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FRAUEN/367: Südasien - Weibliche Beschneidung bei den Bohra, Online-Petition löst Debatte aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Januar 2012

Südasien: Weibliche Beschneidung bei den Bohra - Online-Petition löst Debatte aus

von Zofeen Ebrahim

Eine Bohra-Frau in traditionellem Gewand - Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Eine Bohra-Frau in traditionellem Gewand
Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Karachi, 31. Januar (IPS) - "In dem Raum war es dunkel und schmutzig. Eine ältere Frau forderte mich auf, meine Unterhose auszuziehen. Sie wies mich an, mit gespreizten Beinen auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Dann tat sie etwas und ich schrie auf vor Schmerz", erinnert sich die 40-jährige Alefia Mustansir an ein Kindheitserlebnis, das sie mit den meisten Frauen der Glaubensgemeinschaft schiitischer Bohra teilt.

Mustansirs Freundin Sakina Haider hatte sich heftig gewehrt, musste dann aber aufgeben. "Meine Großmutter hatte mich mit der Begründung zum Arzt gebracht, dass Seife in meinen Genitalbereich eingedrungen sei und ein Brennen verursachen werde."

Beide Frauen haben sich der weiblichen Beschneidung ihrer Töchter widersetzt - einem bis vor kurzem wohl gehüteten Geheimnis der Dawudi Bohra, einer Untergruppe schiitisch-muslimischer Ismailiten, die mehrheitlich in Indien und Pakistan leben. Ihre Zahl wird weltweit auf zwei Millionen geschätzt.

Wie aus einem Dezember-Bericht der indischen Wochenzeitschrift 'Outlook' hervorgeht, ist Khatna (Beschneidung) eine Tradition, die ihren Ursprung in (Nord-) Afrika hat und von den Bohra bis heute als Ausdruck ihrer Glaubenszugehörigkeit praktiziert wird. Die meisten Bohra-Frauen und -Männer hielten die Praxis geheim, die inzwischen als grobe Misshandlung des weiblichen Körpers betrachtet werde, heißt es in dem Artikel.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert die weibliche Genitalverstümmelung als einen Eingriff, "bei dem bewusst und aus nicht-medizinischen Gründen die weiblichen Geschlechtsorgane verändert oder verletzt werden". Der Eingriff kann auch die völlige Entfernung der Klitoris und der Schamlippen beinhalten.

Praktiziert wird die weibliche Genitalverstümmelung in 28 afrikanischen und in einigen nahöstlichen und asiatischen Ländern. In etlichen Staaten wie Ägypten, Äthiopien, Burkina Faso, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Togo, Uganda und Zentralafrikanischer Republik und anderen Staaten wurde sie inzwischen verboten.

Den Bohra zufolge ist der Eingriff ungefährlich, solange er umsichtig durchgeführt wird. Begründet wird der Schnitt meist damit, dass er der Keuschheit von Frauen zuträglich sei. Ein Argument, das Haider nicht ohne weiteres stehen lassen will. Khatna sei vor allem eine Methode, um Frauen zu kontrollieren, meint sie.


Traditionelles Ritual einer progressiven Gemeinschaft

Nach Ansicht von Nighat Shah, der ehemaligen Vorsitzenden der Pakistanischen Gesellschaft für Geburtshelfer und Gynäkologen, ist es kaum vorstellbar, dass ausgerechnet eine progressive und gebildete Gemeinschaft wie die der Bohra an dem weltweit umstrittenen Ritual festhält. "Medizinisch gesehen wird ein solch kleiner Schnitt folgenlos für Geburten sein. Allerdings nimmt er Frauen die sexuelle Lust", so Shah.

Wie die Geburtshelferin und Gynäkologin Shershah Syed erklärt, spricht aus medizinischen Gründen nichts für eine Beschneidung der weiblichen Genitalien. "Ich bin zwar keine Religionswissenschaftlerin, aber wenn eine Gemeinschaft die weibliche Beschneidung als islamisches Gebot betrachtet, sollte sie dennoch abwarten, bis die Betroffenen erwachsen sind, damit sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können."

Die Inderin Tasleem, die aus Sicherheitsgründen ihren richtigen Namen geheim hält, hat in einer Online-Petition den hohen Priester der Glaubensgruppe, Syedna Mohammad Burhanuddin, aufgefordert, "dieses grausame, unmenschliche und undemokratische Ritual zu verbieten".

In der Petition an den 96-jährigen Prälaten, der in der indischen Stadt Mumbai lebt, heißt es: "Eine solche barbarische Praxis sollte keinen Platz in der progressiven Gemeinschaft der Bohra haben. Deshalb bitten wir Seine Heiligkeit, dieses menschenverachtende Ritual zu beenden."


Mehrheit der Bohra für Khatna

Die Bohra-Frauen Tasleem, Mustansir und Haider sind mit ihrer Forderung nach einem Ende der weiblichen Genitalverstümmelung eine Minderheit. Die meisten Mitglieder der Glaubensgruppe lassen ihre Töchter auf Anweisung des obersten Priesters auch weiterhin beschneiden. "Ich habe blindes Vertrauen zu meinem obersten Führer. Ich glaube, dass etwas Gutes daran sein muss, wenn es mit so großem Nachdruck eingefordert wird", sagte Zahabia Mohammad, Mutter von drei beschnittenen Töchtern.

Mohammad hat ihre eigene Beschneidung zwar noch als grausamen Akt in Erinnerung. Dennoch ist sie für eine Beibehaltung des Eingriffs, weil er heute von Ärzten sicher durchgeführt wird. Die 38-Jährige hatte der Beschneidung ihrer Töchter beigewohnt. "Der Akt dauert keine fünf Minuten und findet unter einer Teilnarkose statt. Und in nur einer Minute wird ein kleines Stück der Klitoris weggeschnitten."

Mohammad war nach eigenen Angaben von einer Tante über die Vorteile einer Beschneidung aufgeklärt worden. So sei es aus hygienischen Gründen gut für die Frau, die Vorhaut der Klitoris zu entfernen, wurde sie damals belehrt. Ihrer Meinung nach ist es angesichts der zunehmenden Kritik an der Praxis wichtig, dass sich die Bohra mit den Einwänden gegen Khatna auseinandersetzen, um diese zu entkräften.

"Nicht jeder wird diese Praxis blind akzeptieren. Das gilt vor allem für die nächste Generation. Sie werden diskutieren und protestieren", ist Mohammad überzeugt. "Deshalb ist es besonders wichtig, die Mädchen aufzuklären, damit sie ihre Entscheidung bewusst treffen können." Der Eingriff wird den Bohra-Männern meist verheimlicht. Tasleem schätzt, dass sich 90 Prozent aller Bohra-Frauen beschneiden lassen.

Arwa Mohammad hat die Petition für ein Ende der weiblichen Genitalverstümmlung unterzeichnet, weil sie diese als "archaisch und unnötig" ablehnt. Sie selbst war im Alter von sieben Jahren von dem befreundeten Arzt ihrer Großmutter beschnitten worden. "Dieses Ritual wird durchgezogen, ohne dass die Betroffenen überhaupt gefragt werden", kritisiert sie.

Mohammad ist seit einem Jahr verheiratet. Sie sei zwar nicht traumatisiert, doch sehe sie keinen Sinn in dem Eingriff, erläutert sie. Auch wenn sie selbst keine sexuelle Lust verspüre, so habe sie einige beschnittene Freundinnen, bei denen dies durchaus der Fall sei.

"Der Gedanke, dass einem jungen Mädchen ein Teil seiner Klitoris weggeschnitten wird, macht mir Gänsehaut", meint die 37-jährige Amena Ali, die sich diesem Eingriff nie unterziehen musste. Sie ist strikt dagegen, dass ihre beiden Töchter - mit sechs und acht Jahren im idealen Alter für den Eingriff - unters Messer kommen.


Diskussion in vollem Gang

Die im Oktober im Internet geschaltete Petition hat eine lebhafte Online-Diskussion in Indien und Pakistan ausgelöst. Hatten am Anfang ausschließlich Nicht-Bohra den Aufruf unterzeichnet, sind nun auch etliche Bohra-Frauen und -Mädchen mit von der Partie und tauschen sich rege über das Für und Wider der weiblichen Genitalverstümmelung aus.

Bisher konnte Tasleem rund 1.150 Unterschriften mobilisieren. "Ich werde solange weitermachen, bis Syedna die Praxis verbietet", versichert sie. "Bewusstsein zu bilden ist der erste Schritt, um ein Problem zu lösen."

"Ob nun diese Petition zu einem Verbot des Eingriffs führen wird, kann nur die Zeit lehren", meint dazu Zainab Hussain. Für die 49-Jährige steht außer Frage, dass die Petition an sich schon eine Veränderung bewirken wird. "So könnten sich die Gemeindeführer dazu veranlasst sehen, ihr Schweigen zu brechen und plausible Antworten zu geben." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.change.org/petitions/hh-dr-syedna-stop-female-circumcision-ladkiyon-par-khatna
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106581

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Januar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2012