Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAUEN/586: Kamerun - Mädchen sagen "nein", wachsender Widerstand gegen Kinderehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2015

Kamerun: Mädchen sagen nein - Wachsender Widerstand gegen Kinderehen

von Ngala Killian Chimtom


Bild: © Ngala Killian Chimtom/IPS

Die heute 15-jährige Bienvienue Taguieke, die sich als Zwölfjährige geweigert hat, verheiratet zu werden
Bild: © Ngala Killian Chimtom/IPS

MAROUA, KAMERUN (IPS) - Als Bienvienue Taguieke zwölf Jahre alt war, sollte sie einen 40 Jahre älteren Mann heiraten. Doch eine Frauenorganisation in der kamerunischen Far North Region, in der Kinderehen verbreitet sind, hat dem Mädchen geholfen, den Plan der Mutter zu durchkreuzen.

"Ich ging damals auf eine staatliche Schule in Guidimdaz, einem Dorf im Gebiet Mokolo in der Far North Region, als ein Mann um meine Hand anhielt und meiner Mutter 5.000 CFA-Franc (rund 8,50 US-Dollar) zahlte", berichtet der inzwischen 15 Jahre alte Teenager. "Ich wollte nicht und habe viele Menschen um Hilfe gebeten."

Taguieke zufolge hatte ihre Mutter das Angebot aus finanziellen Gründen angenommen. "Ich denke, dass sie mich verkaufen wollte, weil wir nach dem Tod meines Vaters so arm waren", sagt sie. "Damals gab es niemanden, der weiterhin für mein Schulgeld aufgekommen wäre und uns versorgt hätte."

Unterstützung erhielt Taguieke von Asta Djarmi, der Schulleiterin. Diese redete auf die Mutter ein, ihre Tochter nicht mit einem so viel älteren Mann zu verheiraten. "Das bereits angebahnte Ehearrangement wurde gestoppt, und ALDEPA, eine lokale Organisation, die sich für die Abschaffung von Kinderehen engagiert, erstattete dem Bräutigam die Mitgift zurück", berichtet Taguieke. Dank der finanziellen Hilfe von ALDEPA geht sie seither wieder in die Schule, um Lehrerin zu werden, wie sie sagt.


Flucht nach 14 Tagen

Inzwischen gibt es viele Mädchen, die sich gegen die Frühehen wehren. Die 15-jährige Nabila aus dem Nachbardorf Guidimdaz war 13 Jahre alt, als sie von ihren Eltern zur Heirat gezwungen wurde. "14 schreckliche Tage lebte ich im Haus dieses Mannes. Ich hatte das Gefühl, von einem bösen Geist verfolgt zu werden", erinnert sie sich. "Da entschloss ich mich zur Flucht."

Doch die 14 Tage reichten aus, um sie schwanger zu machen. Inzwischen ist Nabila selbst Mutter eines Mädchens. Ihr Mann versucht nun ihre Rückkehr mit Hilfe der Gerichte zu erzwingen. Um nichts in der Welt werde sie sich das antun, versichert sie. Auch werde sie dafür sorgen, dass ihrer Tochter ein solches Schicksal erspart bleibe. "Mein Kind soll niemals so leiden müssen wie ich", betont sie. "Ich werde alles tun, damit es die Schule besuchen kann. Die Regierung sollte Frühehen endlich verbieten. Mädchen sollten erst heiraten, wenn sie einen Schulabschluss haben."

ALDEPA wird die Teenagermutter vor Gericht vertreten. Wie Henri Adjini, ein Mitarbeiter der Organisation, berichtet, kommt die Organisation inzwischen für das Schulgeld von 87 Teenagern auf, die sich gegen Frühehen gewehrt haben oder aus ihnen ausgebrochen sind.

Adjini zufolge sind die Zwangsehen Teil der Kultur der lokalen Volksgruppen der Mafa und der Kapsiki. Bei ihnen sei es üblich, Mädchen gegen Geld, Vieh oder Waren zu verheiraten.

"Der Wunsch nach starken Familienbanden und engen Freundschaften ist für die Menschen hier sehr wichtig, und die Verheiratung ihrer Töchter soll diesen Wunsch bekräftigen. Es gibt aber auch Eltern, die ihre Töchter verkaufen, um ihre Schulden zu bezahlen. Das, was junge Mädchen wollen, zählt im Grunde nicht."

In Kamerun werden Kinderehen als eine Möglichkeit betrachtet, Einkommen zu generieren. Nach UN-Angaben sind fast ein Drittel der 22 Millionen Kameruner arm. Tatsächlich besteht zwischen der verbreiteten Armut und den Kinderehen in dem zentralafrikanischen Land ein Zusammenhang. So hat der Weltbevölkerungsfonds UNFPA festgestellt, dass 71 Prozent der Kinderbräute aus armen Haushalten stammen. Zahlen des UN-Kinderhilfswerks UNICEF von 2014 belegen, dass 31 Prozent der Mädchen im Teenageralter in der Far North Region verheiratet werden.

Kameruns Ministerin für Frauen und Familie, Marie Therese Abena Ondoa, hat die Frühvermählungen öffentlich verurteilt. "Es ist unmoralisch, Mädchen zu verkaufen, als seien sie Eigentum."


Niger in Sachen Kinderehen führend

Das Problem der Kinderehen beschränkt sich nicht nur auf Kamerun. Aus einem UNFPA-Bericht von 2013 geht hervor, dass in West- und Zentralafrika zwei von fünf Mädchen unter 18 Jahren verheiratet werden. Im Niger sind sogar 75 Prozent der Mädchen betroffen, im Tschad 72 Prozent und in Guinea 63 Prozent.

Wie in den meisten Ländern der Region halten sich die staatlichen Bemühungen, die Praxis abzuschaffen, in Grenzen. Nach geltenden Recht dürfen Mädchen frühestens mit 15 und Jungen frühestens mit 18 Jahren heiraten. Außerdem müssen sie einer Heirat zustimmen - eine Regel, die nur allzu oft gebrochen wird.

Ministerin Ondoa hat Aufklärungskampagnen unterstützt und in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, Gemeinde- und Religionsführern in den ländlichen Gebieten versucht, die Bevölkerung zum Umdenken zu bewegen. Nicht gelungen ist es ihr bisher, die Regierung von der Notwendigkeit, die Mindestaltersgrenze für Eheschließungen nach oben zu verschieben, zu überzeugen.

Dennoch tragen die Kampagnen inzwischen Früchte, und viele Mädchen widersetzen sich erfolgreich den Eheplänen ihrer Eltern. So auch Abba Mairamou, die ebenfalls im Alter von zwölf Jahren an den Mann gebracht werden sollte. "2004 holte mich mein Vater aus der Grundschule, um mich seinem Freund als Frau anzubieten. Als ich mich widersetzte, wurde er böse und wollte mich weit weg schicken. Ich war so verzweifelt, bis ich in Kontakt mit einer Organisation in Maroua kam, die Kinderehen bekämpft", berichtet die inzwischen 23-Jährige.

Später habe die Gruppe ihren Vater zu einem Gespräch geladen und ihn komplett umgekrempelt. So sei er inzwischen ein erklärter Gegner von Kinderehen und Eheschließungen, die ohne die Zustimmung der Bräute erfolgten. Mairamou selbst gründete die 'Vereinigung für die Autonomie und die Rechte von Mädchen' (APAD), die sich darauf spezialisiert hat, Mädchen und Eltern in Zokkok in Maroua für das Problem der Frühehen zu sensibilisieren. Wie sie berichtet, bietet ihre Organisation vielen Opfern von Zwangsehen Schutzräume an.

"Auch das", sagt sie mit einem Lächeln, "ist ein Zeichen dafür, dass der Widerstand wächst". (Ende/IPS/kb/12.06.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/06/cameroonian-women-and-girls-saying-no-to-child-marriage/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang