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INTERVIEW/475: Iran - über die Grenzen ...    Vria Arenan im Gespräch (SB)


Vria Arenan ist bei Komala organisiert, einer kurdischen Befreiungsbewegung im Iran, die sich Anfang der 1980er Jahre zusammen mit anderen linken Gruppen zur Kommunistischen Partei Iran (KPI) zusammengeschlossen hat. Die unter den 8 Millionen KurdInnen im Iran einflußreiche Komala setzt sich für Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Sozialismus und den Sturz der Zentralregierung in Teheran als Voraussetzung für eine kurdische Teilautonomie innerhalb des Landes ein. Auf Einladung der Interventionistischen Linken (IL) Hamburg berichtete Vria Arenan am 13. Februar im Centro Sociale über die Aufstände im Irak und im Iran [1]. Anschließend beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch im Centro Sociale - Foto: © 2020 by Schattenblick

Vria Arenan
Foto: © 2020 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Vria, könntest du etwas zur Geschichte von Komala und der KPI sagen?

Vria Arenan (VA): Die Kommunistische Partei Iran ist 5 Jahre nach der Revolution 1979 aus verschiedenen Organisationen wie Komala entstanden. Da Komala sehr berühmt war und sehr viel Einfluß im kurdischen Landesteil hatte, änderten wir den Namen nicht. Wir sagten, die Kommunistische Partei ist dazugekommen, und Komala bleibt Komala, weil die Leute das so kennen. In der Partei sammelten sich damals viele enttäuschte und über das ganze Land verstreute Linke, deren Organisationen durch die islamische Regierung vernichtet worden waren. Die Partei war ein Hoffnungsschimmer für viele Linke im Iran, da wir über freie Gebiete verfügten, über Städte im kurdischen Teil des Landes, die das iranische Militär noch nicht erobert hatte. Viele flüchteten sich in diese Orte in Kurdistan und schlossen sich dort der KPI an.

SB: Mußten sie vor den islamischen Machthabern in Teheran fliehen?

VR: Ja. So gab es eine berühmte linke Organisationen namens Paykar, die von der neuen Regierung angegriffen und richtiggehend vernichtet wurde. Viele ihrer Mitglieder kamen dann zu uns und haben intensiv an der Entwicklung der Partei mitgewirkt. Nach dem Iran-Irak-Krieg, in der Zeit um 1990/91, war alles sehr schwierig für die Partei geworden, auch aufgrund des Zusammenbruchs des Ostblocks. Obwohl wir politisch nie am Ostblock ausgerichtet waren, verloren viele die Orientierung. In jener Zeit hatten wir auch viel Einfluß in der irakischen Linken.

Im Jahr 2000 erlitt Komala eine große Abspaltung und verlor viele Kader, weshalb wir quasi noch einmal anfangen mußten. Später sind neue Generationen an jungen Menschen dazugekommen. Heute ist unsere Partei voll von jungen Menschen, während der abgespaltene Teil immer dieselbe Generation geblieben ist und keinen Nachwuchs hat.

SB: Inwiefern können die Parteimitglieder im Iran aktiv sein?

VR: Als Parteimitglieder nicht, aber man kann als Arbeiter Aktivist sein, man kann sich in der Frauenbewegung, in der Studentenbewegung oder in der Umweltbewegung engagieren. Letztes Jahr kam ein Umweltaktivist ums Leben, woraufhin die Partei in ganz Kurdistan zum Generalstreik gegen das Regime aufgerufen hat. Er war in seiner Funktion als Umweltaktivist zu Tode gekommen, aber in Wirklichkeit gehörte er zur Bewegung.

Im kurdischen Teil des Landes können wir uns nicht verstecken. Zum Beispiel wurden meine Familienmitglieder hingerichtet, weil sie der Partei angehörten, mein Vater war sieben Jahre aus demselben Grund im Gefängnis. Wer heute noch da und aktiv ist, ist eben Komala (lacht). Man kann ja nicht alle vernichten. Weil Komala sich so verbreitet hat, über eine große Anhängerschaft verfügt und zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung geworden ist, lud das Regime die AktivistInnen vor und teilte ihnen mit, daß es ganz genau weiß, daß sie zu Komala gehören. Es droht ihnen an, sie umzubringen, wenn sie etwas gegen das Regime unternehmen, und läßt sie ein Dokument unterschreiben, in dem sie erklären, nichts dergleichen zu tun. So verfahren sie aber auch mit den rechten Parteien in Kurdistan. Der Widerstand gegen das iranische Regime in Kurdistan ist eine Massenbewegung, das hat mit einzelnen Menschen nichts zu tun, es ist einfach die Masse, die das Regime nicht akzeptiert.

SB: Wie geht ihr als Kaderpartei mit marxistisch-leninistischer Doktrin mit sozialen Bewegungen um, die eher selbstorganisiert sind und spontan entstehen?

VR: Wir haben gelernt, daß es am wichtigsten ist, wenn die großen sozialen Bewegungen im Iran eine gute Richtung einschlagen und dabei von uns voll unterstützt werden. Wir bestehen nicht darauf, daß die Leute "Es lebe der Sozialismus" rufen, das tun wir vielleicht, aber die meisten Menschen wollen einfach nicht unterdrückt werden. Wenn zum Beispiel Frauen Unterdrückung erleben, dann gehen sie dagegen vor. Wir klären als SozialistInnen über die Entstehungsgründe dieser Unterdrückung auf, aber wir bestehen nicht darauf, daß "Es lebe der Sozialismus" gerufen wird. Das hat für mich keine Bedeutung. Es geht um das Problem der Unterdrückung, und so ist alles, was in einer solchen Bewegung geschieht, in unserem Sinne. Es sei denn, es geht auf Kosten anderer, da sind wir sehr dagegen. Wenn zum Beispiel Nationalitäten und Konfessionen gegeneinander aufgehetzt werden, wenn sich einer für besser als der andere hält, beziehen wir dagegen Position. Wenn Frauen, Männer, ArbeiterInnen, KurdInnen, AraberInnen, TürkInnen und andere, die benachteiligt sind, gegen diese Benachteiligung kämpfen, erhalten sie unsere volle Unterstützung.

SB: Hat Komala im Irak-Iran-Krieg auf der Seite des Iraks gekämpft?

VR: Nein, der Irak hat viele von uns getötet, durch Chemiewaffen und Sprengbomben. Alles, was die irakischen Kampfflugzeuge nicht über dem Iran abwarfen, luden sie auf dem Rückweg über Kurdistan ab. Im Iran wie im Irak gab es kurdische Gebiete, die von keinem der beide Staaten kontrolliert oder militärisch besetzt waren, diese Gebiete hatten wir für uns. Durch ihre Kriegshandlungen an anderen Fronten waren sie lange miteinander beschäftigt, erst später kam der Krieg auch zu uns. Wir haben heute noch bewaffnete Einheiten in der Region Kandil, die sich über den Iran und den Irak erstreckt. Es ist ein sehr großes Gebiet und da gibt es heute noch keine Regierung.

SB: Wie ist euer Verhältnis zu kurdischen Organisationen in Syrien und der Türkei?

VR: Wir sind sehr solidarisch mit dem Kampf und der Bewegung in der Türkei, aber auch in Syrien, und wir unterhalten sehr viele Kontakte nach Rojava, unsere eigenen Leute sind dort aktiv. Ich persönlich habe viel dazu beigetragen, daß die Verwendung von Phosphorbomben durch die Türkei in Nordsyrien bekannt gemacht und letzte Woche in Brüssel, aber auch in Genf bestätigt worden ist. Noch ist das Thema nicht von den Medien aufgegriffen worden, aber das wird mit Sicherheit kommen.

SB: Ich habe den Irak-Iran-Krieg immer so verstanden, daß es aus Sicht der USA darum ging, zwei relativ starke Akteure in der Region aneinander ausbluten zu lassen. Entspricht das eurer Sichtweise?

VR: Die USA haben eine ganz große Rolle gespielt, das stimmt, sie haben ihre Waffen an alle Kriegsparteien verkauft und sogar für Gleichgewicht unter den verfeindeten Seiten gesorgt. Meiner Ansicht nach standen die USA nicht nur hinter dem Irak. Wenn der Irak im Laufe des Krieges ein bißchen stärker wurde, bekam plötzlich der Iran so viele Waffen, bis es wieder militärischen Gleichstand gab. In acht Jahren Krieg haben sich die Grenzgebiete kaum verschoben. Da wurde wirklich für Gleichgewicht gesorgt.

SB: Angeblich haben die Konfessionen der Schiiten und Sunniten zu Zeiten Saddam Husseins im Irak keine große Rolle gespielt. Ist diese Idee, sich konfessionell zu identifizieren, heute wirklich so dominant, oder wird das immer nur in bestimmten Interessenskonstellationen gefördert?

VR: Saddam Hussein gab vor, einen islamischen Sozialismus schaffen zu wollen. In Wirklichkeit erhielt er den Islam vom Westen und den Sozialismus vom Osten. Aus meiner Sicht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, das, was für diese Region machbar war, von den beiden Machtblöcken in Ost und West akzeptiert. Saddam Hussein war ein Diktator und nicht religiös orientiert. Nachdem die USA Saddam Hussein inhaftiert hatten, wurde bestimmt, daß Schiiten, Sunniten und Kurden jeweils eigene Vertreter haben sollten. Von da an hatte man es nicht mehr mit menschlichen Individuen zu tun, sondern mit Interessen. Zudem ernannten sie besonders fanatische Personen zu ihren Repräsentanten, weil sie vermuteten, daß sich diese besser durchsetzen könnten. Daher hatten wir es von Anfang an mit Rückständigkeit zu tun und auf keine Weise mit Demokratie.

SB: Gibt es im Iran irgendwelche Möglichkeiten, mit deren Hilfe sich Frauen innerhalb des Systems emanzipieren können, oder müssen sie immer gegen das System kämpfen?

VR: Ich denke nicht, daß Frauen innerhalb des Systems nur Nachteile haben, es gibt auch ein paar Dinge, die sie in Anspruch nehmen können. Das Hauptproblem ist, daß die Frau gesetzlich als Mensch zweiter Klasse gilt. Viele Frauen sind auch im Gefängnis. Wiederum gibt es Frauen, die wichtige Funktionen in dieser Regierung ausüben bis hin zu Ministerämtern. Viele Frauen haben damals zu den Waffen gegriffen und für das islamische Regime gekämpft. Es gibt sogar Frauen, die andere Frauen gefoltert haben. Heute noch sprechen Frauen andere Frauen auf der Straße an und sagen: Du mußt dich verschleiern, sonst kriegst du Ärger.

Es ist nicht so, daß alle Frauen gegen das Regime sind und das Regime nur Männer begünstigt. Das Problem ist, daß sie die Menschen davon überzeugen wollen, daß alles so sein soll, wie es ist. Die Islamisten haben viele Theorien dafür, warum Frauen angeblich schwächer sind. Diese Theorien werden in den Schulen unterrichtet. Sie sagen nicht, daß Frauen Menschen zweiter Klasse sind, sondern erklären es so, daß sie geschützt werden sollen. Wir klären darüber auf, daß Frauen auf diese Weise entrechtet werden. Ansonsten erlebe ich, daß viele Frauen in diesem Regime mitmachen und auch gute Chancen haben, Millionärinnen zu werden oder in der Regierung hohe Positionen zu bekleiden.

So sind viele Frauen an der Universität, aber das hat weniger mit dem Geschlecht zu tun, sondern eher damit, ob Familien oder Leute sich gegenüber dem Regime neutral verhalten und zumindest nicht gegen das Regime opponieren. Dann nehmen die Chancen auf gesellschaftlichen Aufstieg zu. Wer - ob Mann oder Frau - in irgendeiner Weise gegen das Regime ist, wird benachteiligt. Das hat mit dem jeweiligen Geschlecht nichts zu tun.

SB: Nach der Ermordung Soleimanis wurde allgemein befürchtet, daß es zwischen den USA und dem Iran zum offenen Krieg kommt. Zu solchen Situationen ist es in den letzten 20 Jahren mehrmals gekommen. Zu mehreren Anlässen wurde vermutet, daß die USA den Iran angreifen, doch es ist bis heute nicht dazu gekommen. Welchen Schluß ziehst du daraus?

VR: Wem nützt es, wer profitiert davon, wenn die Menschen jahrelang darüber spekulieren, ob es zu einem Krieg zwischen den USA und dem Iran kommt? Mit dieser Form der Berichterstattung und Rhetorik schaffen sie es, die Menschen davon zu überzeugen, daß beide Akteure miteinander verfeindet sind. Damit ist die ganze Welt beschäftigt, während die USA und auch der Iran meiner Meinung nach mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind. Die USA können nicht mehr so eigenmächtig wie früher agieren. Sie sind froh, wenn die Türkei nicht mehr so eine imperialistische Haltung entwickelt, wenn der Iran sich nicht mehr so sehr in der Region einmischt - oder wenn doch, dann in Absprache und unter Respektierung US-amerikanischer Interessen. Deswegen existiert aus meiner Sicht keine reale Kriegsgefahr.

So ein Krieg braucht eine ganz andere Vorbereitung. Es ist nicht so, daß Trump mit einer SMS einen Krieg befiehlt, das geht nicht. Allein für den Irakkrieg hat sich die halbe Welt zusammengetan, um Saddam Hussein zu entmachten. Der Iran hat mehr als doppelt so viele Einwohner wie der Irak und ein fast viermal so großes Staatsgebiet. Daher ist ein solcher Krieg für mich keine Frage, mit der ich mich beschäftigen muß.

SB: Vria, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:


[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0360.html


24. Februar 2020


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