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ARBEIT/563: Kambodscha - Miserable Arbeitsbedingungen unterlaufen Recht auf reproduktive Selbstbestimmung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juni 2014

Kambodscha:
Miserable Arbeitsbedingungen unterlaufen Recht auf reproduktive Selbstbestimmung

von Michelle Tolson


Bild: © Michelle Tolson/IPS

Textilarbeiterinnen in Kambodscha
Bild: © Michelle Tolson/IPS

Phnom Penh, 4. Juni (IPS) - In dem südostasiatischen Staat Kambodscha, dessen etwa 14 Millionen Einwohner zu 60 Prozent weiblich sind, wird das Recht der Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung durch unsichere Arbeitsverträge, gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen und das weitgehende Fehlen von Sozialleistungen für Mütter unterminiert.

Diese Missstände sind vor allem in der Bekleidungsindustrie zu beobachten, die 80 Prozent zu den gesamten Exporten des südostasiatischen Landes beiträgt. Ungefähr 90 Prozent der Arbeitskräfte in diesem Bereich sind Frauen, deren Arbeitsrechte mit Füßen getreten werden.

Seit der Staat 2005 ein Freihandelsabkommen mit der Welthandelsorganisation WTO schloss, sind langfristige Verträge durch Kurzzeit- und befristete Verträge verdrängt worden. Letztere werden von ostasiatischen Fabrikbesitzern und westlichen Herstellern wie 'Gap', 'Walmart' und 'H&M' bevorzugt. Die informellen Einigungen "verstoßen gegen die Reproduktionsrechte der Arbeiterinnen", sagt Sophea Chrek vom 'Workers Information Center' (WIC).

"Frauen mit Kurzzeitverträgen für drei bis sechs Monate oder manchmal sogar nur für einen Monat setzen ihren Job nicht wegen eines Babys aufs Spiel", sagt Chrek. "Normalerweise entscheiden sie sich zu einer Abtreibung, bevor der Vertrag endet, damit die Vorarbeiter ihren Zustand nicht bemerken."


Mutterschutz durch Fristverträge ausgehebelt

Gemäß dem kambodschanischen Arbeitsrecht sind Fabriken dazu verpflichtet, Frauen Mutterschutzurlaub zu gewähren. Die meisten entziehen sich dieser Verantwortung durch Kurzzeitverträge. Die rund 600.000 Arbeitskräfte sind somit der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert.

Laut Melissa Cockroft, Beraterin für sexuelle und reproduktive Gesundheit, greifen Frauen, die keinen Zugang zu Familienplanungsdienstleistungen haben, oftmals zu frei verkäuflichen chinesischen Arzneimitteln, um ihre Schwangerschaft abzubrechen. Diese Methoden können tödliche Folgen haben. Dennoch tun sich Kambodschanerinnen schwer damit, den kostenlosen Rat von Hilfsorganisationen einzuholen.

Wie Cockroft erklärt, lassen zehn bis zwölf Stunden lange Arbeitstage mit kurzen Pausen meist keine Zeit, um Beratungstermine wahrzunehmen. Viele Arbeiterinnen hätten so viel zu tun, dass sie nicht einmal über eigene Kinder nachdenken könnten. Erschwerend kommt hinzu, dass sexuelle Gesundheit in der traditionell orientierten Gesellschaft Kambodschas ein Tabuthema ist.

Dem Gesetz zufolge haben berufstätige Mütter Anspruch auf eine Betreuung ihrer Kinder. Cockroft hat jedoch in mehreren Jahren erst einen einzigen Betriebskindergarten gesehen. Manche Frauen lassen ihre Kinder zu Hause, um ihnen das strapaziöse Pendeln zu ersparen. Viele Fabrikarbeiterinnen fahren in überfüllten Lastern oder Motorradtaxis auf unsicheren Straßen zu ihren Arbeitsstellen.

Oft werden Säuglinge in ländlichen Gebieten zu Hause von ihren Großmüttern versorgt, während die Mütter in den Städten arbeiten und umgerechnet knapp 100 US-Dollar im Monat verdienen. Gewerkschaftsführer wollen eine Erhöhung auf 160 Dollar durchsetzen. Wie Cockroft und Chrek betonen, halten sich Textilarbeiterinnen selbst für viel 'zu arm', um Kinder in die Welt zu setzen.


Alkohol gefährdet Nachwuchs von Barhostessen

Nicht besser sieht es für Frauen in der so genannten 'Vergnügungsbranche' aus. Informelle Verträge verhindern auch hier den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Außerdem ist die Gefahr groß, dass die Kinder von Bardamen ein Fetales Alkoholsyndrom entwickeln, wie der Experte Ian Lubek betont. Untersuchungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO kommen zu dem Schluss, dass die Frauen, die Gäste zum Trinken animieren, ebenso wie die Bierverkäuferinnen pro Abend etwa elf Drinks zu sich nehmen.

Jahrelanger Druck seitens der Gewerkschaften hat immerhin bewirkt, dass Frauen, die für internationale Bierbrauer arbeiten, inzwischen besser bezahlt werden. Die Beschäftigten der 'Cambrew'-Brauerei erhalten derzeit einen Lohn von etwa 160 Dollar im Monat. Phal Sophea von der Gewerkschaft CFSWF weiß, dass Frauen, die höhere Löhne erhalten, weniger unter Druck stehen, sich zu prostituieren.

Von allen erwerbstätigen Frauen haben es Straßenstricherinnen am schwersten, Kinder großzuziehen. Sie sind gesellschaftlich ausgegrenzt und oft Polizeigewalt und willkürlichen Festnahmen ausgesetzt.

Während Gewerkschaften für Frauen in der Vergnügungsbranche Verträge aushandeln können, sind Sexarbeiterinnen völlig ungeschützt. 2006 hatte das von Prostituierten geführte Frauen-Netzwerk für Einigkeit (WNU) immerhin informelle Schulen in den Häusern eingerichtet, in denen Sexarbeiterinnen leben. Dort werden fünf- bis 16-jährige Kinder in Khmer, Englisch, Mathematik und Kunst unterrichtet.

Die Initiative, die mit dem Asiatisch-Pazifischen Netzwerk von Sexarbeitern zusammenarbeitet, hat bereits 184 Kindern Zugang zum staatlichen Schulsystem ermöglicht. WNU-Vorstandsmitglied Socheata Sim zufolge werden nicht nur Kinder von Prostituierten, sondern auch von HIV-Infizierten und Slumbewohnern aufgenommen, denen überdies stets eine Vertreibung aus ihren bescheidenen Unterkünften droht.

Arbeitsmarktstatistiken belegen, dass Kambodschaner, die in Städten wohnen, monatlich mindestens 150 Dollar zum Überleben brauchen. Die Löhne liegen aber zumeist unterhalb von 100 Dollar. Etwa 40 Prozent aller Kambodschaner sind chronisch mangelernährt. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/05/working-cambodian-women-too-poor-to-have-children

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IPS-Tagesdienst vom 4. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2014