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ARBEIT/548: Textilfabriken in Bangladesch - eine Endlosschleife...? (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 125, 3/13

Textilfabriken in Bangladesch - eine Endlosschleife aus Ausbeutung, Katastrophe und Entsetzen?

Von Petra Dannecker



Die im April 2013 eingestürzten Textilfabrikgebäude forderten das Leben vieler Arbeiterinnen und lösten internationale Forderungen nach gerechteren Arbeitsbedingungen aus. Warum sich diese Szenerie stetig wiederholt und sich trotz aller Proteste nichts an der Arbeitssituation der Frauen ändert, wird im folgenden Artikel untersucht.


Die Bilder des eingestürzten Gebäudes im April 2013 in Bangladesch, in dem sich fünf Bekleidungsfabriken befanden, die für den globalen Markt produzieren, haben die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie gelenkt. Die über 1200 Toten sowie die Bilder der verletzten Arbeiter_innen haben kurzzeitig den Ruf nach Mindestlöhnen und einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen laut werden lassen.

Die Schuldigen waren schnell gefunden: lokale Fabrikbesitzer, die "korrupte" nationale Regierung sowie transnationale Konzerne, die ihre Produktion nach Bangladesch auslagern, um die Produktionskosten zu senken und auf dem Konsumgütermarkt weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. Dass die Senkung der Produktionskosten nur über geringe Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen und vor allem über niedrige Lohnkosten, gerade auch vor dem Hintergrund der Konkurrenz zwischen einzelnen Ländern und Regionen, möglich ist, wurde ebenso wenig thematisiert, genauso wenig wie die Rolle der Konsument_innen im globalen Norden, immer auf der Suche nach den günstigsten Angeboten.

Die Arbeiterinnen blieben unsichtbar und Opfer: Opfer globaler Machtstrukturen, internationaler Konzerne, nationaler Regierungen und lokaler Geschlechterverhältnisse. Das alles trifft zweifelsfrei zu - was allerdings nach der Katastrophe bleiben wird, ist einzig das Etikett "made in Bangladesch" in unserer Kleidung.


Falsche Fragen - keine Antworten

Abermals wurden entscheidende Fragen nicht gestellt, etwa warum unter den Opfern so viele Frauen waren und wer diese Arbeiterinnen eigentlich sind. Das muss offensichtlich auch nicht gefragt werden, da das Bild der "billigen", "ungebildeten" und "fügsamen" asiatischen Arbeiterin so dominant, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung scheinbar so naturgegeben ist und vor allem weil seit Jahrzehnten argumentiert wird, Arbeitsmärkte seien geschlechtsneutral.

Vorzugsweise im globalen Süden wird die Spezialisierung von Frauen auf den Reproduktionsbereich, ihre fehlende Bildung oder die Migration vom ländlichen in den städtischen Raum für geschlechtsspezifische Segmentierung verantwortlich gemacht, sprich: die Angebotsseite. So dienen die Diskriminierungen außerhalb des Arbeitsmarkts und lokale Geschlechterverhältnisse der Legitimierung unterschiedlicher Einbindung von Frauen und Männern in den Arbeitsmarkt und der darauf beruhenden Bezahlung. Die aktuelle Berichterstattung hat gezeigt, dass sich an der Konstruktion der "armen" Frauen als unterdrückte "Andere" in den letzten Dekaden wenig geändert hat.

Mangelnde Qualifikation ist das Zauberwort in der Konstruktion weiblicher Tätigkeiten. Die Qualifikation von Frauen ist ihre "typisch" weibliche Fingerfertigkeit und Geduld. Im diskursiven Universum von Management, Arbeit und internationalen Konzernen stehen Nähmaschinen, da sie einfach zu bedienen sind, für anspruchslose Technologie, während Bügeleisen oder Schneidemaschinen als technologisch anspruchsvoller und risikobehaftet konstruiert werden, also mit männlichen Attributen versehen sind. Diese Verbindung von Maskulinität und Qualifikation ist mit Status verbunden und wird entsprechend höher entlohnt.

Ihren Ursprung hat die geschlechtsspezifische Grenzziehung zwischen Tätigkeiten in der Natur des Produktionsprozesses, insbesondere in exportorientierten Sektoren. In Bekleidungsfabriken findet der Großteil der Arbeit (70%) an Nähmaschinen statt, daher müssen gerade die Arbeitskosten in diesem Bereich über die Konstruktion von Qualifikation bzw. fehlender Qualifikation niedrig gehalten werden. Überträgt man diese Argumentation auf globale Güterketten, wiederholt sich das Muster: je höher die Position eines Unternehmens in der Kette, desto größer der Anteil der Arbeiter und desto höher die Entlohnung.


Sexualität und Körperlichkeit

Frauen sind qua Geschlecht "fügsamer", das prädestiniert sie nicht nur für die Rolle als Opfer, sondern auch als billige Arbeitskräfte. Die "Fügsamkeit" ist das Resultat spezifischer Formen der Kontrolle und Machtausübung in den Fabriken, die stark über Körperlichkeit und Sexualität hergestellt wird. Neben spezifischen Kontrollmechanismen, wie dem Verschließen der Fabriken nach Arbeitsbeginn oder die Einschränkung der Mobilität - beides Ursachen für die vielen Toten bei den regelmäßigen Bränden in Fabriken -, sind es die sexuellen Diskurse in den Fabriken, die die Schlüsselkategorie in der Konstruktion von Machtbeziehungen zwischen Geschlechtern am Arbeitsplatz herstellen.

Das "Verfügen" über sexuelle Diskurse ist Macht, so wie es auch ein Ausdruck von Macht ist, anderen zu verbieten, an diesem Diskurs teilzunehmen. Der Gebrauch sexualisierter Sprache von männlichen Vorgesetzten und Kollegen ist nicht nur der Versuch, Frauen an "ihren" Platz zu verweisen, sondern auch eine Strategie, männliches Zusammengehörigkeitsgefühl über männliche heterosexuelle Diskurse aufzubauen.


Blickwechsel

Trotz der komplexen Herrschaftsverhältnisse agieren, erleben und erfinden sich die Arbeiterinnen immer wieder neu - sie sind politische Subjekte trotz der diskursiven Rahmung, dementsprechend müssen auch sie als aktive Akteurinnen wahrgenommen und angesprochen werden. Widerstand kann und sollte nicht reduziert werden auf gewerkschaftliche Organisation oder auf Arbeitsbeziehungen. So kann die Migration vom ländlichen in den städtischen Bereich und die Suche nach einem Arbeitsplatz in einer der vielen Bekleidungsfabriken bereits als Form des Widerstands definiert werden, z. B. Widerstand gegen arrangierte Ehen oder gegen die Arbeit als Hausangestellte.

Auch innerhalb der Fabriken sind die Arbeiterinnen trotz der beschriebenen Kontrollmechanismen nicht allein Opfer, sie haben Netzwerke gebildet zur Bewältigung des Alltags außerhalb und innerhalb der Fabriken und zum Austausch von Wissen, von Taktiken und Informationen. Sie kämpfen gemeinsam für bessere Bezahlung oder gegen verspätete Lohnzahlung - trotz der Versuche, über die Organisation der Arbeit Proteste im Keim zu ersticken. Genau diese Formen des Widerstands werden von den Akteur_innen, die nach der Katastrophe medienwirksam mehr Rechte und bessere Arbeitsbedingungen eingefordert haben, nicht berücksichtigt.

Die traditionellen Gewerkschaften in Bangladesch, die meist eng mit politischen Parteien kooperieren, haben die Arbeiterinnen in den Bekleidungsfabriken lange Zeit nicht wahrgenommen, ebenso wenig wie die internationalen. Fehlendes Bewusstsein, ländliche Herkunft und mangelnde Bildung werden immer wieder als Ursachen herangezogen, um das sogenannte Desinteresse der Arbeiterinnen an gewerkschaftlicher Arbeit zu erklären. War das der Grund, warum die Arbeiterinnen selbst nach der Katastrophe nicht zu Wort kamen, dass stattdessen eine Vielzahl von nationalen und internationalen Akteuren für sie gesprochen hat?


Fazit

Vor 20 Jahren begann ich mich mit dem Bekleidungssektor in Bangladesch zu beschäftigen, seitdem hat sich nichts geändert, weder die Arbeitsbedingungen noch die Bezahlung. Auch die internationale und nationale Bestürzung nach Katastrophen wie zuletzt in Savar folgt dem gleichen Muster und wird erneut folgenlos bleiben.

Unverändert blieb die Bereitschaft der Arbeiterinnen, Organisationen zu gründen oder zu unterstützen, wenn diese ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten Rechnung tragen. Geblieben ist leider auch die mangelnde Unterstützung für die Arbeiterinnen und die Tatsache, dass viel zu selten die Arbeiterinnen und deren Lebens- und Arbeitswelten sowohl der Ausgangspunkt als auch im Zentrum internationaler Berichterstattung und transnationaler Solidarität stehen. Das hätte die Katastrophe wahrscheinlich nicht verhindert, aber es hätte gezeigt, dass die Arbeiterinnen um ihre Rechte wissen, sie allerdings Unterstützung brauchen, damit diese umgesetzt werden können, und nicht Mitleid, welches beim nächsten Kleidungskauf wieder verflogen ist.


Lesetipps:
Entwicklungspolitisches Netzwerk Hessen e. V. (2012): Entwicklungspoiitik, Gewerkschaften und Wissenschaft zu globalen Arbeitsrechten und Sozialstandards. Frankfurt a. M.
Kabeer, Naila (2008): Globalization, labor standards, and women's collective rights: dilemmas of collective (in) action in an interdependent world, in: Feminist Economics, 10 (1) 3-35.


Zur Autorin:

Petra Dannecker ist Professorin für Entwicklungssoziologie und Leiterin des Instituts für Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Sie arbeitet zu den Themenfeldern Entwicklungspolitik, Globalisierung und Migrationsprozesse, Gender Studies, Transnationalismus und Migration.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 125, 3/2013, S. 16-17
Medieninhaberin und Herausgeberin:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2014