Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAUEN/596: Der Fall der Minangkabau-Frauen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 131, 1/15

Rückläufige politische Partizipation trotz Frauenquote und Matrilinearität
Der Fall der Minangkabau-Frauen

Von Alexandra Haimerl


Die Minangkabau bilden die größte matrilinear organisierte ethnische Gruppe der Welt und verbinden darüber hinaus in einer einzigartigen Weise ein Paradoxon: Trotz ihrer flächendeckenden Konvertierung zum Islam seit dem 15. Jahrhundert haben sich die Bewohner West Sumatras ihr Erbrecht über die Linie der Mutter erhalten. Trotzdem sind Frauen in Führungsrollen auch in West Sumatra eine Seltenheit, vor allem in der Politik.


Seit der Demokratisierung Indonesiens 1998 wurden graduell eine Frauenquote und 2012 sogar bindende Sanktionen in das nationale Gesetz inkorporiert. Für Parteien, welche die Quote von 30% Legislativkandidatinnen auf ihrer Liste nicht erfüllen, bedeutet dies den Ausschluss von den Wahlen. Dennoch sitzen im Provinzparlament West Sumatras seit den letzten Wahlen im April 2014 gerade einmal 10,8% Frauen. Dies ist nicht nur im Vergleich mit dem nationalen Parlament der Indonesischen Republik (17,3%), sondern auch auf Provinzebene (16,4%) unterdurchschnittlich. Darüber hinaus zeichnet sich für den Anteil an weiblichen Abgeordneten proportional mit dem jüngsten Wahlergebnis ein rückläufiger Trend ab. Woran liegt es also, dass sich die Minangkabau-Frauen trotz offensichtlich frauenfreundlichem Gewohnheitsrecht und zunehmend strikter gesetzlicher Frauenquote nicht in der Politik etablieren können?


Patriarchale Strukturen trotz matrilinearer Organisation

Untersucht man die Auswirkungen kultureller Faktoren auf die weibliche Repräsentation im Provinzparlament West Sumatras, so sind vor allem zwei Aspekte in Betracht zu ziehen, die miteinander in Wechselwirkung stehen: Zum einen legt das Gewohnheitsrecht, das sogenannte adat, die Richtlinien für das Zusammenleben der Minangkabau fest. Die Matrilinearität verschafft den Frauen eine stärkere Position innerhalb der Gesellschaft. Darüber besteht im akademischen Kreis weitgehendes Einverständnis, und auch sozioökonomische Variablen wie die gute Bildungssituation der Minangkabau-Frauen spiegeln diese Einschätzung wider.

Ebenso unumstritten ist jedoch die Wahrnehmung, dass sich die traditionelle Rolle der Minangkabau-Frau über die Kolonialzeit hinweg, vor allem aber durch die Gleichschaltungspolitik des Militärregimes unter General Suharto (1967-1998) stark gewandelt hat. Das politische Feld veranschaulicht dies nur allzu gut, vergleicht man die weibliche Partizipation im traditionellen mit dem heutigen Regierungssystem der Provinz. So war ursprünglich eine Frauenvertretung als entscheidende Kontrollinstanz mit einem absoluten Vetorecht gegen geplante Gesetzesbeschlüsse ausgestattet. Aufgrund wiederholter Anpassungen des adat an nationale Staatsideologien wurden Frauen jedoch zunehmend marginalisiert und auf die häusliche Sphäre beschränkt.

Da Männer auch in West Sumatra die öffentlichen Vertreter von Frauen und damit die Entscheidungsträger in praktisch allen Lebensbereichen sind, mündet die Matrilinearität nicht etwa in der Zuteilung von Macht. Stattdessen ist die Gesellschaft der Minangkabau tatsächlich stark männerdominiert und somit patriarchalisch strukturiert.

Von essenzieller Bedeutung ist darüber hinaus der Islam: Minangkabau zu sein bedeutet im Allgemeinen Moslem zu sein. Das Forscherehepaar Franz und Keebet von Benda-Beckmann beschreibt, dass der Islam kürzlich zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und sich als der entscheidende Identitätsmarker unter den Minangkabau zu etablieren scheint. Besonders offensichtlich sind die Veränderungen demzufolge im Gleichgewicht zwischen adat und Religion an den jüngst geschaffenen Regeln, Werten und Normen, die vor allem den Frauen in West Sumatra auferlegt werden. Geschlechterrollen werden von diesen Entwicklungen ganz besonders beeinflusst: In zunehmender Anpassung an die verbreitete islamische Ideologie gilt die Frau als das schwache Geschlecht, das vom Mann beschützt und geführt werden muss. Obwohl der Islam laut dem Religionsministerium Indonesiens die politische Partizipation betreffend grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen Mann und Frau macht, schaffen die zunehmend konservativen Auslegungen der islamischen Lehre in West Sumatra ein Bild, wonach die Frauen nicht nur für Führungspositionen, sondern für die Politik ganz allgemein ungeeignet wären. Negative Assoziationen mit und weitgehendes Desinteresse an der Politik unter den Minangkabau-Frauen sind in Verbindung mit den kulturellen Rahmenbedingungen des gegenwärtigen West Sumatra ausschlaggebend für eine zunehmende Marginalisierung der Frau im öffentlichen Raum.


Gravierende Mängel im indonesischen Parteiensystem

Die politischen Parteien Indonesiens bilden in zweifacher Form eine Hürde für Frauen und werden damit in einer rezenten Studie der Konrad Adenauer Stiftung als das Kernproblem der niedrigen weiblichen Repräsentation befunden. Dies liegt zum einen an parteiinternen Defiziten wie der Unfähigkeit, qualifizierte Frauen als Kader zu rekrutieren, sowie deren fehlender Förderung und Unterstützung. Rekrutierungs- und Nominierungsprozesse bleiben dabei undurchsichtig und oftmals von persönlichen Kontakten zur beinahe exklusiv männlichen Parteispitze abhängig. Da diese zumeist dem Wahlgewinn Vorrang einräumt und Männer aufgrund kultureller Gegebenheiten generell als attraktiver für Wähler_innen gelten, werden Frauen oft als unbedeutend innerhalb der Partei angesehen. So hat noch keine der indonesischen Parteien interne Regelungen zur Inkorporation von Geschlechtergerechtigkeit erlassen.

Zum anderen werden die Frauen durch fehlende Parteifinanzierung benachteiligt, da die Unterstützung im Wahlkampf durch die Partei zumeist nur den topplatzierten, vorwiegend männlichen Kandidat_innen zugute kommt. Eine Untersuchung der University of Indonesia ergab kürzlich, dass ein_e Kandidat_in, der/die in den vergangenen Wahlen eine realistische Chance auf einen Sitz im Provinzparlament haben wollte, zwischen 21.000 und 100.000 Euro zur Finanzierung der eigenen Wahlkampagne bereitstellen musste. In West Sumatra verfügen nur 34,2% der Frauen über ein eigenes Einkommen. Wichtiger noch: es fehlen ihnen zumeist die nötigen Kontakte, die es ermöglichen würden, solch enorme Summen durch Sponsorschaften aufzubringen. Damit stehen die Minangkabau-Frauen oft vor der Entscheidung, sich privat zu verschulden, wenn sie um einen Sitz im Parlament kandidieren wollen.


Korruption und Wahlbetrug - unüberwindbare Barrieren für Frauen?

Auch nach dem Fall des Suharto-Regimes bleibt Korruption ein weitverbreitetes und tief verwurzeltes Problem in Indonesien. Money politics und die Manipulation von Wahlergebnissen haben also Bestand bei der Bestimmung der Legislativkandidat_innen und -abgeordneten: Stimmen werden zwischen Parteien oder gar Kandidat_innen innerhalb einer Partei gehandelt, wobei die Manipulation der offiziellen Dokumente durch (Individuen der) Wahlimplementierungsinstitutionen ermöglicht wird. Da es häufig die weiblichen Amtsanwärter_innen sind, die durch Wahlbetrug benachteiligt werden, ist es für sie unerlässlich, sogenannte "Zeug_innen" zu rekrutieren, die den Stimmauszählungsprozess in den Wahllokalen beobachten und dokumentieren. In West Sumatra gibt es davon 12.548, und der eintägige Dienst eines/einer "Zeug_in" wird mit umgerechnet etwa 10 Euro entlohnt, was eine weitere finanzielle Barriere für die Legislativkandidatinnen bedeutet.

Der Studie der Konrad Adenauer Stiftung zufolge bieten lückenhafte Gesetzesformulierungen unlauteren Wahlbeeinflussungen Raum. Die institutionellen Barrieren gilt es also zuerst zu beseitigen, wenn gerechtere Verhältnisse für Indonesiens Frauen geschaffen werden sollen. Nur dann kann die politische Partizipation von Frauen in West Sumatra durch Gender-Sensibilisierung und den damit verbundenen Abbau von Vorurteilen erhöht werden.


BUCHTIPPS:

Benda-Beckmann, Franz von/Benda-Beckmann, Keebet von (2013):
Political and legal transformations of an Indonesian polity: The Nagari from colonisation to decentralisation. New York: Cambridge University Press

Mietzner, Marcus (2013):
Money, power, and ideology: political parties in post-authoritarian Indonesia. Copenhagen K, Denmark: NIAS Press.


ZUR AUTORIN:

Alexandra Haimerl hat "International Cultural and Business Studies" mit Schwerpunkt Südostasien an der Universität Passau studiert. Zuvor hatte sie seit 2009 in Indonesien gelebt und dort auch während ihres Studiums zahlreiche praktische Erfahrungen sammeln können. Ihr jüngstes Praktikum absolvierte sie in der Provinzzweigstelle West Sumatra der zivilgesellschaftlichen Organisation "Koalisi Perempuan Indonesia - untuk Keadilan dan Demokrasi" (Koalition indonesischer Frauen für Gerechtigkeit und Demokratie), im Zuge dessen sie ihre Forschung zur politischen Partizipation der Minangkabau-Frauen durchführte.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 131, 1/2015, S. 32-33
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 6,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang