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ARBEIT/491: Brasilien - Sklavenarbeit in der Landwirtschaft, Übeltätern droht Enteignung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juni 2012

Brasilien: Sklavenarbeit in der Landwirtschaft - Übeltätern droht Enteignung

von Clarinha Glock

Zuckerrohrplantage im Bundesstaat Sao Paulo - Bild: © Nico Esteves/IPS

Zuckerrohrplantage im Bundesstaat Sao Paulo
Bild: © Nico Esteves/IPS

Rio de Janeiro, 22. Juni (IPS) - Auch im 21. Jahrhundert müssen noch Zehntausende Menschen in Brasilien unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Allein im vergangenen Jahr haben Inspektoren des Arbeitsministeriums mehr als 2.500 Arbeiter aus ihrer Notlage befreit. Durch eine Verfassungsreform sollen Landbesitzer nun zur Raison gebracht werden.

Die neue Regelung gestattet der Regierung, Land und andere Vermögenswerte zu beschlagnahmen, deren Eigentümer ihre Arbeiter wie Sklaven behandeln. So können die betroffenen Grundstücke in den ländlichen Gebieten dem staatlichen Agrarreformprogramm zugeschlagen werden, während städtische Besitztümer an soziale Organisationen gehen sollen.

Die nach zehn Jahren Wartezeit am 22. Mai vom Abgeordnetenhaus in Brasilia verabschiedete Verfassungsänderung wurde bereits im ganzen Land gefeiert und muss nun noch von einem Ausschuss des Senats auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden.

"Das ist ein wichtiger Sieg. Verschiedene Teile der Gesellschaft, darunter 120 Bischöfe, Künstler und Intellektuelle, haben uns deutlich ihre Unterstützung gezeigt", sagte Xavier Plassat, Koordinator der Nationalen Kampagne gegen Sklavenarbeit der Pastoralen Landkommission (CPT). "Der Grundbesitz ist das Instrument, mit dem die Verbrechen begangen werden. Die Tatsache, dass das Land der Agrarreform zugeschlagen wird, ist zugleich eine Strafe und eine Lösung, die den Teufelskreis der Sklaverei unterbricht."

Plassat betonte zudem, dass die Entscheidung der Abgeordneten eine symbolische Bedeutung habe und im Einklang mit der Verfassung stehe. "Würde ist mehr wert als Landbesitz, der nun an die Anerkennung der sozialen Funktion des Landes gebunden sein wird."

Der Aktivist hob zugleich hervor, dass bestimmte Kreise im Parlament, die die Interessen von Großgrundbesitzern verträten, erbitterten Widerstand gegen den Verfassungszusatz geleistet hätten. Sie hätten darauf beharrt, dass es keine Sklavenarbeit gebe und niemand in Ketten arbeite, erklärte er.

Gemäß Artikel 149 des Strafgesetzbuches wird Sklavenarbeit als Straftat betrachtet, auf die zwei bis acht Jahre Haft sowie Geldstrafen und Schadenersatz an die Opfer stehen. 2003 wurde das Gesetz dahingehend ergänzt, dass alle Handlungen, mit denen Arbeiter am Verlassen ihrer Arbeitsstelle gehindert werden, strafbar sind.


Schwierige Beweisführung

Beobachter gehen davon aus, dass die Dunkelziffer weit höher ist als die bekannten Fälle. Die Strafverfolgungsbehörden sind von Berichten aus oftmals schwer zugänglichen Gebieten abhängig, um die Ausbeuter in flagranti zu stellen und vor Gericht zu bringen.

Statistiken des Arbeitsministeriums belegen, dass zwischen 1995 und 2011 etwa 42.000 Arbeiter aus sklavenähnlichen Beschäftigungsverhältnissen befreit wurden. Die meisten von ihnen waren in der Viehzucht, Kohleförderung sowie auf Zuckerrohr-, Kaffee- und Baumwollplantagen und in Baumschulen tätig, schlugen Holz oder zapften Kautschuksaft aus Gummibäumen. Auch in Städten werden Menschen versklavt. Sie arbeiten in der Regel in Textilfabriken, Hotels, Bordellen, Haushalten und auf dem Bau.

Auch wenn die Arbeiter aus ihrem Dilemma befreit werden, heißt dies noch nicht, dass ihre Rechte respektiert werden. Moderne Sklaverei stehe mit extremer Armut in Verbindung. Überwachung allein reiche nicht aus, um sie zu beseitigen, geht aus dem 'Atlas der Sklavenarbeit in Brasilien' hervor, der von Wissenschaftlern an zwei Universitäten in São Paulo zusammengestellt und am 16. April von der Umweltorganisation 'Friends of the Earth Brasilien' veröffentlicht wurde.

Um derartige Verbrechen zu verhindern, müsse den Arbeitern eine angemessene Existenzgrundlage garantiert werden, damit sie nicht wieder der Sklaverei zum Opfer fielen, schrieben die Autoren.

In dem Ort Vacaria in dem südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul wurde ein Arbeitgeber verurteilt, der Jugendliche auf einer Pinienplantage ausbeutete. Er musste den Opfern Schadenersatz zahlen. Kaum war der Fall vom Tisch, mussten die Opfer ihrem Arbeitgeber einen Teil des Geldes zurückerstatten. Als der Plantagenbesitzer deswegen zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verteidigte er sich damit, dass er sich als Kleinunternehmer die Zahlungen nicht leisten könne.


Geldstrafen unzureichend

Der Jurist Rodrigo Maffei, der die Ermittlungen in Vacaria für das Arbeitsministerium geführt hatte, hält die in dem Verfassungszusatz vorgesehene Landbeschlagnahmung für eine wirksame Waffe gegen Sklavenarbeit. "Die von dem Ministerium verhängten Geldstrafen haben nicht die erwünschte Wirkung", sagte er. Bislang sieht die Landesverfassung Enteignungen nur vor, wenn auf den Ländereien illegal Drogen angebaut werden.

Im brasilianischen Strafrecht werden unter Sklavenarbeit unter anderem Tätigkeiten verstanden, die die Menschenwürde verletzen oder so lange Arbeitszeiten vorsehen, dass sich die Beschäftigten weder körperlich erholen noch soziale Kontakte unterhalten können. Unter die Definition fallen außerdem Arbeiten, die die Bewegungsfreiheit einschränken und unter Zwang verrichtet werden müssen. In manchen Fällen werden die Opfer räumlich isoliert, müssen ihre Ausweisdokumente abgeben und werden physisch oder psychisch bedroht. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

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http://amazonia.org.br/amigosdaterra/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100996
http://www.ipsnews.net/2012/06/brazil-takes-steps-to-confiscate-property-of-landowners-using-slave-labour/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2012