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FRAUEN/288: Moderne Dienstmädchen und die "Hausarbeitsfrage" (ROSA)


ROSA:37 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - September 2008

Moderne Dienstmädchen und die "Hausarbeitsfrage"

Von Sarah Schilliger


Die Debatte um die "(Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf" deutet darauf hin, dass die alte "Gretchenfrage" der Frauenbewegung - jene der Verteilung und Organisation der "häuslichen Arbeit" - ungelöst bleibt. Als "Notlösung" wird die Haus- und Betreuungsarbeit zunehmend in prekäre Lohnarbeit umgewandelt - und der Privathaushalt wird zum Weltmarkt für migrantische Arbeitskräfte.

"Das Private ist politisch!" lautete die Kampfansage der 68er-Bewegung gegen die erstarrten patriarchalen Machtverhältnisse. Dies hiess nicht etwa, dem permanenten Ehekrach das Wort zu reden, sondern vielmehr - ausgehend von den persönlichen Erfahrungen - den Krach öffentlich zu machen. Die Unterdrückung im Privatleben sollte nicht nur als private begriffen werden, sondern als ökonomisch und politisch bedingte. In den 70er-Jahren war die Diskussion um die Hausarbeit ein zentraler Bestandteil des politischen Kampfes wie auch der theoretischen Auseinandersetzungen der neuen Frauenbewegung. Frau trug die Politik in die Tiefen des Alltags: Die "Reproduktionsarbeit" wurde als Angelpunkt der Unterdrückung von Frauen und als Ausgangspunkt feministischer Politik begriffen. Fragen nach der von Frauen geleisteten bezahlten und unbezahlten Arbeit und ihrer Bedeutung für die Aufrechterhaltung der patriarchalen und kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse standen dabei im Zentrum. Auch stellten die Frauen eine unmittelbare Verbindung zwischen ihrer Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt und der vorherrschenden Arbeitsteilung in der Familie her, indem sie aufzeigten, dass sich beide Aspekte gegenseitig bedingen und stabilisieren.

Seither sind die Geschlechterverhältnisse in Bewegung gekommen: Die Erwerbsquote von Frauen stieg in den letzten Jahrzehnten stetig an, inzwischen gehen 74% der Frauen einer bezahlten Arbeit nach.(1) Das bürgerliche Ideal des "Hausfrauenmodells" scheint an Bedeutung verloren zu haben.(2) Lebten 1970 noch rund drei Viertel aller Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren gemäss dem Modell eines Vollzeit erwerbstätigen Vaters und einer nicht erwerbstätigen Mutter, waren es 1990 noch gut 60% und im Jahr 2000 nur noch 37%. Das "Nur-Hausfrauendasein" ist längst nicht mehr das gesellschaftliche Leitbild, die geschlechtlichen Rollenbilder haben sich stark gewandelt: (Fast) niemand will die Frauen zurück an den Herd drängen. Der Haushalt als Gefängnis der Frauen scheint gestürmt.


Zementierte geschlechtliche Arbeitsteilung

Die Verteilung der Hausarbeit wird sich durch die höhere Erwerbstätigkeit der Frauen ausgleichen - dies hoffte vor 50 Jahren Iris von Roten in ihrem Buch "Frauen im Laufgitter" (1958). Hat sich diese Hoffnung bewahrheitet? Die Zahlen sind auch vier Jahrzehnte nach Beginn der neuen Frauenbewegung ernüchternd: Das Ende des bürgerlichen "Hausfrauenmodells" bedeutet bei weitem nicht ein Ende der Haus(frauen)arbeit. Bei einigen Paaren mag es durchaus zu grossen Umverteilungsprozessen der Arbeit zwischen den Geschlechtern gekommen sein. Für die grosse Masse gilt aber weiterhin, dass die Care-Tätigkeiten(3) - die Sorge dafür, dass zu Hause alles läuft und weiterläuft - primär von Frauen erledigt wird, gratis, wenig anerkannt und meist unsichtbar. Bei 85% aller Paare übernimmt die Frau mehr als 60% der Care-Tätigkeiten. Eine partnerschaftliche Aufteilung wird nur in 11% der Haushalte praktiziert, wo sich beide zu mindestens 40% an der Haus- und Familienarbeit beteiligen.(4) Der Wandel der Geschlechterrollen ist also asymmetrisch verlaufen: Zwar sind die weiblichen Biographien vermehrt durch Erwerbsarbeit geprägt, umgekehrt haben bei den männlichen Biographien die Care-Tätigkeiten im Haushalt jedoch nur beschränkt an Bedeutung gewonnen. Als modernisierte Form der bürgerlichen Versorgerehe gilt die "Eineinhalb-Einkommen-Familie" - mit der Frau als Zuverdienerin und immer noch Hauptverantwortlichen für die Haus- und Familienarbeit.


Eine Frage des richtigen "Managements"?

Die Frage der "Vereinbarkeit" von Familie und Beruf hat an politischer Relevanz gewonnen, nicht zuletzt durch die Interessen der Unternehmerinnen an der "Humanressource Frau" und wegen des angeblichen "Gebärstreiks" gut qualifizierter Frauen. Die "Lösungen" von Seiten der offiziellen Politik liegen jedoch nicht in Ansätzen wie einem massiven Ausbau des Service Public, z.B. im Bereich einer öffentlichen, kostenlosen Kinderbetreuung oder in einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung, die für Verantwortung gegenüber Menschen, für Beziehungen, für Zeit zur individuellen Entwicklung gleichermassen Raum liesse wie für Erwerbsarbeit, und zu einer Umverteilung der Care-Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern führen könnte. Das "Vereinbarkeitsproblem" wird vielmehr als ein individueller "Balanceakt zwischen Arbeit und Familie" verhandelt, der wiederum vor allem den Frauen zugemutet wird. Eltern werden als individualisierte selbstverantwortliche Marktsubjekte angerufen, die selbst für die Gestaltung des Lebens und für dessen "Gelingen" verantwortlich sind - trotz einander widersprechender Anforderungen im Alltag und am Arbeitsplatz. Gefragt ist Eigenverantwortung, Selbstmanagement, "Fairplay at home" und eine individuelle "Aushandlung" mit dem/der PartnerIn und dem! der ArbeitgeberIn. Wer es nicht schafft, alles "unter einen Hut zu bringen", sollte hält mal sein! ihr "Zeitmanagement" überprüfen.

Oder sich eine "professionelle Haushaltshilfe" herbeiziehen. In finanziell privilegierten Haushalten wird verbreitet eine individuelle haushaltsinterne "Lösungsstrategie" angewendet: Auf die Versorgungslücke im Haushalt und die zunehmende "Zeitnot" wird mit der Anstellung einer bezahlten Hausarbeiterin geantwortet. Care-Tätigkeiten werden "outgesourced" und verwandeln sich damit in marktförmige Lohnarbeit. In den kapitalistischen Metropolen hat die Zahl der in Haushalten als Putzfrauen, Haushaltshilfen, AuPairs und Kindermädchen angestellten Frauen deutlich zugenommen - auch in der Schweiz: Laut der Gewerkschaft Unia dürfte sich die Beschäftigung in privaten Haushalten in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt haben und nach vorsichtigen Schätzungen um die 125 000 Vollzeitstellen umfassen.


Prekäre Arbeit in der Schattenwirtschaft

Die wachsende Nachfrage nach Haushaltsdienstleistungen wird hauptsächlich auf einem informellen Markt befriedigt, auf dem teilweise quasi-feudale Bedingungen herrschen. Es sind vor allem Migrantinnen, häufig ohne Arbeitserlaubnis oder ohne legalen Aufenthaltsstatus, die diese Arbeiten verrichten. Ihre Arbeits- und Lebensverhältnisse sind dementsprechend prekär: Schlechte Bezahlung, ungeregelte und oft sehr lange Arbeitszeiten, kaum Sozialversicherungen, hinzu kommt bei Illegalisierten die ständige Angst vor einer Ausschaffung und die Isolation.

Helma Lutz spricht von einer "Rückkehr der Dienstmädchen".(5) Die rechtliche Situation der Dienstbotinnen des 19. Jahrhunderts lässt sich tatsächlich mit der Lage heutiger migrantischer Hausarbeiterinnen vergleichen: War es früher die Gesindeordnung, welche die Frauen der Willkür ihrer Arbeitgeber unterwarf, so gilt heute durch die restriktiven Zuwanderungsgesetze, dass bei Konflikten die ArbeitgeberInnen mit Abschiebung drohen können. Anders sind heute Herkunft und Bildungshintergrund: Waren die Dienstmädchen im 19. Jahrhundert junge, ungebildete Frauen aus armen, kinderreichen Familien auf dem Land, welche die Zeit zwischen Schule und Hochzeit überbrückten, handelt es sich bei den "modernen Dienstmädchen" in der Schweiz hauptsächlich um Frauen aus lateinamerikanischen und osteuropäischen Ländern, die oft schon eigene Kinder haben. Ihre Migrationsgründe sind so vielfältig wie die Biografien vor der Migration: ökonomische Zwänge, der Versuch, aus starren Strukturen auszubrechen, eine unglückliche Ehe oder der Wunsch, den eigenen Kindern ein besseres Leben und eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Sie sind nicht nur älter als die Dienstmädchen des vorletzten Jahrhunderts, sondern haben auch eine bessere Bildung: Bei osteuropäischen Hausarbeiterinnen handelt es sich zum Beispiel meist um Frauen mit einer qualifizierten Ausbildung, die sich wegen hoher Arbeitslosigkeit und tiefen Löhnen nun als Putzfrau oder Kindermädchen im Westen verdingen, um ihre Familien in den Heimatländern zu ernähren. In der Schweiz ist jedoch nicht ihre Berufsqualifikation gefragt, sondern eine andere Kapazität, die den Frauen "von Natur aus" qua Geschlecht zugeschrieben wird: die Fähigkeit zu putzen, zu bügeln, zu waschen, Kinder und ältere bedürftige Menschen zu pflegen und zu betreuen, ein "Zuhause" zu schaffen.


Betreuungsketten spannen sich rund um den Globus

Maria S. Rerrich(6) bezeichnet die migrantischen Hausarbeiterinnen als "Bodenpersonal der Globalisierung": Da sich die Kinderbetreuung, das Bügeln und Putzen nicht in Billiglohnländer "standortverlagern" lassen, werden auf dem Weltmarkt Billigarbeitskräfte angeworben. Das "Bodenpersonal" hinterlässt jedoch in seiner Heimat oft auch einen Haushalt und zum Teil eine Familie mit Kindern, die wiederum irgendwie versorgt werden muss, von Verwandten, Nachbarn oder von Frauen, die aus noch ärmeren Verhältnissen oder Ländern stammen. Auf diese Weise kommt es zu dem, was die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild(7) als "globale Betreuungsketten" bezeichnet, die analog zu globalen Produktionsketten entstehen und ganze Erdteile umspannen können: Ärmere Frauen betreuen die Kinder wohlhabenderer Frauen, während noch ärmere - oder ältere oder vom Land kommendem deren Kinder aufziehen. Diese Kette zeigt sich beispielsweise in Osteuropa, wo Ukrainerinnen die Kinder der Polinnen betreuen, die selber als Hausarbeiterinnen in Deutschland oder der Schweiz arbeiten.

Es entsteht also ein Weltmarkt für weibliche Arbeitskräfte und eine neue globalisierte Organisation der Care-Tätigkeiten. Dabei bleibt die Hausarbeit unhinterfragt in Frauenhänden: Die Arbeit der Migrantinnen ersetzt die Arbeit anderer Frauen - womit sich die Zuteilung der Care-Tätigkeiten an Frauen auf globaler Ebene reproduziert.


Für eine erneute Politisierung der Hausarbeit!

Dieses "postfeministische Arrangement" der Ökonomisierung von Care-Tätigkeiten führt vielleicht dazu, dass sich in einigen gutverdienenden Haushalten auf individuelle Art das "Vereinbarkeitsproblem" und die Doppelbelastung der Frauen entschärft und Partnerschaftskonflikte über die innerhäusliche Arbeitsteilung umgangen werden können. Bei genauerem Hinsehen wird aber gleichzeitig deutlich, dass sich damit neue Hierarchien entlang ethnischer und klassenspezifischer Trennungslinien etablieren - ein Phänomen, das die feministische Theoriebildung in fundamentaler Weise herausfordert. Für eine widerständige feministische Politik scheint es heute notwendig, den gesellschaftlichen Bereich der Haus- und Betreuungsarbeit (wieder) stärker zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung und Gestaltung zu machen. Verschiedene Kämpfe von Hausarbeiterinnen und solidarischen Frauen in Europa, den USA, Südafrika oder Hongkong machen uns vor, wie dies geschehen könnte. Im europäischen Netzwerk "Respect" beispielsweise setzten sich Frauen ein für ein "Recht auf Rechte", für Arbeitsrechte unabhängig vom Aufenthaltsstatus, bessere Arbeitsverhältnisse im Privathaushalt und eine Legalisierung ihres Aufenthalts, aber auch gegen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Unsichtbare machen sich sichtbar, beziehen sich auf den alten Slogan der Frauenbewegung - "das Private ist politisch!" - und weisen dabei darauf hin, dass es sich bei der Auslagerung von Hausarbeit nicht um ein Problem von Frauen, sondern um eines der ganzen Gesellschaft und ihrer patriarchalen Strukturen handelt. Nur die Schaffung von Rahmenbedingungen, die eine egalitäre Aufteilung der Haushalts- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern auf globaler Ebene erlauben, verspricht eine Emanzipation vom "modernen Dienstbotenwesen" - und eine Lösung der alten "Gretchenfrage".


Anmerkungen:

(1) Die Schweiz hat damit nach Schweden (77%) die zweithöchste Frauenerwerbsquote in Europa - gleichzeitig aber auch eine sehr hohe Teilzeitarbeitsquote (59%) (Bundesamt für Statistik 2008).

(2) Die Realität sah in vielen Familien jedoch anders aus als im bürgerlichen Idealbild der "Nur-Hausfrau", denn tatsächlich arbeiteten Frauen oft ausserhäuslich, weil der "Ernährerlohn" des Mannes nicht ausreichte.

(3) Tätigkeiten, deren Arbeitsgegenstand die menschliche Arbeitskraft und ihre Versorgung sind (sog. "Reproduktion"), werden im Folgenden als Care-Tätigkeiten bezeichnet. Sie können unterschiedlich organisiert sein: unbezahlt in Haushalten (nicht-marktförmig), staatlich (dekommodifiziert) oder als kommerzielle Dienstleistungen (kommodifiziert).

(4) Strub, Silvia: "Er schafft, sie kocht", So teilen sich (fast alle) Schweizer Paare die Arbeit, 5. 286-317, in: FamPra.ch 2 (2006), Bern.

(5) Lutz, Helma: Vom Weltmarkt in den Privathaushalt, Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung, Opladen 2007.

(6) Rerrich, Maria 5.: Die ganze Welt zu Hause, Cosmomobile Putzfrauen in privaten Haushalten, Hamburg 2006.

(7) Hochschild, Arlie Russell: Global Care Chains and Emotional Surplus Value, in: Tony Giddens and Will Hutton, On the Edge, Globalization and the New Millennium, London 2000.


Autorin

Sarah Schilliger, 28, hat Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie studiert und arbeitet seit 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Uni Basel. Im Rahmen ihrer Dissertation forscht sie zu Migration von Frauen aus Osteuropa in Schweizer Privathaushalten.
sarah.schilliger@unibas.ch.


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Quelle:
ROSA:37 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe September 2008, S. 18-21
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Internet: www.rosa.uzh.ch

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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2009