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ARBEIT/597: Lateinamerika - Staaten entwickeln Strategien gegen Jugendarbeitslosigkeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2015

Lateinamerika: Staaten entwickeln Strategien gegen Jugendarbeitslosigkeit

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Junge Straßenverkäuferin in Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

BUENOS AIRES (IPS) - Gut 56 Millionen junge Menschen gehören zu dem Heer der Arbeitslosen Lateinamerikas. Darüber hinaus sind viele von denen, die einen Job haben, im informellen Sektor tätig. Die Regierungen sind jedoch dabei, sich nach Lösungen für das Problem umzusehen, das die Zukunft der neuen Generationen zu unterminieren droht.

Einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge ist die Beschäftigungslosigkeit unter den 14- bis 25-Jährigen drei Mal höher als bei den Erwachsenen.

Wie der Koordinator der Studie, der Peruaner Guillermo Dema, erklärt, besteht ein weiteres Problem in der Unsicherheit und schlechten Qualität der Stellen, die jungen Leuten zugänglich seien.

Sieben Millionen Menschen sind in Lateinamerika von der Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Das bedeutet, dass sie 40 Prozent aller Beschäftigungslosen der Region stellen. Weitere 27 Millionen arbeiten unter prekären Bedingungen. 108 Millionen der 600 Millionen Lateinamerikaner werden den jungen Bevölkerungsgruppen zugerechnet.


Prekär auf ganzer Linie

"Sechs von zehn Arbeitsplätzen für junge Menschen sind heute im informellen Sektor angesiedelt", berichtet Dema. "In der Regel handelt es sich um qualitativ schlechte, wenig produktive und unterbezahlte Jobs, die weder stabil noch zukunftsweisend sind und darüber hinaus weder sozialen Schutz noch Rechte gewährleisten."

Wie Gala Díaz Langou vom Argentinischen Zentrum für die Umsetzung der öffentlichen Maßnahmen für Gleichheit und Wachstum erklärt, kann die Schattenwirtschaft den Menschen keine menschenwürdige Arbeit bieten. Die Arbeitsplätze seien nicht sicher, die Beschäftigten ohne Kranken- und Rentenversicherung. Auch seien sie nicht gewerkschaftlich organisiert und somit ihren Arbeitgebern schutzlos ausgeliefert.

Laut ILO ist der Anteil armer Menschen, die in der informellen Wirtschaft arbeiten, überproportional hoch. Nur 22 Prozent der jungen Leute, die aus dem ärmsten Fünftel der Bevölkerung stammen, verfügen über reguläre Arbeitsverträge, und nur zwölf Prozent sind sozialversichert. Doch auch die jungen Männer und Frauen der Mittelschicht sind vor prekären Arbeitsverhältnissen nicht gefeit. Dies gilt auch für jene, die über einen höheren Bildungsabschluss verfügen.

"Das große Problem bei der Arbeitssuche ist das, was ich einen 'Teufelskreis' nenne", meint ein 23-jähriger Argentinier, der sich sein Studium selbst finanziert. "Um einen Job zu bekommen, braucht man Arbeitserfahrung, aber um Arbeitserfahrung zu bekommen, braucht man einen Job. Scheinbar kommt man weiter, wenn man studiert hat, doch es gibt das Problem der 'guten' und der 'schlechten' Universitäten. Nur wenn du an einer namhaften Hochschule studierst, stehen dir alle Türen offen."

Die meisten prekären Jobs bieten Klein- und Mikro-Unternehmen, die formell gar nicht existieren. Doch 32 Prozent der jungen Leute, die in formell registrierten Unternehmen beschäftigt sind, leiden dem ILO-Bericht zufolge ebenfalls unter schlechten Arbeitsbedingungen.

Der Anteil junger Lohnempfänger, die im informellen Sektor arbeiten, liegt bei 45,4 Prozent, während bei denen, die selbstständig sind, der Anteil auf 86 Prozent hochschnellt.

"Wenn man jung ist, denkt man nicht an die Rente. Man denkt ans Hier und Jetzt", sagt der argentinische Student, der in einem Hotel arbeitet. "Doch nicht wir sind schuld, sondern das kapitalistische System. Verantwortlich sind die Arbeitgeber, die dich nicht versichern, die dich zwingen, dich zu verstecken, wenn ein Kontrolleur erscheint. Und auch der Staat hat schuld, weil er nicht für die Überprüfungen sorgt, die erforderlich sind, und zulässt, dass sich Beamten korrumpieren lassen."

Dema zufolge frustrieren und entmutigen die informellen Beschäftigungsverhältnisse diejenigen, die sich um ihre Chancen auf eine richtige Stelle geprellt sehen. "Das hat soziale, wirtschaftliche und politische Folgen und kann dazu führen, dass Menschen das System in Frage stellen, dass die politische Stabilität gefährdet ist und Armut und Ungleichheit fortbestehen", sagt er.

"Niedriglöhne, Jobunsicherheit, prekäre Arbeitsbedingungen, nicht sozialversichert zu sein, keine Repräsentanz und mangelnder sozialer Dialog machen aus informell Beschäftigten eine verletzliche Gruppe", so der Experte.

Doch trotz der bestehenden Probleme ist die Region "allmählich" dabei, im Beschäftigungssektor Fortschritte zu erzielen. So ist zwischen 2009 und 2013 der Anteil der jungen Menschen im informellen Sektor von 60 auf 47 Prozent gesunken. Allerdings gibt es Ausnahmen wie Honduras, Paraguay und Peru, wo keine signifikanten Fortschritte erzielt wurden.


Innovative Problemlösungen

Dema führt die Verbesserungen auf staatliche Maßnahmen zurück, die die ILO in einem Bericht mit dem vielversprechenden Titel 'Förderung der regulären Beschäftigung unter jungen Leuten: Innovative Erfahrungen in Lateinamerika und der Karibik' aufführt. Darin ist von einer Kombination unterschiedlicher Versuche die Rede, die Beschäftigung zu formalisieren und Strategien umzusetzen, die junge Leute darin unterstützen, einen formellen Arbeitsplatz zu finden.

Ein Beispiel ist das brasilianische Lehrlingsgesetz, das den Nutznießern eine Ausbildung ermöglicht und zu einem auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag verhilft. Das Gesetz schreibt allen mittelständigen oder großen Betrieben vor, junge Leute im Alter zwischen 14 und 24 Jahren anzustellen. Sie müssen zwischen fünf und 15 Prozent der Beschäftigten stellen.

Der ILO-Bericht führt als weiteres Beispiel das chilenische Gesetz zur Förderung der Arbeit junger Menschen, das mexikanische Gesetz zur Förderung der Erstbeschäftigung, die auf die Anstellung junger Arbeitnehmer ohne vorherige Erfahrung abzielen, und Uruguays Jugendbeschäftigungsgesetz auf. Die Umsetzung dieser Gesetze werde staatlich subventioniert beziehungsweise durch Steueranreize ermöglicht.

Díaz Langou verweist ihrerseits auf das argentinische Programm für mehr und bessere Arbeit für junge Menschen, das sich an Argentinier im Alter von 18 bis 24 Jahren richtet. "Dabei handelt es sich um eine wirklich interessante Initiative, die über eine Kombination aus Ausbildung und Beschäftigung eine Einfügung dieser Altersgruppe in den formellen Arbeitsmarkt erreichen soll."

Dema führt als ein weiteres gelungenes Projekt auch einige mexikanische Programme ins Feld, die eine Regulierung informeller Arbeitsplätze anstreben. So gebe es das Projekt 'Lasst uns zusammen wachsen', das auf Ausbildung, Beratung und Hilfe setze.

Ein weiteres vielversprechendes Modell bietet Kolumbien mit seinen 'Formalisierungsbrigaden' an, das Unternehmen, die die informellen Arbeitsplätze formalisieren, Zugeständnisse und Angebote unterbreitet. All diese Initiativen werden von Sozialversicherungsmaßnahmen flankiert.

Díaz Langou zufolge haben die internationalen Erfahrungen gezeigt, dass Anreize für Betriebe, junge Leute einzustellen, wie Beihilfen oder Steuervergünstigungen am besten funktionieren. Bemerkenswert sei auch, dass für junge Frauen bessere Ergebnisse erzielt worden seien als für junge Männer. (Ende/IPS/kb/27.07.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/07/latin-america-tackles-informal-labour-among-the-young/
http://www.ipsnoticias.net/2015/07/america-latina-al-rescate-de-sus-jovenes-del-trabajo-informal/

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IPS-Tagesdienst vom 27. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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