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INTERNATIONAL/044: Millionen durch Wetterextreme Vertriebene brauchen mehr Schutz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. September 2011

Klima: Millionen durch Wetterextreme Vertriebene brauchen mehr Schutz

Von Rousbeh Legatis


New York, 2. September (IPS) - Angesichts der zögerlichen Bereitschaft der Weltgemeinschaft, Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase umzusetzen, haben internationale Umweltexperten umfassenden Schutz für die Millionen Menschen gefordert, die infolge des Klimawandels vertrieben werden.

Der Klimawandel sei ein ernster und bisher unterschätzter Faktor, der das weltweite Flüchtlingsproblem weiter verschlimmern werde, warnte Erika Feller vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Im Gespräch mit IPS forderte sie die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich der Herausforderung "koordiniert und pragmatisch" zu stellen.

Feller zufolge müssen die staatlichen Behörden angemessen auf die durch den Klimawandel verursachten Flüchtlingsströme reagieren. Die betroffenen Menschen und Gemeinschaften müssten über ihre Rechte informiert und an Entscheidungen, etwa über ihre Ansiedlung an anderen Orten, beteiligt werden, forderte sie. Kulturelle und ethnische Aspekte müssten dabei ebenso berücksichtigt werden wie existierende Grenzen. Andernfalls drohten Spannungen und Konflikte.

Nach Erkenntnissen der internationalen Organisation für Migration (IOM) bleiben die meisten Menschen, die aufgrund von Klimaphänomenen vertrieben würden, im eigenen Land. Nur ein kleiner Teil von ihnen werde gezwungen sein, in andere Staaten auszuweichen, erklärte Michele Klein-Solomon, die Leiter der IOM-Abteilung für Migration. Diese Menschen zögen von Entwicklungsländern in andere Staaten, die ebenfalls kaum Klimagase produzierten.


Von der Armut in die Armut

Immer häufiger auftretende Überschwemmungen, Stürme, Erdrutsche sowie Dürren und Wasserknappheit würden aller Voraussicht nach dazu führen, dass die Wanderungsbewegungen weiter zunehmen. Experten zufolge sind diejenigen, die am dringendsten Schutz bräuchten, zumeist aber nicht in der Lage, sich neuen Lebensverhältnissen anzupassen. Damit hätten sie nicht die Möglichkeit, sich an anderen Orten niederzulassen, wo die Lebensbedingungen besser seien.

Wie Fachleute kritisieren, finden in den Medien und in der Politik plötzlich auftretende Naturkatastrophen mehr Aufmerksamkeit als schleichende Umweltveränderungen. Welche Folgen der Anstieg der Meeresspiegel, die Versalzung der Böden, die Entwaldung und die Wüstenbildung für die Menschen hätten, werde oft nicht ausreichend beachtet.

Auf einer Konferenz der 'Columbia Law School' im letzten Monat wies Klein-Solomon auf die Dringlichkeit hin, die Ängste der Industrieländer zu zerstreuen, die einen Massenansturm von Klimaflüchtlingen befürchten. Viele sähen dort ihre Arbeitsplätze in Gefahr oder rechneten mit einer weiteren starken Belastung der Sozialsysteme.

Schlimmstenfalls sei damit zu rechnen, dass innerhalb der nächsten 25 bis 30 Jahre rund 250 Millionen Menschen durch die Folgen des Klimawandels vertrieben würden, erklärte sie. Dies sei aber nur ein winziger Teil der Weltbevölkerung. "Es kann also keine Rede davon sein, dass Menschenmassen den industrialisierten Westen überrennen werden", sagte Klein-Solomon. "Schärfere Gesetze oder fremdenfeindliche Debatten können wir nicht gebrauchen."

Verlässliche Schätzungen über das zu erwartende Gesamtausmaß der Klimaflüchtlingsströme liegen bisher nicht vor. Ereignisse wie die Flutkatastrophe in Pakistan im vergangenen Jahr, die Erdrutsche nach heftigen Regenfälle in Brasilien und Kolumbien in diesem Frühjahr sowie die aktuelle Dürre in Ostafrika haben jedoch gezeigt, dass Millionen Menschen durch Wetterextreme zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden.


Langfristige Hilfsmaßnahmen gefordert

Internationale Hilfsmaßnahmen konzentrierten sich zumeist an den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen, sagte Paola Pace von der IOM. Die Ursachen der Klimaphänomene und langfristige Reaktionen würden dabei nicht ausreichend beachtet.

In akuten Notsituationen werde Geld bereitgestellt, das für drei bis sechs Monate reiche, erklärte Pace. Für die folgende Zeit sei es dann schwierig, Geber zu finanzieller Unterstützung zu motivieren. Es gelte nicht nur für Nahrungsmittel, Wasser und Unterkünfte zu sorgen. Den Betroffenen müsse außerdem geholfen werden, Traumata und stressbedingte Krankheiten zu überwinden.

Auch der rechtliche Status von Klimaflüchtlingen ist bisher nicht geklärt. Weder im Völkerrecht noch im internationalen Flüchtlingsrecht findet sich eine Definition. Somit ist es schwierig, Staaten für die Situation der Betroffenen haftbar zu machen. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/home
http://www.iom.int/jahia/jsp/index.jsp
http://www.law.columbia.edu/centers/climatechange
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56824

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2011