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FRAUEN/847: Wer kriegt welche Kinder? (Frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 148, 2/19

Wer kriegt welche Kinder?

Die Möglichkeiten der Reproduktionstechnologie sind gleichzeitig feministische Dystopie und Utopie

von Christa Wichterich


Seit der Geburt des ersten "Retortenbabys" 1978 in Großbritannien wird die technische Machbarkeit von menschlichem Leben unter Feministinnen und queeren Personen kontrovers diskutiert. Die Utopie der US-amerikanischen Radikalfeministin Shulamith Firestone, die ultimative Emanzipation von Frauen bestünde in der Befreiung von Schwangerschaft und Geburt, sprich: in der Herstellung menschlichen Lebens im Labor, war und ist für Ökofeministinnen eine Dystopie. Für Leihmütter stellen sich weitere Fragen: Soll Leihmutterschaft als Arbeit anerkannt oder verboten werden?

Eine einvernehmliche feministische Position gab es nie. Doch in den Debatten der 1970er Jahre zu In-vitro-Fertilisation (Befruchtung in der Petrischale) war die ökofeministische Kritik des internationalen Netzwerks FINRRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering) [1] zentral. Reproduktionstechnologien wurden als Instrumente gesehen, um Schwangerschaft und Geburt zu "medikalisieren", das Wissen von Frauen zu entwerten und den weiblichen Körper in eine Ware zu verwandeln. Mit Blick auf transnationale und intersektionale Ungleichheitsverhältnisse wurden "Baby-Farmen" im Süden für die Reichen im Norden heraufbeschworen.

Gegen den Zugriff auf Frauenkörper

Der Hintergrund war damals eine Bevölkerungskontrollpolitik, die die Fruchtbarkeit armer indigener, rassistisch abgewerteter Bevölkerungsgruppen oft mit Zwangsmaßnahmen eindämmte. Rücksichtslos wurden Massensterilisationen durchgeführt, Langzeitverhütungsmittel und Implantate an Frauen getestet, die ihnen die Kontrolle über ihren Körper nahmen.

Eine Gegenposition zur Technikkritik wurde von ungewollt kinderlosen Frauen und Paaren vertreten, für die die Reproduktionstechnologien den ersehnten Weg zum Wunschkind und zur Familiengründung bedeuten. Bald knüpften auch gleichgeschlechtliche Paare Hoffnungen auf ein "eigenes" Kind und auf eine Überwindung hergebrachter Geschlechternormen und -rollen an Eizellentransfer und Leihmutterschaft. Das feministische Prinzip der Selbstbestimmung wird damit vollständig auf Märkte und die Kaufkraft verlagert.

Gleichzeitig schürten Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik Hoffnungen auf eine ständige Optimierung der Reproduktion und auf ein gesundes, perfektes Kind, z. B. durch Präimplantationsdiagnostik und Social Freezing (das Einfrieren hochwertiger Eizellen junger Frauen für spätere Nutzung), aber neuerdings auch durch die Gen-Schere, die CRSPR-Technik. Dazu gehören Methoden zur Bestimmung und der Selektion von Geschlecht und Behinderungen.

Bei der aktuellen Kontroverse in Deutschland rund um die Normalisierung des vorgeburtlichen Bluttests für Schwangere zur Feststellung von Trisomie 21 geht es um die Gefahr, unerwünschtes, weil von der gesellschaftlichen Normierung abweichendes Leben auszusortieren. In Indien und China führte die Abtreibung weiblicher Föten zu einem alarmierenden Ungleichgewicht der Geschlechter bei der Geburt. Trotz Verbots werden derzeit handygroße Ultraschallgeräte aus China illegal nach Indien eingeführt, die die Geschlechtsbestimmung noch leichter machen. Und die Abtreibung weiblicher Föten findet wie gehabt im Untergrund statt.

Fortpflanzungsmärkte: Die Karawane zieht weiter

Jahrelang stand Leihmutterschaft im Zentrum des Narrativs über ein "eigenes" Kind und eines sich ausbreitenden fortpflanzungsindustriellen Komplexes. In Indien boomte die Reproduktionsindustrie 15 Jahre lang als internationale Drehscheibe für Fruchtbarkeitstourismus und Wertschöpfungsketten von Biomaterial. Der komparative Vorteil Indiens bei diesem Milliardengeschäft waren preiswerte Leihmütter, ein hohes medizintechnisches Niveau und keine politische Regulierung.

Als die indische Regierung nach jahrelangen öffentlichen Debatten über Ausbeutung 2013 zunächst Leihmutterschaft für Schwule und 2016 kommerzielle Leihmutterschaft und Eizellenabgabe schlechthin verboten hat, verfrachteten Reproduktionsunternehmen indische Leihmütter zur Geburt zunächst nach Nepal. Dann bauten sie Zweigstellen z. B. in Kambodscha auf. Seit Nepal, Thailand und Kambodscha ebenfalls ein Verbot von Leihmutterschaft verhängt haben, finden immer neue Verlagerungen statt. Das jüngste transnationale Zentrum ist die Ukraine, wo die ökonomische Krise der Nachkriegszeit Frauen zu dieser Arbeit nötigt.

In Indien soll in Zukunft nur "altruistische" Leihmutterschaft für indische Staatsbürger*innen im nahen Verwandtschaftskreis erlaubt sein. Leihmütter protestierten umgehend, weil armen Frauen damit die lukrativste Einkommensmöglichkeit entzogen wurde, ohne dass die Regierung ihnen andere "gute" Erwerbsarbeit bieten oder sich gegen andere kommerzielle Ausbeutung wenden würde.

Verbot oder Regulierung

Feministische Forscherinnen wie Amrita Pande, Autorin des Buches Wombs in Labor, und feministische Gesundheitsorganisationen wie SAMA in New Delhi [2] analysierten jahrelang die Industrie in Indien und sprachen mit vielen Leihmüttern über ihre Motive, ihre Wahrnehmung von Ausbeutung, ihre Träume. Leihmütter wollen Respekt für ihre Entscheidung und ihre Arbeit, auf keinen Fall eine Stigmatisierung - wie häufig geschehen - als Sexarbeiterin oder als Ausbeutungsopfer. In einem ethnographic turn (Pande) [3] hatte dies im Laufe der Zeit eine Solidarisierung der Forscherinnen mit den Leihmüttern zur Folge: Sie anerkannten Leihmutterschaft als Arbeit. Technikkritische Feministinnen lehnen dies als Normalisierung von Leihmutterschaft ab.

Deutsche Gegnerinnen der Reproduktionsmedizin kritisieren derzeit Biowissenschaftler*innen der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, die die Eizellenabgabe - wie in Österreich - legalisieren wollen und das Verbot der Leihmutterschaft als "nicht mehr zeitgemäß" betrachten. FINRRAGE unterstützt Kampagnen wie No2Eggsploitation, Hands Off Our Ovaries und Stop Surrogacy Now gegen die wachsende Verwertung und Kontrolle durch das Medizinbusiness und Pharmakonzerne.

Trotz ihrer scharfen Kritik an der Fortpflanzungsindustrie und an der Dystopie von Designerbabys sehen Pande und SAMA das indische Verbot nicht als Lösung des Kommerzialisierungsproblems: Die Geschäfte der Reproduktionsunternehmen gehen im Untergrund weiter, in patriarchalen Familien könnten Frauen zur unbezahlten Leihmutterschaft gezwungen werden, Frauen, die als Leihmütter arbeiten wollen, werden für andere reproduktive und klinische Arbeiten wie Eizellenabgabe oder Medikamentenversuche eingesetzt. Zudem wird gleichgeschlechtlichen Paaren und Einzelpersonen kein Recht auf ein "eigenes" Kind zugestanden.

Pande und SAMA fordern eine Regulierung des gesamten reproduktionsmedizinischen Sektors, Rechtsschutz sowie eine Entstigmatisierung der Arbeit der Frauen - und entfernen sich damit weiter von der Grundsatzkritik von FINRRAGE und anderen Feministinnen.


Anmerkungen:

[1] www.finrrage.org
[2] www.samawomenshealth.in
[3] www.youtube.com/watch?v=a1dXKanckgs

Zur Autorin: Christa Wichterich hat als Journalistin, feministische Aktivistin und Professorin für Geschlechterpolitik zu sexuellen und reproduktiven Rechten geforscht und publiziert; z. B. im Herbst 2018 zur Funktion der sogenannten Kinderwunsch-Tage in Deutschland:
www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2018/oktober/gekaufte-mutterschaft

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 148, 2/2019, S. 12-13
Text: © 2019 by Frauensolidarität / Christa Wichterich
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2020

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