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FRAGEN/040: Libanon - Frauenkooperative. Fairtrade. Flüchtlingshilfe (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 142, 4/17

Frauenkooperative. Fairtrade. Flüchtlingshilfe
Interview mit Laurette Gerges

von Amina El-Gamal


Die Frauenkooperative Fourzol wurde 1997 von dreizehn Frauen gegründet, um den landwirtschaftlichen Überschuss im Dorf nach traditionellen libanesischen Rezepten weiterzuverarbeiten und diese Produkte dann lokal zu verkaufen. Ziel war es, durch traditionelle Methoden Obst, Gemüse, Kräuter sowie verarbeitete Milchprodukte ohne Konservierungsmittel länger haltbar zu machen. Heute verarbeiten und vermarkten sie auch Humus in verschiedenen Varianten und engagieren sich für die Frauen in der Gesellschaft. Amina El-Gamal sprach mit Laurette Gerges von der Frauenkooperative Fourzol über die aktuelle Situation im Libanon, über die Herausforderungen für die Gesellschaft in Folge der Aufnahme einer sehr großen Zahl an Flüchtenden aus Syrien und über die Zusammenarbeit mit geflüchteten Frauen.


Der Libanon ist mit rund vier Millionen Einwohner_innen ein relativ kleines Land, das zwischen Syrien und Israel liegt. Durch die geopolitische Lage befindet sich das Land in einer politisch instabilen Region und nimmt seit jeher Schutzsuchende aus Palästina, Irak und anderen Ländern der Umgebung auf. Seit 2011 ist die Zahl der geflüchteten Menschen im Land auf rund zwei Millionen gestiegen. Kein anderes Land hat mehr geflüchtete Menschen aus Syrien aufgenommen. Dies stellt die libanesische Gesellschaft vor große Aufgaben, denn das Land hat sich selbst noch nicht vom letzten Krieg erholt und kämpft mit politischen wie ökonomischen Schwierigkeiten. Auch die zugesagte internationale Unterstützung blieb teilweise aus.


Amina El-Gamal: Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten ist der Libanon seit dem Ausbruch des Krieges im Nachbarland Syrien 2011 konfrontiert, und welche Lösungsstrategien hat das Land, um mit der Situation umzugehen?

Laurette Gerges: Der Libanon nimmt schon lange Menschen, vor allem aus dem Irak und aus Palästina, auf. Wir heißen alle willkommen. Zuvor sind jedoch nie so viele Menschen gleichzeitig zu uns gekommen. Die jetzige Situation belastet unser Land sehr. Es fehlt die notwendige Infrastruktur, angefangen von der Wasser- und Stromversorgung, bis zu Schulplätzen und Krankenhäusern. In den Flüchtlingslagern ist die Lage katastrophal, denn es gibt kaum Krankenversorgung, und die Menschenrechte werden tagtäglich verletzt. Während in Europa "Integration" der Schutz suchenden Menschen das Hauptziel zu sein scheint, ist im Libanon das Ziel, die geflüchteten Menschen nicht von ihrem Herkunftsland zu entwurzeln. Das heißt, wenn der Krieg in Syrien hoffentlich bald zu Ende ist, sollten Syrer_innen in ihre Heimat zurückgehen und ihr Leben wiederaufnehmen können.

Für Syrer_innen ist es nur unter strengen Restriktionen möglich, im Libanon einer Arbeit nachzugehen. Deshalb versuchen wir ihnen in der Zwischenzeit Möglichkeiten zu bieten, vor allem Erfahrungen zu sammeln, die ihnen in der Zukunft den Wiedereinstieg und den Wiederaufbau des Landes ermöglichen werden. Natürlich werden auch Geflüchtete im Libanon bleiben.


Amina El-Gamal: Seit 2008 arbeitet die Frauenkooperative Fourzol mit Fairtrade Lebanon zusammen. Fairtrade Lebanon kooperiert mit verschiedenen Familienbetrieben und Kooperativen, um sie bei der Vermarktung ihrer lokalen Produkte zu fairen Bedingungen zu unterstützen. Hauptziel ist es, dass die Bäuerinnen und Bauern weiterhin in ihren Dörfern ihren Lebensunterhalt verdienen können und somit Landflucht verhindert wird. Wie hat sich diese Zusammenarbeit auf die Arbeit und das Leben der Frauen ausgewirkt? Und wie gestaltete sich die Arbeit davor?

Laurette Gerges: Wir sind eine reine Frauenkooperative. Darauf sind wir ganz besonders stolz. Anfangs haben wir unsere Produkte nur auf regionalen Märkten und an die lokale Bevölkerung verkauft. Der Gewinn für die Frauen war somit sehr gering. Durch die Zusammenarbeit mit Fairtrade Lebanon produzieren wir jetzt viel größere Mengen, die wir auch auf dem internationalen Fairtrade-Markt verkaufen. Damit eröffneten sich Einkommensmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven für die Frauen. Dies hat dazu geführt, dass die Frauen unabhängiger geworden sind und einen gewissen Status in der Gesellschaft erlangten. Zudem entwickelte sich ein Bewusstsein für Fairen Handel in der lokalen Gesellschaft.


Amina El-Gamal: Die Frauenkooperative Fourzol arbeitet schon lange Zeit mit Frauen aus Syrien zusammen. Wie reagiert Fairtrade Lebanon und die Frauenkooperative auf die aktuellen Ereignisse, und welche Möglichkeiten haben Sie als Frauenkooperative, um geflüchtete Frauen aus Syrien zu unterstützen?

Laurette Gerges: In unserer Region gibt es viele Pendler_innen und Saisonarbeiter_innen, die seit jeher von Syrien in die Bekaa-Region kommen, um zu arbeiten. Seit Beginn arbeiten auch syrische Frauen in unserer Kooperative mit. Diese Frauen sowie zahlreiche andere Syrerinnen und Syrer sind, als der Krieg angefangen hat, mit ihren Familien hergekommen. Fairtrade Lebanon, in Kooperation mit den UN Women der Vereinten Nationen und dem libanesischen Sozialministerium, starteten ein Programm für syrische Geflüchtete, welches vor allem Frauen unterstützen soll. Dieses Programm findet in Kooperation mit verschiedenen Kooperativen, so auch unserer, statt.

Die Frauen werden dafür in der Verarbeitung lokaler landwirtschaftlicher Produkte in Theorie und Praxis geschult und bekommen zum Abschluss ein Zertifikat, das von den Vereinten Nationen anerkannt ist. Damit können sie in jedem anderen Land, so auch in ihrem Heimatland, arbeiten. Mittlerweile geht es nicht mehr nur darum, den Frauen die Verfahren beizubringen. Es geht vielmehr darum, Arbeitserfahrungen zu sammeln als Vorbereitung auf eine Zukunft, in der sie selbstständig für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen.


Amina El-Gamal: Wie hat die Zusammenarbeit mit Fairtrade Lebanon und den geflüchteten Frauen aus Syrien die libanesische Gesellschaft verändert?

Laurette Gerges:: Ich glaube, dass in unserem Land nur durch eine solche Zusammenarbeit, wie die zwischen Fairtrade Lebanon und den Kooperativen, Frieden gewährleistet werden kann. Die Einhaltung der Arbeitsrechte von Bäuer_innen, die Durchführung aller nötigen Arbeitsschritte im Land selbst durch faire Produktion, die Gleichbehandlung aller Arbeitspartner_innen und die Zusammenarbeit mit kleinen Unternehmen sowie Frauenkooperativen schafft eine Basis für ein friedliches Zusammenleben. Wir als Frauenkooperative Fourzol wollen gerne noch mehr Frauen in unsere Arbeit einbinden, um so viele Frauen wie möglich zu unterstützen und gegenseitig voneinander zu lernen. Denn Frauen stecken immer sehr viel Schweißblut, Liebe und vor allem ihre Lebenserfahrung in ihre Arbeit, weshalb ihre Produkte weltweit unterstützt werden sollten. Wir unterstützen die Frauen, um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen.

Zur Interviewerin: Amina El-Gamal absolvierte ihre Bachelorstudien in Spanisch und Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Gender und Migration. Gegenwärtig studiert sie Internationale Entwicklung im Master und Orientalistik im Bachelor an der Universität Wien.


Übersetzung aus dem Arabischen: Amina El-Gamal

Webtipp: www.fairtradelebanon.org/en/stores/rural-woman-cooperative-fourzol

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 142, 4/2017, S. 20-21
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2018

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