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FRAUEN/754: Mut (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 3/2018

Mut

Von Tina Berntsen


Eine kleine Geste,
ein stiller Widerstand,
ein lauter Protest,
ehrliche Worte,
eine heimliche Tat,
ein Verrat,
sich in den Weg stellen oder
bleiben, wo man ist - all das kann Mut sein.


Egal, ob jung oder alt, still oder laut, weiblicher Widerstand, hat uns die Geschichte gezeigt, ist vielfältig. Nicht alle schaffen es bis in die Geschichtsbücher oder die Medien. Doch vielleicht hat die scheinbar eine mutige Tat, die eine Revolution auslöst, viele unsichtbare Vorgängerinnen, die es braucht, um Veränderungen zu bewirken.

So wird Rosa Parks (1913-2015) zur Ikone der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, als sie sich 1955 weigert ihren Sitzplatz für einen Weißen zu räumen. Sie ist nicht die erste Afroamerikanerin, die sich auflehnt und sitzen bleibt. Ihr "Nein" ist lediglich der finale Anstoß für den Busboykott, den Protest gegen die Rassentrennung und die Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King als Leitfigur.

Viele einzelne Schritte, manchmal winzig kleine, sind nötig, um den Weg für feministische Ziele zu bereiten. Es gilt Angst zu überwinden, riskieren zu scheitern, weiterzumachen, für das einzustehen, was frau für richtig hält. Seit Jahrhunderten verändern Frauen mit ihrem Widerstand die männliche Realität, die als unumstößliche Wahrheit präsentiert wird. Damals waren es Ziele, die unerreichbar schienen und Forderungen, die als radikal verurteilt wurden. Heute sind es Frauen, die für ihren Mut und Willen bewundert werden. Die Zeit hat ihr eigenes Tempo, doch wir Frauen machen Geschichte.

Susan B. Anthony (1820-1906) kämpfte als Suffragette und gründete die Zeitschrift "Die Revolution". Sie war die erste Frau in Amerika, die wählte. Sie ging 1872 einfach in ein Wahlbüro und schaffte mit ihrer Überzeugungskraft, dass sie zur Präsidentschaftswahl registriert wurde. Für ihre Stimmabgabe wurde sie angeklagt. Doch sie arbeitete weiter für die Rechte der Frauen und auch für ein generelles Verbot der Sklaverei. Die Einführung des Frauenwahlrechts 1920 hat sie nicht mehr erlebt, doch den Weg dorthin hat sie zusammen mit anderen geebnet. Auch in Deutschland wird bald das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts gefeiert. Es ist ein Meilenstein in der Geschichte, aber nicht das Ende dieser. Denn die gleichberechtigte politische Teilhabe ist - schaut man bspw. in den Deutschen Bundestag - nach jahrelanger Stagnation wieder auf den Rückschritt. Auch die politische Einstellung, und dafür muss frau sich nicht nur aktuelle Umfragen anschauen, befindet sich massiv in der Rückentwicklung. Vieles, für das frühere Generationen gelitten und gekämpft haben, scheint wieder infrage gestellt, Geschichte vergessen zu werden.

In der Zeit des Nationalsozialismus war die Zahl der WiderständlerInnen klein, ihr Mut dafür umso größer. Sie kamen u.a. aus der Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften und der Kirche. Jedoch wurden gerade weibliche Widerstandskämpferinnen wenig gewürdigt. Die im Gegensatz zu Sophie Scholl weniger bekannte Cato Bontjes van Beek verteilte als Teil der sog. "Rote Kapelle" Flugblätter und wurde dafür 1943 hingerichtet. Unter Lebensgefahr versteckten und versorgten Frauen jüdische Verfolgte. Innerhalb der französischen Résistance spielten Frauen in vielen Gruppierungen eine aktive Rolle: Sie waren Verbindungsfrauen und übermittelten Nachrichten, waren an der Spionage und Sabotage beteiligt. Sie standen ein für ein humanitäres Weltbild, für ihre eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen ein, ohne Rücksicht auf mögliche Nachteile, Risiken oder die Gefahr für Leib und Seele. Zu helfen war manchen so zwingend und selbstverständlich, dass sie sich damals und später nicht als "Heldinnen" begriffen.

Als Symbolfigur gegen Rechtsradikalismus schaffte es zuletzt die Schwedin Tess Asplund auf die Titelblätter, als sie sich am 1. Mai 2016 mit erhobener Faust einer Nazi-Demo in den Weg stellte. Beeindruckend waren auch die Handyaufnahmen der Schwedin Elin Ersson, die Ende Juli die Abschiebung eines Mannes nach Afghanistan verhinderte. Die 21-jährige Studentin und Aktivistin weigerte sich im Flugzeug sich hinzusetzen, so dass der Pilot nicht starten konnte. Das tat sie zwei Stunden lang, bis der Mann wieder aussteigen durfte. Aus Überzeugung, dass Afghanistan ein unsicheres Kriegsland ist, leistete sie gewaltfreien Widerstand. Durch die Live-Übertragung ihres Protests schaffte sie zumindest punktuell Öffentlichkeit um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Humanität, Zivilcourage und der Mut vieler einzelner Frauen ist tagtäglich nötig für eine vielfältige, gleichberechtigte Gesellschaft. Widerstand braucht aber auch Gemeinschaft, um etwas zu verändern. Indem wir uns über unsere Erfahrungen austauschen, das Private in das Öffentliche hineintragen, schaffen wir Solidarität und Aktionspotentiale. Solidarität fördert Mut, Handlungsbereitschaft und Selbstvertrauen. Wir können uns selbst ermutigen, aber auf jeden Fall sollten wir uns gegenseitig ermutigen. Revolutionen entstehen durch viele mutige einzelne, die anfangen, die Missstände zu benennen, die sich zusammenschließen, die handeln.

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Quelle:
Wir Frauen, Jahrgang 37, Herbst 3/2018, Seite 6-7
Der Schattenblick veröfffentlicht die gekürzte Online-Version des Artikels.
Herausgeberin: Wir Frauen -
Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf,
E-Mail: info@wirfrauen.de
Internet: www.wirfrauen.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2018

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