Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAUEN/631: Weltweiter Run auf Rohstoffe - Bergbau und was Frauen damit zu tun haben (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 135, 1/16

Weltweiter Run auf Rohstoffe

Bergbau und was Frauen damit zu tun haben

von Edith Schnitzer


Wenn man heutzutage, seit der multiplen Krise, gemeinnützige Projekte und Programme der Zivilgesellschaft im östlichen und südlichen Afrika besucht, wird man unweigerlich mit der Tatsache konfrontiert, dass die Bevölkerung von eigenartigen Erlebnissen erzählt: Unbekannte führen seltsame Messungen durch, Straßen breit wie Landebahnen werden gebaut. Die Beamt_innen der Distriktverwaltung geben sich auf einmal sehr ungehalten, wenn man bestimmte abgelegene Dörfer besuchen will; eine Erlaubnis muss extra eingeholt, Gebühren dafür bezahlt werden.

In der Region Mara in Nord-Tansania kommen die Abraumhalden der dortigen Goldmine den Feldern und Häusern der Menschen gefährlich nahe. In diesem Zusammenhang wird der Begriff Extraktivismus immer häufiger. Was ist das? Welche Auswirkungen hat er auf die Bevölkerung? Und gibt es Widerstand?


Der Terminus Extraktivismus, der sich nicht nur auf die Gewinnung von Mineralien, Erdöl- und Erdgas sowie Wasser bezieht, sondern auch auf die Bedingungen, unter welchen diese gewonnen werden, wird immer bedeutsamer. Dieses Konzept ist mächtig, denn es handelt sich um ein System, das unsere Gesellschaft schon seit Jahrhunderten prägt und auf der übermäßigen Ausbeutung von nicht erneuerbaren Ressourcen aufgebaut ist. In der letzten Dekade im Zuge der Krise haben Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfond Extraktivismus als "Entwicklungsmodell" zur Ankurbelung des Wachstums propagiert.

Der Abbau von natürlichen Ressourcen hat bei internationalen Finanzinstitutionen, Banken, Investor_innen und Spekulant_innen zur Schaffung von immer neuen Finanzierungsinstrumenten und zu enormer Profitmaximierung geführt. Auch die Europäische Kommission verfügt über Policy Frameworks, die den Zugang zu Rohstoffen auf dem internationalen Markt fördern und transnationale Konzerne ermutigen, in europäischem Interesse zu investieren.


Spezieller Fokus Afrika

Afrika hat die größte Verbreitung von ländlicher Armut (87 %) weltweit, ist aber gleichzeitig eine Region mit einem enormen Reichtum an natürlichen Ressourcen. Der Kontinent verfügt über 30 % der Mineralreserven des gesamten Planeten, einschließlich 40 % des Goldes, 60 % des Kobalts und 90 % der Platinmetalle. Dazu kommen noch reiche Erdöl- und Erdgasvorkommen. Fast täglich werden neue Bodenschätze entdeckt. Das führt zu hohen Investitionen, die in der Krise noch zugenommen haben. Laut Weltbank ging 2012 der Großteil der 38 Mrd. Dollar ausländischer Direktinvestitionen in Afrika in die Rohstoffindustrie. Und Bodenschätze machen immer noch drei Viertel der Exporte aus Afrika südlich der Sahara aus.

Nach einem Hintergrundpapier zum Weltentwicklungsbericht 2013 der Weltbank war Afrika südlich der Sahara 2012 die am schnellsten wachsende Region der Welt. Dieser immense Reichtum hat allerdings die Armutssituation und besonders die ländliche Armut nicht verändert, sondern diese noch verstärkt und sich besonders auf die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaften ausgewirkt. Die Gründe dafür liegen einerseits in der neoliberalen Handelspolitik und andererseits in der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Bergbau wird begleitet von Land- und Wasserkonflikten, Zerstörung der Umwelt, Ausbeutung der Arbeitskräfte, und er trägt zu unkontrollierbarem Klimawandel bei, der signifikante Auswirkungen auf Afrika und seine gefährdeten Populationen hat.


Frauen als Subsistenzbäuerinnen ...

Ländliche Haushalte in Subsahara-Afrika sind zu einem großen Teil von der Landwirtschaft abhängig und beziehen 64 % ihres Einkommens aus landwirtschaftlicher Produktion. Kleinbäuerinnen haben gemeinsam mit ihren männlichen Familienmitgliedern die verheerenden Auswirkungen der Abbauindustrie zu tragen, sind aber in ganz spezifischer und extremer Art und Weise betroffen. Aufgrund der patriarchalen Arbeitsteilung und der strukturellen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in ihren eigenen Familien, Gemeinschaften und im gesellschaftlichen Leben insgesamt tragen sie die Hauptverantwortung für ihre Familien sowohl in der Subsistenzproduktion als auch in der Versorgungsökonomie.

Zahlreiche Studien belegen, dass Ernährungssicherung in Afrika in Frauenhand liegt. Nach Statistiken der Food and Agriculture Organization (FAO) werden 60 - 80 % der Nahrungsmittel in Afrika von Frauen produziert. Frauen und Kinder sind von der vom Bergbau verursachten Umweltverschmutzung am stärksten betroffen. Sie beschaffen das Wasser für die Versorgung von Mensch und Haustieren und kommen dabei direkt mit Zyanid- und Quecksilberrückständen in Berührung. Und es sind wiederum die Frauen, welche die gesundheitlichen Folgen zu tragen haben, denn abgesehen vom eigenen Gesundheitszustand, sind sie für die Pflege kranker Familienmitglieder zuständig. Auch die Ernteerträge gehen aufgrund der Umweltverschmutzung zurück.


Frauen als Minenarbeiterinnen

Obwohl Bergbau allgemein mit männlicher Arbeitskraft assoziiert wird, ist die Arbeit von Frauen in der Minenindustrie kein neues Phänomen. Die weibliche Beteiligung reicht von direkter Arbeit unter Tage bis zu abgeleiteten Tätigkeiten. Während sich die Beschreibungen der Ausbeutung je nach Kontext unterscheiden, werden Frauen mit besonders gefährlichen Arbeiten betraut, schlechter bezahlt als Männer, rekrutiert und entlassen, wie es der Produktionsprozess gerade erfordert, und sie sind sexuellen Übergriffen ausgesetzt.

Auch beim handwerklichen Kleinstbergbau sind Frauen beteiligt, mit der weltweit höchsten Rate in afrikanischen Ländern. Wie Beispiele aus Burkina Faso und Kenia zeigen, bedeutet das für Einzelne von ihnen sogar eine wirtschaftliche und soziale Befreiung sowie sexuelle Selbstbestimmung. Aber für die meisten werden auch hier die negativen Implikationen ihrer gesellschaftlichen Diskriminierung schmerzhaft spürbar.


Widerstand und Forderungen

Doch der Widerstand formiert sich national, international und global. Eindrucksvoll ist der Auftritt des Extraktivismus-Forums beim Weltsozialforum in Tunis 2013. Aktivist_innen aus Europa, dem südlichen Afrika und Kanada sowie verschiedenen Ländern Lateinamerikas stehen auf und erzählen die gleiche Geschichte. Die SARWA (Southern Africa Rural Women's Assembly) macht mit dem Slogan "Africa is not for sale" auf sich aufmerksam. Dieses Frauennetzwerk bringt Themen der globalen Wirtschaft mit praktischem Training zusammen, sie schafft es, die Energie und Erfahrung der beteiligten Frauen wirksam zu bündeln und bei internationalen Veranstaltungen sichtbar zu machen.

Beim Weltsozialforum 2015 ist Extraktivismus wieder Thema. Die südafrikanische Aktivistin Samantha Heargraves hat inzwischen die Organisation WoMin (Women and Mining) gegründet. WoMin verbindet Aktivismus und Forschung zum Thema Frauen, Gender und Extraktivismus in der afrikanischen Region im Rahmen des globalen IANRA-Netzwerks (International Alliance on Natural Resources in Africa) und vernetzt ihren Widerstand weltweit. Sie sieht in der Bergbauindustrie ein anschauliches Beispiel dafür, wie die unbezahlten Leistungen der Frauen zum Wachstum und zur Entwicklung der weltweiten kapitalistischen Ökonomie beitragen - ein Umstand, der bei den "genderneutralen" Analysen der Krise meist unbeachtet bleibt.

WoMin fordert einen afrikanischen Frauen-zentrierten Post-Extraktivimus mit der vollen Einbeziehung der sozialen und ökologischen Kosten in die Kalkulation der Konzerne, eine Unterstützung für grundlegende soziale Reproduktion der Arbeiter_innen und ihrer Familien, Umsiedlungen nur im äußersten Notfall und dann mit voller Kompensation und unter Zustimmung der betroffenen Gemeinschaften, wobei in traditionellen Communities die volle Partizipation von Frauen sichergestellt sein muss.

In der Zivilgesellschaft ist die Diskussion, welche Bergbauindustrie wir wollen, nach wie vor im Gange. Viele plädieren für "Leave the coal in the hole, the oil in the soil and the tar sands in the land!" Allerdings wird damit außer Acht gelassen, dass viele Menschen in den südlichen Ländern, im Gegensatz zu uns, nie am Reichtum ihrer "eigenen" Bodenschätze beteiligt waren. Hier müssen neue sinnstiftende Zukunftsbilder geschaffen werden, die Ökonomie und Ökologie vereinen und dem Wachstumsparadigma realistische Alternativen entgegensetzen.


Zur Autorin: Edith Schnitzer ist Kultur- und Sozialanthropologin und war lange Zeit als Projektreferentin für Afrika tätig. Sie ist im Vorstand von WIDE - Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven. In der WIDE-Arbeitsgruppe "Gender und Biodiversität" befasst sie sich u. a. mit Extraktivismus. Sie lebt in Wien.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 135, 1/2016, S. 27-28
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang