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ARBEIT/538: Bangladesch - Textilarbeiter wollen 100-Dollar-Monatslohn, Unternehmerlobby bremst Forderungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2013

Bangladesch: Textilarbeiter wollen 100-Dollar-Monatslohn - Starke Unternehmerlobby bremst Forderungen

von Robert Stefanicki


Bild: © Robert Stefanicki/IPS

Mahnmal an der eingestürzten Textilfabrik in Dhaka, unter deren Trümmern mehr als 1.000 Menschen begraben wurden
Bild: © Robert Stefanicki/IPS

Dhaka, 7. Oktober (IPS) - In den Industriegebieten am Rand von Dhaka, wo sich kleine und große Textilfabriken aneinanderreihen, sind kürzlich Tausende Arbeiter auf die Straße gegangen, um einen höheren Mindestlohn zu fordern. Seit die Beschäftigten wissen, welche Preise ihre Produkte im Ausland erzielen, wollen sie sich nicht mehr mit Brosamen zufriedengeben.

In der letzten Woche blockierten die Demonstranten Straßen, steckten Produktionsanlagen in Brand und lieferten sich Gefechte mit der Polizei, die Tränengas und Gummigeschosse einsetzte. Etwa 200 Fabriken, in denen Kleidung für Konzerne wie 'H&M' und 'Carrefour' hergestellt wird, mussten eine Woche lang geschlossen bleiben.

Zuletzt hatte die Regierung vor drei Jahren den Mindestlohn für Textilarbeiter angehoben. Jetzt verlangen die Beschäftigten eine weitere Erhöhung von umgerechnet 38 auf 100 US-Dollar. Das entspricht ungefähr dem Preis, zu dem ein Paar in Bangladesch genähter Markenjeans in Berlin und anderen westlichen Großstädten verkauft wird. Die Arbeitgeber erklärten sich jedoch nur mit einer 20-prozentigen Lohnerhöhung einverstanden. Die meisten Kommentatoren bezeichneten das Angebot als schlechten Witz. In der Folge kam es zu Tumulten.


Textilarbeiter verdienen am wenigsten

In Bangladesch wird der Mindestlohn in jeder Industriesparte separat festgelegt. Die Unterschiede können gewaltig sein. Transportarbeiter und Verkäufer in Geschäften erhalten doppelt so viel wie die drei Millionen Textilarbeiter in dem südasiatischen Land. Letztere befinden sich auch im weltweiten Vergleich ganz unten auf der Einkommensskala. Laut einer Studie der japanischen Organisation für Außenhandel, die im Dezember 2012 veröffentlicht wurde, verdienen lediglich die Kollegen in Myanmar noch weniger. Im benachbarten Indien sind die Löhne für Textilarbeiter doppelt so hoch wie in Bangladesch. In China betragen sie sogar das Fünffache.

Da viele Arbeiter in Bangladesch täglich elf bis zwölf Stunden in der Fabrik sind, kommen sie wegen der Überstunden auf Monatslöhne zwischen 102 und 115 Dollar. Experten drängen aber auf eine Erhöhung des Mindestlohns, weil dies für alle eine Verbesserung bedeuten würde.

Nach Ansicht des Gewerkschaftsführers Masood Rana drücken die Proteste aus, dass sich die Arbeiter inzwischen ihrer Rechte bewusster seien. Nachdem bei dem Einsturz des Industriekomplexes 'Rana Plaza' in Dhaka im vergangenen April 1.133 Arbeiter ums Leben gekommen waren, erfuhren die Beschäftigten, wie viel die Verbraucher im Ausland für die von ihnen gefertigte Kleidung bezahlen.

Fabrikbesitzer Reaz bin Mahmood, der Vizepräsident der Vereinigung der Textilproduzenten und -exporteure in Bangladesch (BGMEA) ist, sieht die Proteste hingegen als Werk "politischer Provokateure", die er nicht näher benannte. "Das Problem kann nicht auf der Straße gelöst werden", erklärte er. "Ein Regierungsausschuss ist damit beschäftigt, den Mindestlohn neu festzulegen. Das Ergebnis wird voraussichtlich im November angekündigt. Wenn die Proteste weitergehen, befürchte ich aber, dass dies nicht der Fall sein wird."


Mehrere Lohnmodelle diskutiert

Mehrere Lohnmodelle sind derzeit im Gespräch. Wie Khondaker Moazzem von der Denkfabrik 'Centre for Policy Dialogue' (CDP) in Dhaka berichtete, hat sein Institut eine wirtschaftliche Analyse der Lebenshaltungskosten der Arbeiter unter der Voraussetzung vorgenommen, dass die Löhne für die Versorgung der jeweiligen Familien ausreichen. Dabei gab es drei Möglichkeiten der Orientierung. Die erste, eine Ausrichtung des Mindestlohnes an der Armutsgrenze, die bei einem Einkommen von 80 Dollar liegt, wurde von dem Zentrum als inakzeptabel zurückgewiesen.

Die zweite Option basiert auf dem 'angestrebten Level'. Sie geht davon aus, dass ein Beschäftigter mindestens 220 Dollar verdienen müsste, um gut essen und das Leben genießen zu können. Auch sie wurde aber verworfen, weil der Mindestlohn nicht höher sein sollte als das landesweite Durchschnittseinkommen. Die dritte Option entsprach schließlich den Forderungen der Arbeiter.

"Nachdem wir unsere Empfehlungen an die Regierung geschickt hatten, kamen auf einmal viele Anrufe von Fabrikbetreibern", schmunzelte Moazzem. "Sie sagten mir, sie wären bereit, mir einige Farbiken zu überlassen, damit ich versuchen könnte, bei solch exorbitanten Gehältern noch Gewinne zu machen."

BGMEA-Sprecher Mahmood zufolge steigen die Produktionskosten jedes Jahr um 13 Prozent. "Bangladesch muss Baumwolle importieren, während sie in Indien selbst angebaut wird. Außerdem verlieren die Währungen von Indien, Indonesien und der Türkei weiter an Wert, während unsere stark bleibt. Deshalb sind wir immer weniger wettbewerbsfähig."

Mahmood räumte allerdings ein, dass die Beschäftigten effizient arbeiten würden. "Ich sehe ein, dass sie mehr verdienen müssen, dafür müssten mir die Händler aber auch mehr zahlen. Die Kunden in westlichen Ländern sind mit verantwortlich für das niedrige Lohnniveau in Bangladesch", betonte er.


Westliche Handelsketten machen dicken Gewinn

Moazzem zufolge verdienen vor allem die Einzelhändler an der in Bangladesch produzierten Ware. Die Gewinne bewegten sich zwischen 55 bis 65 Prozent. 25 Prozent entfielen auf die Materialkosten, und die übrigbleibenden 15 Prozent würden zu gleichen Teilen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten aufgeteilt.

Ob die Arbeiter nun das erhalten, was sie fordern, ist ungewiss. Die Regierung wird die Gans, die goldene Eier legt, aber sicher nicht schlachten. Immerhin erwirtschaftet die Textilindustrie 80 Prozent der jährlich rund 22 Milliarden Dollar Exporteinnahmen des Landes. Und knapp ein Drittel aller Parlamentarier im Land sind Unternehmer, die meisten in der Textilindustrie, die wiederum die größten Parteien finanziert.

Nach Gesprächen mit den Führern von mehr als 40 Gewerkschaftern haben die Fabrikeigentümer versprochen, die Löhne sofort anzuheben, sobald der Regierungsausschuss eine Zahl festgelegt hat. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.cpd.org.bd/
http://www.ipsnews.net/2013/10/100-dollar-dream-teases-bangladesh-workers/

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IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013