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FRAUEN/398: Jordanien - Grenzen der Mobilität, Frauen in der Hauptstadt benachteiligt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2012

Jordanien: Grenzen der Mobilität - Frauen in der Hauptstadt benachteiligt

von Mya Guarnieri



Amman, 4. Mai (IPS) - Zwei junge Frauen mit knallbunten Gesichtsschleiern und engen Jeans stehen in der jordanischen Hauptstadt Amman am Rand einer Straße, auf der viele Autos an ihnen vorbeirasen. Wenn sich eine Lücke im Verkehr auftut, heben sie die Hand und huschen schnell auf die andere Seite.

Amman ist keine fußgängerfreundliche und erst recht keine frauenfreundliche Stadt, auch wenn die Metropole in den westlichen Medien gern als fortschrittlich gepriesen wird. Der Masterplan 'Amman 2025' gewann 2007 den 'World Leadership Award' für Stadtplanung. Doch wer die Stadt mit drei Millionen Einwohnern genauer betrachtet, erkennt, dass gerade Frauen im Alltag häufig den Kürzeren ziehen.

Der schlecht ausgebaute öffentliche Nahverkehr isoliert die Frauen vom Leben in der Stadt. Dafür schnellt die Zahl der zumeist männlichen Fahrzeugbesitzer in Amman jährlich um zehn bis 15 Prozent in die Höhe. An Fußgänger haben die Stadtplaner nicht gedacht - und vor allem nicht an weibliche.

"Wenn man wissen möchte, ob ein bestimmter Ort sicher ist, muss man einfach zählen, wie viele Frauen auf der Straße unterwegs sind", sagt die Architektin und Stadtplanerin Sandra Hiari. Auf ihrer Website 'Tareeq' (Straße) beschäftigt sie sich mit dem Design von Städten in Nahost. In Amman seien Frauen nur in wenigen Zonen, beispielsweise in der Regenbogenstraße, zu sehen.

Die breite Straße in einem bürgerlichen Wohnviertel wird von schicken Cafés, Bars und Restaurants gesäumt. Wie Hiari erklärt, sind dort immer so viele Menschen, dass sich Frauen in der Menge sicher fühlen. Im Stadtbild von Amman sei die Regenbogenstraße allerdings eine seltene Ausnahme, sagt sie.


"Von einer Blase in die nächste"

Da Frauen oft anzügliche Bemerkungen oder Pfiffe über sich ergehen lassen müssen, gehen viele erst gar nicht aus dem Haus und meiden bis auf Autos der Familie und Taxis alle Verkehrsmittel, wie Hiari berichtet. "Ich glaube, dass wir Frauen in Blasen gefangen sind. Wir bewegen uns in der Stadt von einer Blase in die nächste."

Die Benachteiligung der Frau ist auch im Berufsalltag deutlich spürbar. Obwohl Mädchen und Frauen an Schulen und Universitäten Jungen und Männern mittlerweile zahlenmäßig überlegen sind, bleiben die meisten Stellen fest in Männerhand.

Hazem Zureiqat, ein Verkehrsplaner und Wirtschaftsexperte, führt dieses Missverhältnis in Amman, wo etwa die Hälfte aller Jordanier leben, größtenteils auf das Verkehrssystem zurück. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage habe ergeben, dass die Transportprobleme die meisten Frauen daran hinderten, einen Arbeitsplatz zu erreichen.

Sichtbar wird dies vor allem in einkommensschwächeren Haushalten, die nur ein Auto haben. Am Steuer sitzt meist der Mann, während die Frau zu Hause festsitzt. Zureiqat hält es für keine gute Idee, Buslinien nur für Frauen einzurichten. "Man muss die sozialen Probleme lösen, statt einfach Frauen von Männern zu trennen."

Der Ökonom ist überdies der Ansicht, dass die Dienstleistungen für die gesamte Bevölkerung verbessert werden sollten. Busse verkehrten in der Stadt nur unregelmäßig und auf wenigen Strecken, kritisiert er. Erst seit Kurzem gebe es an manchen Bushaltestellen Überdachungen, vorher habe es keinerlei Schutz vor Regen und Sonne gegeben.

Das ehrgeizige Schnellbussystem (BRT) sollte eigentlich viele Probleme lösen. Die Planer verfolgten das Ziel, durch den Bau von neuen Busspuren auf einer Länge von insgesamt 32 Kilometern die Anzahl der beförderten Fahrgäste zu verdreifachen.


Arabischer Frühling verhindert Verkehrsprojekte

"Es ging nicht nur darum, die Mobilität in der Stadt zu verbessern, sondern auch die menschliche Würde zu achten", sagt Zureiqat. Ironischerweise habe ausgerechnet die Freiheitsbewegung Arabischer Frühling dieses Vorhaben zunichte gemacht. "Korruptionsbekämpfung wurde zum Schlagwort, und alles kam auf den Prüfstand."

Der Bürgermeister von Amman, Omar Maani, und die Projekte seiner Stadtregierung zwischen 2006 und 2011 wurden genau überprüft. Darunter fielen BRT, die kommunal finanzierte Denkfabrik 'Amman-Institut für Stadtentwicklung' sowie der Masterplan 'Amman 2025', der auf einen besseren Personennahverkehr und eine fußgängerfreundliche Stadt abzielte. Obwohl BRT vor den kritischen Kontrolleuren durchaus bestand, wurde das geplante Bussystem im vergangenen September abgesagt.

Im Dezember 2011 wurde Maani unter Betrugsvorwurf festgenommen. Inzwischen ist er gegen eine Kaution wieder auf freiem Fuß. Auch wenn das Amman-Institut für Stadtentwicklung von Anfang an Probleme hatte, machte erst der Arabische Frühling der als ineffizient geltenden Institution, die angeblich zu hohe Gehälter zahlte, den Garaus. Hiari, die früher dort gearbeitet hatte, erklärt, dass seitdem allen von dem Institut entwickelten Projekten wie etwa dem Masterplan ein Stigma anhafte. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2012