Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

GENDER/021: Vietnam - Transvestiten kämpfen um Anerkennung, Unterstützung meist aus dem Ausland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2012

Vietnam: Transvestiten kämpfen um Anerkennung - Unterstützung meist aus dem Ausland

von Helen Clark

Transvestit, der als Karaoke-Sängerin in Restaurants auftritt - Bild: © Helen Clark/IPS

Transvestit, der als Karaoke-Sängerin in Restaurants auftritt
Bild: © Helen Clark/IPS

Ho-Chi-Minh-Stadt, 14. Juni (IPS) - Das Restaurant Thuy Linh liegt an einem der schwarzen, brackigen Kanäle am Rand des dritten Distrikts in Ho-Chi-Minh-Stadt. Von anderen Lokalen in dem Viertel unterscheidet sich Thuy Linh vor allem dadurch, dass die meisten Kellner Transvestiten sind.

Die Bedienung bahnt sich ihren Weg vorbei an Tischen, an denen Familien und Freunde zusammensitzen. Dazwischen tummeln sich Kleinkinder und übertönen mit ihrem Geschrei die Musik. Seit der Eröffnung des Esslokals vor etwa zehn Jahren haben hier viele Transvestiten und einige schwule Männer einen Job gefunden.

Hong Ngoc ist ein 'pe de', wie Transvestiten in Vietnam genannt werden. Sie arbeitet seit Jahren als Kellnerin in dem Lokal ihrer Tante. Wie sie erzählt, sei das Restaurant von einem 'pe de' mit der Absicht gegründet worden, Angehörigen der sexuellen Minderheit Arbeit und Unterstützung anzubieten.

Viele Transvestiten verlassen ihre Heimatprovinzen, weil sie dort von ihren Familien nicht akzeptiert werden. Gerade in den ländlichen Gebieten, wo etwa 70 Prozent der 86 Millionen Vietnamesen leben, geht es konservativer zu als in den größeren Städten des südostasiatischen Landes. Die meisten Transvestiten müssen entweder um Anerkennung kämpfen oder ihre sexuelle Orientierung verbergen.

Hong Ngoc wurde sich im Alter von 16 Jahren ihrer sexuellen Identität bewusst. "Ich interessierte mich für Kleidung und andere schöne Dinge", sagt sie. Hong Ngoc hat keine Brustimplantate, trägt jedoch langes Haar, und ihre Augenbrauen sind schmal gezupft. "Die meisten von uns sind von Geburt an schwul", meint sie. "Wenn wir älter sind, haben wir die Freiheit, unsere Familien zu verlassen und 'pe de' zu werden." Ihre eigene Familie weiß nichts von ihrem neuen Leben. Vor den seltenen Besuchen bei den Verwandten in der südlichen Provinz Bac Lieu schneidet sie sich das Haar ab.


Langer Weg zur Anerkennung

Obwohl Transvestiten in der vietnamesischen Gesellschaft mehr Respekt erfahren, stoßen sie doch immer wieder auf größere Hürden. Anders als Nachbarländer wie Thailand oder Indonesien hat Vietnam keine langjährigen Erfahrungen mit dem 'dritten Geschlecht'. Viele Menschen, vor allem im konservativen Norden, tun sich schwer damit, das Phänomen zu verstehen.

Transvestiten können ihre Namen auf ihren Pässen nicht ändern und sich in Krankenhäusern auch nicht auf Frauenstationen behandeln lassen. Da jegliche politische Organisation in dem Ein-Parteien-Staat verpönt ist, konnte sich die Bewegung der Lesben, Homosexuellen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) in den vergangenen Jahrzehnten nicht so durchsetzen wie in anderen Ländern. In Vietnam fehlt der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Gruppen, die meist unter sich bleiben.

Dennoch werden ihre Belange zunehmend wahrgenommen. Ende vergangenen Jahres kam ein Film über einen jungen Stricher in Ho-Chi-Minh-Stadt, 'Hot Boy Noi Loan' (Verloren im Paradies) in die kommerziellen Kinos, wurde kaum zensiert und erhielt gute Kritiken.

Die Homo-Ehe ist in Vietnam allerdings noch nicht erlaubt. Im Jahr 2000 wurde offiziell ein Verbot erlassen, nachdem zwei Frauen geheiratet hatten. Vor kurzem mussten zwei Familien im Süden Bußgelder zahlen, nachdem ihre Söhne männliche Partner geheiratet und eine Hochzeitsfeier veranstaltet hatten.


Verdienstmöglichkeiten begrenzt

In Ho-Chi-Minh-Stadt verdienen sich viele 'pe de' ihren Lebensunterhalt als Entertainer und treten als Sänger auf Hochzeiten und Beerdigungen auf. Einige Transvestiten arbeiten als Callgirls, die meisten nach einer vollständigen Geschlechtsumwandlung.

Linh Trang tritt seit mehr als 20 Jahren als Entertainerin auf und organisiert unter anderem Auftritte von Sängern bei Beerdigungen. Als sie angefangen habe, sei sie mehr "im Untergrund" tätig gewesen, berichtet sie. Die Polizei kann theoretisch immer einschreiten und die Sänger wegjagen. Meistens geschieht dies allerdings nur, wenn es zu laut wird.

Der Alltag der Transvestiten gestaltet sich oft schwierig. "Einige von uns leben von Gesangsauftritten, andere sind dagegen auf Unterstützung von ihren Familien angewiesen", sagt Trang. "Diejenigen, die sich operieren lassen, verdienen als Prostituierte besser als nicht operierte 'pe de'.

Die geringe Unterstützung für die LGBT-Bewegung kommt zumeist von ausländischen Regierungen oder international tätigen Nichtregierungsorganisationen. Anfang dieses Jahres stellte Australien etwa 100.000 US-Dollar bereit. (Ende/IPS/ck/2012)


Link:
http://www.ipsnews.net/2012/06/trans-community-makes-slow-progress-in-vietnam/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2012