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FRAUEN/602: Ökonomisches Empowerment durch Zugang zu Land in Nikaragua (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 132, 2/15

De la casa a la sociedad
Ökonomisches Empowerment durch Zugang zu Land in Nikaragua

Von Tania Pilz


Meist wird in Nikaragua von Frauen nur im Kontext der Familie gesprochen. Ihr Beitrag für die Gesellschaft wird darin gesehen, sich als Mutter um die Kinder, den Haushalt und die Küche zu kümmern. Familien in Nikaragua leben nach dem Breadwinner Model - das ökonomische Einkommen wird als Aufgabe des Mannes gesehen, Frauen haben sich um die Familienmitglieder zu kümmern. Kann das ökonomische Empowerment nikaraguanischer Frauen auf dem Land das Breadwinner Model abbauen? Wie kann dieses Empowerment erreicht werden?


Frauen in Nikaragua repräsentieren nicht nur die Hälfte der Bevölkerung, sondern tragen auch viel zur Wirtschaft des Landes bei. Ein Großteil des informellen Wirtschaftssektors, beispielsweise der Straßenhandel oder der Verkauf am Markt, wird von Frauen und Kindern ausgeübt. Allerdings bleibt ihr Beitrag unsichtbar, nicht nur aufgrund der Informalität der Arbeit, sondern auch wegen der Reduzierung der Frau auf den Familienbereich: den Haushalt und die Kinderbetreuung.

"Unsere einzige Arbeit wird darin gesehen, Kinder zu bekommen, ob wir das nun auch selber möchten oder ob es uns aufgezwungen wird. Diese reproduktive Arbeit, die wir Frauen leisten - nicht nur das Kindergebären, sondern auch der Haushalt und die Versorgung der Kinder -, wird gesellschaftlich überhaupt nicht anerkannt. Diese Arbeit gilt als ein Mandat für uns als Frau", erzählt Juana Villareyna, Vertreterin der Fundación entre Mujeres (FEM) bei ihrem Besuch in Wien (1). Das Einkommen im Haushalt wird als Aufgabe des Mannes gesehen. Dort, wo die Ressourcen knapp sind, sucht die Familie eine andere Geldquelle. Oft werden Kinder als Arbeitskräfte eingesetzt.

Auch wenn nicht alle Frauen gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, und andere auch eine gute Arbeitsstelle im öffentlichen Dienst haben, sind diese gezwungen, wie Männer zu handeln. "Wenn es um den Kampf der Frauenrechte in der Politik geht, wird dies immer im Kontext der Familie gemacht, was nicht unbedingt schlecht ist. Allerdings wird dabei die Frau auf den Bereich der Familie reduziert, die Frau hat also die Aufgabe, als Mutter für den Haushalt zu sorgen", sagt Juana Villareyna.


Die Arbeit der FEM

Die FEM - eine feministische Organisation in Nikaragua mit einem agrarökologischen Schwerpunkt - versucht das Modell der Breadwinner-Family abzuschaffen, indem sie Frauen mit einem kleinen Stück Land fördern.

1995 wurde FEM gegründet. Die FEM, die ihren Hauptsitz in Estelí hat, kämpft für das ökonomische Empowerment von Frauen am Land und die Anerkennung von Frauenrechten - nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch unter Frauen selbst.

Die Fundación arbeitet mit Frauen auf verschiedenen Ebenen wie Gesundheit, Gender-Bewusstsein, Bildung, Landbesitz und natürlich Frauenrechten. Laut Juana Villareyna kennen viele von ihnen ihre eigenen Rechte nicht, aber auch wenn sie diese kennen würden, wüssten sie nicht, wie man diese fordert, meint die Vertreterin der FEM.


"Ich bin hier, um die Frauen vom Land zu vertreten"

Frauen vom Land werden aber nicht nur in der Familie auf die Hausarbeit reduziert, auch in der Gesellschaft werden sie von der Mitbestimmung ausgeschlossen. "Die FEM setzt sich für die Frauen vom Land ein - vor allem weil Frauen am Land keine Entscheidungsrechte haben, sehr zurückgedrängt und unterdrückt werden. Man merkt aber auch, dass es nicht nur in kleineren Bereichen so ist, also in der Familie, sondern auch auf politischer Ebene", so Juana Villareyna über den Verstoß gegen das Recht von Frauen auf Mitbestimmung.

Nach langem Kampf für die gesetzlich verankerte Chancengleichheit (Ley para la igualdad de oportunidades) zwischen Männern und Frauen, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht wie im sozialen und politischen Bereich, fand erst 2008 ein solches Gesetz in der nikaraguanischen Verfassung Eingang. Doch bis heute gibt es keine Daten, die die Einhaltung des Gesetzes gewährleisten. Dies spiegelt sich im reduzierten Zugang von Frauen zu Arbeitsplätzen, ihrem Anteil in sozialen und politischen Positionen, ihrer Teilhabe an Mitteln zu Lebensunterhalt, Land und Krediten wider.

"Im ökonomischen Bereich, ist es auch so, dass Frauen nicht wirklich einen guten Zugang zu Krediten haben, oder halt Krediten mit bezahlbaren Zinsen. Es gibt das Gesetz 717 (Ley creadora del fondo de tierra para mujeres), das soll Frauen auch Zugang zu Land anbieten. Aber ein Jahr nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, haben sich viele Männer mit politischer Macht dagegen gewehrt, und das Gesetz wurde reformiert", erzählt Juana Villareyna.

Auch in der aktuellen Debatte über den Kanalbau in Nikaragua seien Frauen nicht gefragt worden. Juana Villareyna befürchtet, dass mit dem Zuzug vieler Arbeitskräfte für den Bau des Kanals der Menschenhandel mit Frauen und Kindern sowie Prostitution und Gewalt gegen Frauen sich erhöhen werde; nicht zu vergessen, dass Frauen (und Männer) in ländlichen Gebieten gezwungen würden, ihre Häuser zu verlassen.

Mit Sicherheit werde aber die Umwelt geschädigt - der Kanalbau fördere den Klimawandel aufgrund der Abholzung und der Bearbeitung des Bodens, um dem Kanal Platz zu machen. Dies betreffe speziell Frauen, die von FEM gefördert werden, da die Produktion von Gütern am Land beeinträchtigt wird.


Ökonomisches Empowerment

Da Frauen kaum Zugang zu Land haben, ist die Anerkennung des Beitrags von Frauen für die Ökonomie des Landes ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit von FEM. Durch ein kleines Stück Land ermöglicht die FEM den Frauen, als aktive ökonomische Individuen anerkannt zu werden. Dort sollen sie Fair-Trade-Güter produzieren, die später am lokalen und nationalen Markt verkauft werden. Diese Zusammenarbeit der FEM wird Las Diosas - die Göttinnen - genannt. Mit der Ernte und Produktion von eigenen Gütern wie Kaffee, Hibiskus und Honig wird den Frauen die Möglichkeit geboten zu entscheiden, unabhängig vom Einkommen ihrer Männer zu sein und für sich und selbst für ihre Kinder zu sorgen. Trotz vieler Hindernisse, von denen die Frauen in Nikaragua betroffen sind, ist es der FEM durch ihre Bemühungen gelungen, eine Gruppe von autonomen und unabhängigen Frauen aufzubauen.

Weitere Erfolge wie das ökonomische Empowerment, die Bildung und Alphabetisierung hat dazu geführt, dass im letzten Jahr 63 Frauen zwischen 40 und 60 Jahren die Matura abgeschlossen haben. "Das Hauptziel, das wir erreicht haben, ist, dass wir Frauen sichtbar gemacht haben, indem wir uns organisiert haben und für unsere Rechte gekämpft haben", erzählt Juana Villareyna. Dies soll dazu beitragen, weitere Frauen vom Land zu ermutigen, aus dem Schatten ihrer Männer und ihrer Familie herauszutreten.


Muchas gracias a Juana Villareyna, con quien tuve la oportunidad de platicar en su visita a Austria como representante de la FEM; y por su puesto mucho éxito a la Fundación Entre Mujeres en su lucha por los derechos de las mujeres en Nicaragua.


ANMERKUNG:
(1) Im Februar war Juana Villareyna auf Einladung der Katholischen Frauenbewegung in Wien zu Gast.

HÖRTIPP:
Fundación Entre Mujeres. Feminismus und Agro-Ökologie in den ländlichen Gebieten in Nikaragua aus der Sendereihe "Globale Dialoge" ist jederzeit unter www.noso.at/?p=4338 abrufbar.


ZUR AUTORIN:
Tania Pilz ist in Nikaragua geboren. Derzeit studiert sie Publizistik an der Universität Wien. Über Lateinamerika berichtet sie auch innerhalb der Sendereihe Globale Dialoge der Women on Air. Sie lebt in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 132, 2/2015, S. 21-22
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2015

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