören, sondern lehnte jegliche Gespräche darüber ab. Sie setzte auf gewaltsame Niederschlagung des Protests und schickte Soldaten, die mit scharfer Munition auf Demonstranten schossen. Viele Menschen wurden verhaftet, und die Einsatzkräfte gingen dazu über, immer häufiger Häuser und schließlich ganze Dörfer in Brand zu setzen, so daß die Bewohner gleich welchen Alters fliehen und sich ohne jeden Schutz irgendwo in den Wäldern oder auf Bergen verstecken mußten. Da nicht selten Feuer gelegt wurde, während sich Menschen in den Häusern befanden und schliefen, liefen die Bewohner Gefahr, darin zu verbrennen.

SB: Auf welche Weise wehren sich die Menschen dagegen? Ist der Widerstand stärker geworden, wo doch die Repression immer schärfer vorgetragen wird?

E: Während der Protest anfangs von einer überschaubaren Anzahl demonstrierender Anwälte und Lehrer getragen wurde, haben sich inzwischen immer mehr Menschen dem Widerstand angeschlossen. Insbesondere jüngere Männer wollen nicht zulassen, daß selbst Kinder getötet, Frauen vergewaltigt und sogar alte Leute aus ihren Häusern vertrieben oder umgebracht werden. Wenn ihr kommt, um meinen Bruder, meine Schwester, meine Eltern zu töten, werde ich dem nicht tatenlos zusehen!

SB: Wie ich abgebildeten Dokumenten auf den Schautafeln entnehmen konnte, sind die Vereinten Nationen, die US-Regierung und die Europäische Union durchaus im Bilde, was sich gegenwärtig in Kamerun abspielt. Aber hat diese Kenntnis Folgen, die in der Konfliktregion spürbar wären?

E: Im Jahr 2016 suchte der US-Botschafter den Westen des Landes auf, um sich vor Ort über das Geschehen zu informieren. Er sprach dort mit lokalen Führungspersonen, die erfreut angesichts der Zusage des Diplomaten waren, er wolle sich um Vermittlung in diesem Konflikt bemühen. Dies schien unter den gegebenen Umständen ein gangbarer Weg zu sein, eine Lösung oder zumindest Gespräche darüber herbeizuführen. Anschließend traf der Botschafter mit dem Präsidenten zusammen, um ihm zu berichten und ihn in Kenntnis zu setzen. Dieser erteilte jedoch Gesprächen und Vermittlungsbemühungen eine harsche Abfuhr. Statt dessen schickte er noch mehr Soldaten in den Südwesten, die Tag für Tag gegen die Bevölkerung vorgingen.

SB: Paul Biya ist seit 1982 durchgängig Präsident des Landes. Kann man angesichts dieser überlangen Amtszeit überhaupt von freien Wahlen und einer Chance der Opposition sprechen, endlich einen anderen politischen Kurs einzuleiten?

E: Er war schon Präsident, als ich geboren wurde, und hat seither alle Wahlen gewonnen. Man muß davon ausgehen, daß in meinem Heimatland der Sieger schon vor der Wahl feststeht. Da er aus den Reihen seiner Partei das gesamte Personal ernannt, das für die Beaufsichtigung und Durchführung der Urnengänge verantwortlich ist, kann er sich seines Erfolges sicher sein. Man kann die Stimme abgeben, für wen man will - am Ende wird immer Paul Biya gewinnen.

SB: Der Präsident hat die Streitkräfte auf seiner Seite, die ihm den Machterhalt garantieren.

E: Das ist das Problem. Die Streitkräfte Kameruns dienen nicht dem Schutz des ganzen Landes und seiner Bevölkerung, sondern den Interessen des Präsidenten. Als sei es seine Privatarmee, schickt er Soldaten in die englischsprachigen Regionen, wo sie die Menschen drangsalieren und umbringen wie auch ihren Besitz zerstören. Die Streitkräfte stehen auf seiner Seite, töten sie doch unschuldige Zivilisten bis hin zu kleinen Kindern und alten Leuten. Am 20. Mai wurde in Muyuka ein drei Monate altes Baby von Angehörigen einer Spezialeinheit mit vier Schüssen in den Kopf getötet. Ich kann dir das Foto, das diesen Vorfall belegt, auf der Schautafel zeigen. Hier siehst du das Baby mit den Schußwunden. Die Mutter eilte herbei, als sich die Soldaten dem Haus näherten, doch konnte sie nur noch ihr totes Kind in die Arme schließen.

Anfang Mai kam der Premierminister im Auftrag des Präsidenten in das Krisengebiet und bot einen Dialog zur Beilegung des Konflikts und einem Friedensschluß an. Kaum war er abgereist, als die Soldaten auch schon Kirchen und Krankenhäuser niederbrannten, Nutztiere töteten und Felder verwüsteten. Niemand von Regierungsseite erhob dagegen Einspruch. Der Premier erzählt das eine, der Präsident macht ungerührt weiter das andere und läßt seine Truppen unter der Bevölkerung wüten.

SB: Sind NGOs in Kamerun präsent, die diese Untaten dokumentieren und dagegen protestieren?

E: Es sind mehrere NGOs wie auch Menschenrechtsorganisationen im Land, die vor Ort dokumentieren. Hier auf dem Bild siehst du den Anwalt einer Menschenrechtsgruppe, der als erster versuchte, mit der Regierung in Kontakt zu treten. Es ist also alles wohlbekannt, und die NGOs leisten humanitäre Hilfe. Auch die Kirchen engagieren sich, um die Situation der Zivilbevölkerung zu verbessern.

SB: Versuchen diese Organisationen, einen Friedensschluß mit der Regierung auf den Weg zu bringen?

E: Jeder will Frieden. Wir alle wollen Frieden. Meine 92 Jahre alte Mutter lebt seit Tagen im Wald, wohin sie fliehen mußte. Wir brauchen Frieden, denn wie sollen alte Menschen leben, wenn ihre Häuser jederzeit niedergebrannt werden können und sie keine Bleibe mehr haben? Die Welt darf nicht länger zusehen, sondern muß etwas unternehmen, um den Krieg zu beenden. Sie muß mit allem Nachdruck auf die Regierung einwirken, damit diese Angriffe eingestellt werden.

SB: Sind viele Menschen getötet worden, die sich dem Widerstand angeschlossen und ihre Stimme in aller Öffentlichkeit erhoben haben?

E: Die Soldaten töten jeden, den sie für anglophon halten. Viele Menschen wurden nur deswegen umgebracht, weil sie englisch sprechen, ohne daß sie im Widerstand aktiv gewesen wären. Menschen werden festgenommen, in Kasernen verschleppt und dann irgendwo getötet. Anfänglich wurden Leute von der Polizei festgenommen und inhaftiert. Wenige Tage später kamen Soldaten und brachten die Gefangenen vor den Augen der Polizisten um. Auch in Polizeigewahrsam ist niemand seines Lebens sicher. Diese Zustände herrschen in den südwestlichen Regionen.

SB: Um so wichtiger ist es also, daß auch die Menschen in Deutschland erfahren, was sich in Kamerun abspielt.

E: Das ist unser Anliegen. Wir wollen die Leute hier mit unserer Ausstellung darüber aufklären, was dort unablässig geschieht. Und wir hoffen, daß sie uns dabei unterstützen, in diesem Konflikt zu intervenieren. Auch die Bundesrepublik hat einen Botschafter in Kamerun, auf den man einwirken kann, tätig zu werden. Die politisch Verantwortlichen in Deutschland sollten aktiv werden.

SB: Es geht also darum, den deutschen Politikern und Diplomaten zu verdeutlichen, daß die Bevölkerung hierzulande wünscht, daß sie tätig werden?

E: Das erhoffen wir uns. Die Menschen sollen auf ihre Abgeordneten und die Regierung einwirken, zu intervenieren, um diesen Konflikt zu beenden. Ich habe ein drei Tage altes Video, auf dem zu sehen ist, wie Soldaten Brandstifter zum Haus eines lokalen Chiefs eskortieren, die dort Feuer legen. Frauen mußten den verletzten alten Mann aus dem Haus bergen, da er andernfalls darin verbrannt wäre, und ihn ins Krankenhaus bringen. Die Soldaten standen mit ihren Fahrzeugen daneben und sahen ungerührt zu.

SB: Hast du vor, eines Tages nach Kamerun zurückzukehren?

E: Sobald dort Frieden herrscht, kehre ich zurück. Ich muß nach Hause zurückkehren. Ich will meine alte Mutter, meine Familie wiedersehen. Jeden Tag telefoniere ich mit meinen Angehörigen, und so erfuhr ich vorhin vom Schicksal meines Onkels, dessen Haus letzte Nacht von Soldaten niedergebrannt wurde. Er ist in die Berge geflohen und weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Es ist sehr schmerzlich für mich, das alles aus der Ferne, aber durch Informationen aus erster Hand mitzuerleben.

E: Evarist, vielen Dank für dieses aufschlußreiche Gespräch.


Fußnote:

[1] www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0341.html


23. Juni 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang