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FRAUEN/438: Nicaragua - Mehr Gewalt gegen Frauen, Staat reagiert nur langsam (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2012

Nicaragua: Mehr Gewalt gegen Frauen - Staat reagiert nur langsam

von José Adán Silva



Managua, 30. Oktober (IPS) - In Nicaragua hat die Vergewaltigung eines geistig behinderten Mädchens im August durch Polizisten landesweit für Empörung gesorgt. Am 11. November soll das Verfahren gegen die Täter beginnen. Der Fall wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die zunehmende Gewalt gegen Frauen und Kinder, sondern auch auf die Schwierigkeit, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Zwölfjährige war am Nachmittag des 9. August mit ihrem Hund in einem Park spazieren gegangen. Der Park 'El Carmen' in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua wird durchgängig von Sicherheitspersonal überwacht. Das hat einen ganz speziellen Grund: An ihn grenzt der Gebäudekomplex an, in dem Präsident Daniel Ortega lebt und arbeitet.

Dem Menschenrechtszentrum Nicaragua (Cenidh) zufolge wurde das Mädchen von vier Polizisten der Direktion für Sonderoperationen, die für den Geleitschutz des Präsidenten abgestellt waren, entführt, vergewaltigt und die ganze Nacht über festgehalten. Auch ein Zivilist soll an der Gewalttat beteiligt gewesen sein. Cenidh geht davon aus, dass es sich bei dem Täter um ein Mitglied des privaten Sicherheitsdienstes 'El Goliat' handelt. Das Unternehmen unterhält Verbindungen zu Geschäften von Verwandten des Präsidenten.


Polizei drohte Eltern

Die Eltern des Mädchens erstatteten unverzüglich Anzeige. Später stellte sich heraus, dass sie auf dem Kommissariat bedroht worden waren. Außerdem hatte man ihnen erklärt, dass der Fall nicht weiterverfolgt werde. Doch dann schaltete sich Cenidh ein und machte das Verbrechen publik. 20 Tage später sah sich die Polizei zur Aufnahme von Untersuchungen gezwungen. Am 30. August wurden drei Mitglieder der Elite-Einheit vom Dienst suspendiert und Anfang September der Staatsanwaltschaft überstellt. Ein vierter Polizist kam am 15. Oktober hinzu.

Die Polizeichefin Nicaraguas, Aminta Granera Sacasa, hat sich inzwischen öffentlich für den Vorfall entschuldigt und versprochen, ihn eingehend zu untersuchen. Die beteiligten Polizeibeamten würden zur Rechenschaft gezogen werden, versicherte sie.

"Die Tat selbst ist schon schlimm genug", meint dazu Gonzalo Carrión, juristischer Leiter des Menschenrechtszentrums, gegenüber IPS. "Dass daran Spezialagenten beteiligt waren, die dem Präsidenten nahe stehen, macht es noch schlimmer. Aber dass die Behörden anfangs versucht haben, den Fall zu vertuschen, und die Familie des Opfers sogar bedrohten - das macht dieses Verbrechen geradezu zu einem Fall des Staatsterrorismus."

"Erst zögerte die Polizei die Untersuchungen hinaus, dann dauerte es zwei Monate, bis sie den vierten Täter identifizierte. Und der fünfte ist noch immer nicht bekannt. Wen wollen sie decken?" fragt sich Lorna Norori von der Bewegung gegen sexuellen Missbrauch.

Auch andere Frauen- und Menschenrechtsorganisationen schlossen sich den Protesten an. Für den 10. November haben sie einen landesweiten Protesttag ausgerufen. Sie wollen Druck auf die Justiz ausüben, damit diese die Verhandlungen, die für den 11. November angesetzt sind, nicht weiter verschleppt.


Gesetz greift nicht

Nach Ansicht von Carrión reagiert der Staat generell viel zu zögerlich auf die steigenden Zahlen der Gewalt gegen Frauen und junge Mädchen. Im Juni wurde zwar ein Gesetz verabschiedet, das Gewalt gegen Frauen härter bestraft. Doch die Zahl der Fälle sexueller Gewaltverbrechen ist seitdem nicht gesunken. Im ersten Halbjahr 2012 wurden 1.873 Fälle angezeigt. 1.050 der Opfer waren unter 14 Jahre alt.

Dem Zentrum für Gewaltprävention zufolge waren 2011 1.453 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren vergewaltigt worden. Insgesamt kam es im vergangenen Jahr zu 3.660 Fällen sexueller Gewalt. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres wurden in Nicaragua zwischen 55 und 61 Frauen aufgrund ihres Geschlechtes getötet. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.cenidh.org/quienes.php
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101791

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2012