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INTERNATIONAL/083: Guatemala - Bürgerkriegsopfer warten auf Entschädigung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. März 2012

Guatemala: Bürgerkriegsopfer warten auf Entschädigung - Korruption erschwert Aufarbeitung der Geschichte

von Danilo Valladares

Völkermordprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt - Bild: © Danilo Valladares/IPS

Völkermordprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt
Bild: © Danilo Valladares/IPS

Guatemala-Stadt, 16. März (IPS) - In Guatemala wurden im Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 250.000 Menschen getötet oder 'verschwanden'. Hinzu kommen unzählige Vertreibungsopfer. Die Betroffenen waren in erster Linie Angehörige der ethnischen Maya, die Täter nach Erkenntnissen der unabhängigen Wahrheitskommission in 93 Prozent aller Fälle Militärs. Die Überlebenden des Völkermords und ihre Familien warten bis heute auf ihre Entschädigung.

"1982 brannten sie unser Haus nieder. Meine Mutter und 15 weitere Verwandte starben in den Flammen", berichtet Jacinto Escobar vom Maya-Volk der Ixil. Er selbst konnte sich vor den Angreifern verstecken. Escobar, der mittlerweile Vater von neun Kindern ist, lebt im nordwestlichen Departement Quiche, dem Hauptschauplatz des bewaffneten Konflikts.

Am 29. Dezember 1996 schlossen die Regierung und die Guerillabewegung Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) ein Friedensabkommen. Der seit Januar amtierende Staatspräsident Otto Pérez Molina, ein ehemaliger General, nahm damals als Vertreter der Streitkräfte an den Friedensverhandlungen teil.


Wahrung der Rechte Indigener im Friedensvertrag verbrieft

In den Abkommen wurde festgelegt, dass Überlebende des 36-jährigen Konflikts Anspruch auf Entschädigungen haben. Außerdem wurden besondere Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte und der Rechte Indigener getroffen. 2003 rief die Regierung ein Programm ins Leben, das die notwendigen Schritte zur Entschädigung und Rehabilitierung der Kriegsopfer einleiten sollte.

Korruption, Vetternwirtschaft und der Missbrauch des Programms zu politischen Zwecken haben die Aufarbeitung der Vergangenheit jedoch wesentlich erschwert. Die meisten überlebenden Opfer haben bisher keinerlei Entschädigung erhalten, wie Menschenrechtsgruppen kritisieren. Eine kleine Minderheit wurde mit Minimalbeträgen abgespeist.

"Über das Programm wurden im letzten Jahr 576 Häuser freigegeben, die sich allerdings noch im Bau befanden", kritisiert Manuel Tay, ein Überlebender des Bürgerkriegs. "Wir mussten selbst für Zement und Stahl aufkommen und eine Baufirma bezahlen, damit die Gebäude fertig wurden." Tay, der fünf Geschwister im Krieg verlor, bemängelt zudem die schlechte Qualität der Häuser. "Nach drei Monaten war der Boden bereits kaputt."

Um an eine Entschädigung zu gelangen, musste Tay endlose bürokratische Prozeduren überwinden. Schließlich gründete er die Vereinigung 'Q'anil' ('Saat' in der Maya-Sprache Kaqchikel). Bisher hat er für sich und seine zwei überlebenden Geschwister aber erst eine 36 Quadratmeter große Wohnung und umgerechnet 3.600 US-Dollar erhalten.

Für Tay und seine Mitstreiter ist es besonders frustrierend zu hören, dass ehemalige Beamte, die für das Entschädigungsprogramm arbeiteten, Gelder veruntreut haben sollen. Eine Untersuchung, an der sich 2010 und 2011 fast 20 Nichtregierungsorganisationen beteiligten, kam zu dem Schluss, dass die Wiedergutmachungsmaßnahmen durch einen Mangel an Transparenz sowie diskriminierende Praktiken behindert wurden. "Es gibt Anzeichen für Korruption bei der Umsetzung und Verstöße gegen die Rechte der Opfer", heißt es in dem Bericht. "Eine klare, systematische, angemessene und dauerhafte Strategie im Umgang mit kollektiven Fällen ist nicht erkennbar."

Im vergangenen Jahr zogen 32 Ureinwohnerorganisationen gegen den Staat Guatemala vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission. Sie warfen der Regierung vor, nicht effizient genug dafür gesorgt zu haben, dass Überlebende und Angehörige von Kriegsopfern entschädigt würden. Auch die im Friedensabkommen von 1996 vorgesehene soziale und psychologische Unterstützung fiel ihrer Ansicht nach zu gering aus.


Erst 20 Prozent der Überlebenden entschädigt

Sergio Castro vom unabhängigen Zentrum für forensische Untersuchungen und angewandte Wissenschaften (CAFCA) schätzt, dass bisher höchstens 20 Prozent der Opfer Entschädigungen erhalten haben. Eine Rückgabe von Land sei es ebenso wenig erfolgt wie Investitionen in die Produktion oder psychosoziale Hilfe insbesondere für Frauen. Allein unter Ex-Präsident Efraín Ríos Montt (1982 bis 1983), der derzeit wegen Völkermord vor Gericht steht, wurden 1.485 Mädchen vergewaltigt und 29.000 Menschen vertrieben.

Feliciana Macario von der Nationalen Koordinationsstelle der guatemaltekischen Witwen (Conavigua) warf den Behörden einen "Mangel an politischem Willen" vor. Auch die Tatsache, dass Pérez Molina nun Präsident des zentralamerikanischen Landes ist, stimmt die Aktivistin skeptisch. "Da er das Abkommen mit unterzeichnet hat, sollte er auf dessen Umsetzung dringen", fordert sie.

Für 2012 wird das Budget des Entschädigungsprogramms mit 10,5 Millionen Dollar veranschlagt. Den Betrag halten Sozialverbände für unzureichend. Sie verlangen 40 Millionen Dollar. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.cafcaguatemala.org/
http://www.conavigua.org.gt/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100317
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107056

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. März 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2012