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ALTER/233: Lateinamerika - Hohe Erwartungen an Altenkonvention (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Juli 2015

Lateinamerika: Hohe Erwartungen an Altenkonvention

von Emilio Godoy


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Stadtregierung von Cuautitlán-Izcalli

Ein Informationstreffen von Senioren in der Stadt Cuautitlán-Izcalli nördlich von Mexiko-Stadt
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Stadtregierung von Cuautitlán-Izcalli

MEXIKO-STADT (IPS) - "Unsere Rechte werden nur teilweise respektiert. An einigen Orten erfahren wir die Aufmerksamkeit, die wir brauchen; an anderen geschieht genau das Gegenteil", berichtet Hilda Téllez, eine 70-jährige Mexikanerin.

Wenige Stunden zuvor hatte sich ein Taxifahrer geweigert, ihren Rollstuhl zu transportieren. Téllez sieht sich nach eigenen Angaben gleich zweifach diskriminiert: als älterer und als behinderter Mensch. Die Seniorin ist seit einem Schlaganfall vor vielen Jahren halbseitig gelähmt.

"Den Schlaganfall verdanke ich dem Stress an meinem damaligen Arbeitsplatz", ist die ehemalige Mitarbeiterin im Büro der mexikanischen Staatsanwaltschaft überzeugt. Da sie vom Arzt aber keine entsprechende Bescheinigung erhalten hatte, konnte sie ihren Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht geltend machen. Deshalb muss die Seniorin, die vor der Pensionierung über 15 Jahre lang monatlich 1.250 Dollar verdient hatte, heute mit einer Rente in Höhe von 225 Dollar zurechtkommen.

In Lateinamerika und der Karibik stehen ältere Menschen vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Häufig diskriminiert und von ihren Familien vernachlässigt, fehlt es den über 60-Jährigen an Fürsorge, Beschäftigungsmöglichkeiten und sozialen Dienstleistungen.

All diese Probleme sollen mit Hilfe der Interamerikanischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte älterer Menschen gelöst werden, die am 15. Juni von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gebilligt wurde. Es fehlen noch die Ratifizierungen von zwei Mitgliedsländern, damit sie in Kraft treten kann. Bisher wurde sie von Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica und Uruguay ratifiziert.

Die Übereinkunft ist das erste regionale Instrument zur Förderung, zum Schutz und zur Anerkennung der Menschenrechte von Senioren. Sie verschafft den Betroffenen einen Anspruch auf ein umfassendes Fürsorgesystem, eine Vertragsstaatenkonferenz und einen Expertenausschuss, der den Staaten Empfehlungen unterbreitet. Außerdem räumt es Einzelpersonen, Gruppen oder Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit ein, bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission Beschwerde gegen OAS-Mitgliedsstaaten, einzulegen, die gegen die Konvention verstoßen.


Heer der Älteren wächst

In lateinamerikanisch-karibischen Raum sind derzeit 71 Millionen Menschen über 60 Jahre alt. Bis 2040 werden die Senioren zahlenmäßig an den Kindern vorbeiziehen, wie auf einem internationalen Forum des Lateinamerikanischen und Karibischen Demografiezentrums (CELADE) in Mexiko-Stadt über die Menschenrechte älterer Menschen zu hören war.

Nach Ansicht von Sandra Huenchúan, einer auf das Thema Altern spezialisierten CELADE-Expertin, besteht die Hauptherausforderung darin, die Senioren sozial abzusichern sowie ihnen den Zugang zu Gesundheitsdiensten und zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Außerdem sei es wichtig, Studien über die Rechte älterer Menschen zu erarbeiten.

"Häufig gibt es Probleme bei der Anwendung bestehender Gesetze und mit den rechtlichen Garantien, die die Umsetzung erst möglich machen", meinte sie. "Es gibt trotz aller Rechtsstandards unglaublich viele Bereiche, in denen Ältere ungeschützt sind."

Bolivien, Brasilien, Costa Rica, die Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Paraguay, Peru und Venezuela verfügen bereits über spezifische Gesetze zum Schutz der Rechte älterer Menschen.


Bild: © Maricel Sequeira /IPS

Die Hände der Costaricanerin América Herrera, die von Betrügern um ihr Hab und Gut gebracht wurde
Bild: © Maricel Sequeira /IPS

Wie María Isolina Dabove vom argentinischen Nationalrat für wissenschaftliche und technische Forschung (CONICET) gegenüber IPS erklärte, erkennt die Konvention erstmals die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen an. "Sie ist ein Instrument, das die Umsetzung der Rechte aller älteren Erwachsenen garantiert."

Zwischen 1950 und 2010 ist die Lebenserwartung der Lateinamerikaner von 51 auf 75 Jahre gestiegen. Bis Mitte des 21. Jahrhunderts wird sie nach Schätzungen von CELADE sogar auf 81 Jahre hochschnellen. CELADE ist die Bevölkerungsabteilung der UN-Wirtschafts- und Sozialkommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL).

In Argentinien, wo 14 Millionen der rund 40 Millionen Bürger über 60 Jahre alt sind, ist der Nationalen Untersuchung von 2012 über die Lebensqualität älterer Menschen zu entnehmen, dass bis 2050 jeder fünfte Argentinier über 65 Jahre alt sein könnte. In Mexiko mit einer Bevölkerung von 120 Millionen Menschen sind sieben Millionen Bürger bereits über 65 Jahre alt. Erwartet wird, dass bis 2050 30 Millionen Mexikaner dieser Altersgruppe angehören werden.

In Brasilien, dem bevölkerungsreichsten Land der Region, leben 200 Millionen Menschen. Dort geht man davon aus, dass die Zahl der über 60- Jährigen von derzeit zehn Millionen auf mehr als 16 Millionen bis 2025 und auf 29 Millionen bis 2050 wachsen wird.


Spezialeinrichtungen gefordert

Téllez ist über das Institut für Sozialversicherungen und - dienstleistungen der Staatsbediensteten versichert. Ihrer Meinung nach sollte der Staat Spezialkliniken aufbauen, um die medizinische Versorgung der Älteren zu beschleunigen und effizienter zu gestalten. Außerdem schlägt sie vor, dass diese Spezialeinrichtungen auch ältere Menschen beschäftigen.

Angesichts des fortschreitenden demografischen Wandels könnten Lateinamerika und die Karibik ihren Vorteil, eine sehr junge Bevölkerung zu sein, in naher Zukunft einbüßen. CELADE rät den Staaten, dass sie mehr in die Bildung und Gesundheit von Kindern, jungen Leuten und Frauen investiert.

"Die Regierungen sollten sich mit dem Alterungsprozess auseinandersetzen, der sich nicht auf das Sozialversicherungssystem, sondern auch auf die Lebensqualität der Gemeinschaft und die Entwicklung der Länder auswirken wird", betont Huenchúan. Es sei möglich, Vorkehrungen zu treffen, die nicht nur eine bessere Versorgung älterer Menschen bewirken könnten, sondern ihnen auch bessere Bedingungen für die Ausübung ihrer Rechte verschaffen würden. (Ende/IPS/kb/20.07.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/07/america-latina-enfila-hacia-gerontocracia-con-nueva-convencion/
http://www.ipsnews.net/2015/07/new-convention-will-help-protect-latin-americas-elderly/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2015

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