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INTERNATIONAL/192: Lateinamerika - Wachsender Bedarf an Betreuern für Kinder, Senioren und Behinderte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Mai 2015

Lateinamerika: Wachsender Bedarf an Betreuern für Kinder, Senioren und Behinderte - Versorgungskrise im Anmarsch

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Eine Betreuerin mit einer älteren Frau auf einer Straße in Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

BUENOS AIRES (IPS) - In Lateinamerika zeichnet sich ein erhöhter Bedarf an Betreuern von Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderung ab. Experten versuchen, dem Thema mehr Öffentlichkeit zu verschaffen und die Politik zu mehr Investitionen in den Bereich zu ermuntern.

Wie Zahlen des argentinischen Statistikamtes INEC belegen, leisten Frauen mit durchschnittlich 6,4 Stunden pro Tag doppelt so viel Betreuungsarbeit wie Männer mit 3,4 Stunden pro Tag. Selbst berufstätige Frauen bringen mit 5,8 Stunden täglich erheblich mehr Zeit für die Fürsorge von Menschen auf, die sich nicht oder nicht mehr allein versorgen können.

Doch angesichts der Alterung der Gesellschaft werde die Belastung zunehmen, wie Gimena de León, Expertin für inklusive Entwicklung beim UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), warnt. "In Lateinamerika erleben wir das, was gemeinhin als Pflege- oder Betreuungsnotstand bekannt ist. Mit steigender Lebenserwartung wächst der Bedarf an Betreuungs- und Pflegekräften."

De León zufolge hat der massive Zustrom von Frauen auf den Arbeitsmarkt dazu geführt, dass die Verfügbarkeit von Betreuern abgenommen hat. "Die derzeitige Bevölkerungsstruktur und der Rückgang der innerfamiliären Betreuungskapazitäten sind die beiden Hauptfaktoren, die den Engpass an Betreuern verursachen."


Alterung der Gesellschaft

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) berichtet, dass 53 Prozent der lateinamerikanischen Frauen im erwerbsfähigen Alter im Berufsleben stehen. In der Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen sind es sogar 70 Prozent.

Nach Hochrechnungen der ILO werden im Jahr 2050 Senioren fast ein Fünftel der lateinamerikanischen Bevölkerung ausmachen. Der Alterungsprozess ist für die Region mit 600 Millionen Menschen ein vergleichsweise neues Phänomen. Er hinterlasse eine Versorgungslücke, die inzwischen nicht mehr zu übersehen sei, meint René Mauricio Valdés, der Vertreter des Argentinien-Büros des UNDP. Lange sei es selbstverständlich gewesen, dass Familien und insbesondere die Frauen für die Pflege und Betreuung von Angehörigen zuständig seien.

Das UNDP und Organisationen wie die ILO und das Weltkinderhilfswerk UNICEF sind bemüht, in der Region eine Debatte über die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen in Gang zu bringen, die für mehr Geschlechtergleichheit bei der Betreuung und Pflege von Bedürftigen sorgen soll.

Dem UNDP zufolge beinhaltet die Betreuung von Menschen eine Vielzahl von Aktivitäten und Beziehungen, die sicherstellen, dass die physischen und seelischen Bedürfnisse von Menschen, die sich nicht oder nicht mehr selbst versorgen können, befriedigt werden.

Regional sind die größten Fortschritte in Costa Rica feststellbar, insbesondere wenn es um die Betreuung von Kindern geht. In Uruguay haben die Behörden ein nationales Betreuungsprogramm für Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr, für Ältere und Menschen mit Behinderung in Gang gesetzt. Eine wichtige Rolle kommt dabei der Aufwertung des Pflege- und Betreuungsberufs durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu.

Aber auch andere Länder wie Chile und Ecuador können gewisse Erfolge vorweisen. Allerdings sind die Maßnahmen weitgehend Stückwerk. In Argentinien bietet das Nationale Programm der häuslichen Betreuer Fortbildungskurse für bezahlte Betreuungskräfte und häusliche Betreuung und Pflege im Rahmen staatlicher Sozialleistungen für arme Familien an. Doch die Wartezeiten, in den Genuss einer solchen Fürsorge zu kommen, sind lang.

"Die derzeitigen Maßnahmen sind unzureichend, um die Familien und insbesondere die Frauen zu entlasten, die deutlich mehr Betreuungsarbeit leisten als die Männer", meint De León. "Die Verteilung der Betreuungsarbeit geht klar zu Lasten von Frauen, und der Staat muss hier eingreifen."


Ein günstiges Betreuungsumfeld schaffen

Lösungen müssten die besonderen Charakteristika des jeweiligen Landes berücksichtigen, empfiehlt die UNDP-Beraterin. Sie schlägt neben längeren Mutter- und Vaterschaftsurlauben mehr Betreuungsangebote für ältere Menschen, zusätzliche Tageseinrichtungen für kleine Kinder, ein höheres Maß an Flexibilität bei den Arbeitszeiten und das Recht auf Arbeit im Homeoffice vor.

Bisher hatte das Thema Betreuung ein Schattendasein geführt - auch im politischen Diskurs, wie Fabián Repetto vom Argentinischen Zentrum für die Umsetzung öffentlicher Politiken zur Förderung von Gleichheit und Wachstum berichtet. Seiner Meinung nach wird der zunehmende Betreuungsbedarf das politische Interesse an dem Thema erhöhen und die Behörden zwingen, in dieser Frage aktiv zu werden. (Ende/IPS/kb/19.05.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/05/latin-america-must-address-its-caregiving-crisis/

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IPS-Tagesdienst vom 19. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2015

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