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FRAUEN/724: #8M-Argentinien - Der Tag an dem sich alles änderte (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

#8M-Argentinien: Der Tag an dem sich alles änderte



Foto: Paula Aiello, Pressenza (CC BY 4.0) - https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

Menschenmenge auf der Avenida de Mayo
Foto: Paula Aiello, Pressenza (CC BY 4.0)
https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de

(Buenos Aires, 8. März 2018, la vaca) - Was gerade passiert ist, war überwältigend - Was wir gerade gemacht haben, war großartig - Und zwar weltweit.

Wir können es nur an der Menge der Körper messen, die die Politik auf die Straße tragen; und was heute passiert ist, können wir in der Geschichte Argentiniens nur mit dem 17. Oktober 1945* vergleichen, als eine Welle von Arbeiter*innen nach Buenos Aires zog, um die Befreiung Peróns zu erreichen.

Heute, am 8. März 2018, übertrafen eine Million Frauen alles bisher dagewesene. Sie überforderten auch die Organisatorinnen, die von den Massen überrascht waren, aber vor allem von der politischen Dimension, die diese mit sich brachte. So war die #8M-Demo eigentlich gar keine Demo: Keine konnte einen Schritt tun, weil die Avenida de Mayo auf zwei Kilometern, vom Kongress bis zur Plaza de Mayo, bereits vor dem offiziellen Beginn um 17.30 Uhr, komplett verstopft war. Es gab weder vorne noch hinten: Was die Organisatorinnen vorbereitet hatten, kam auf Höhe der Straße Piedras wegen Überfüllung zum Erliegen. Die Straße war vor lauter Frauen überhaupt nicht zu erkennen, die begeistert mit ihren Compañeras, Organisationen und Transpis vor Ort waren.

Es brauchte auch keine Sicherheitsvorkehrungen, weil die grüne Flut sich so sehr ausbreitete, dass klar war, dass die Straße heute den Frauen gehörte. Es gab auch keine Worte, außer einer schwer zu verstehenden Rede, der nur wenige folgen konnten. Eine 15-jährige mit violettem Glitzer im Gesicht und dem Tuch der landesweiten Kampagne für die legale, sichere und kostenlose Abtreibung zum Top umfunktioniert, versuchte irgendetwas zu verstehen. "Sie haben uns soviel weggenommen, dass sie uns die Angst genommen haben", steht auf einem weißen Karton, der vor drei Anführerinnen zu sehen war, die, fünf Blocks von der Bühne entfernt, darüber beratschlagten, wie ihre Organisationen es schaffen könnten, bis zur Bühne vorzudringen - keine Chance. Unmöglich.

Was gerade passiert ist, was wir gemacht haben, das ist das Unmögliche. Nichts kann es zusammenfassen, niemand vertritt es, keine führt an und wir alle spielen die Hauptrolle. Was bedeutet so etwas also? Was sagt es uns, hier unten und am Rand, und den Mächtigen da oben, die so weit entfernt sind? Wie alles Überwältigende, Unfassbare, Unvorstellbare sagt es uns etwas Einfaches, Minimales und Punktuelles: Es sagt uns - ohne Zweifel - Legale Abtreibung und zwar sofort!

Auch ist eine neue politische Bewegung herangereift, die eine enorme Dimension und eine starke Identität hat - klar und deutlich.

Sie heißt Feminismus und durchdringt alles.

Sie heißt Feminismus und überflutet alles.

Sie heißt Feminismus und Punkt.

"Uns hält niemand auf: Wir streiken", fasst ein Transpi zusammen.

Es gibt nicht viel mehr zu sagen - zumindest im Moment - ohne in Verallgemeinerungen, Spekulationen und falsche Darstellungen zu verfallen, die das alles kleiner machen, deformieren oder manipulieren, um es in die gängigen politischen Kategorien einordnen zu können.

Was gerade geschehen ist, was wir gerade gemacht haben, ist das Neue.


Einige Sprüche auf den Transpis

"Ningún pibe nace machista" - Kein Junge wird als Macho geboren

"Nuestra postura favorita: arriba nosotras y abajo el patriarcado" - Unsere Lieblingsstellung: Wir oben und das Patriarchat unten. (Wortspiel: abajo el patriarcado bedeutet auch "Nieder mit dem Patriarchat").

"Ni flores ni bombones: queremos que dejen de matarnos" - Weder Blumen noch Pralinen: Wir wollen, dass die aufhören uns zu töten.

"Plantando rebeliones se cosechan libertadas" - Wer Rebellionen pflanzt, erntet Freiheiten.

"Basta, vivas nos queremos". Basta, wir wollen uns lebendig.

"Las ricas abortan, la pobres mueren" - Die Reichen treiben ab, die Armen sterben.

"Abortá al patriarcado" - Treib das Patriarchat ab.

"Si sos neutral en situaciones de injusticia, estás del lado del opresor" - Wenn du dich in ungerechten Situationen neutral verhältst, bist du auf der Seite der Unterdrücker.

"El feminismo me cambió la vida y no dejaré que tu machismo me la quite" - Der Feminismus hat mein Leben verändert und ich lasse nicht zu, dass dein Machismus ihn mir wegnimmt.

"Ni Dios, ni patrón, ni marido, ni partido". Weder Gott, noch Chef, noch Ehemann, noch Partei.

"Quiero salir sin miedo" - Ich möchte ohne Angst rausgehen.

"Soy mía" - Ich gehöre mir.


Anmerkung:
* 17. Oktober 1945, Tag der Loyalität. An diesem Tag wurde der Peronismus geboren. Die Arbeiterbewegung hatte erreicht, dass Juan Domingo Perón befreit wird und ein Jahr später wurde er Präsident Argentiniens.

Die Rede der Abschlusskundgebung:
http://anred.org/spip.php?article16170

Ein kurzes Video für einen Eindruck ist zu finden unter:
https://www.youtube.com/watch?v=maLNCd6t3-o


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/8m-argentinien-der-tag-an-dem-sich-alles-aenderte/


Der Text ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

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Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
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E-Mail: poonal@npla.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2018

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