Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


INTERNATIONAL/196: Die traditionelle asiatische Familie als Hort des Patriarchats (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 132, 2/15

Zukunftsfähige Familie?
Die traditionelle asiatische Familie als Hort des Patriarchats

Von Astrid Lipinsky


Wie sieht die Idealvorstellung eines zukünftigen Ehemannes in Asien aus? Welche Aufgaben haben Frauen und Männer in einer Ehe zu erfüllen? Und welche Familienmodelle werden gelebt? Ob die traditionellen Vorstellungen von Familie noch immer der Realität entsprechen, soll in diesem Artikel untersucht werden.


Frauen haben zu heiraten, und in Asien taten sie das zu über 98 Prozent. Ein alternatives Leben war für Frauen nicht vorgesehen, die Ehe der einzige legitime Weg zu sozialem Aufstieg, und zwar nicht nur für die Frau allein, sondern für ihre gesamte leibliche Familie. Für solchen Aufstieg braucht frau heute keine Heirat mehr - die hypererfolgreiche berufliche Karriere dank einer exzellenten Ausbildung reicht aus.

Asienweit sind Frauen in Schulen und Universitäten erfolgreicher als Männer. Sie lernen von Jugend an, dass ihre Heirat ökonomische Ziele erfüllen muss: Mindestmonatseinkommen und Wohnungseigentum des Mannes, der mindestens zwei Autos in der Garage hat und dessen Eltern idealerweise bereits verstorben sind. Romantisches Zuckerl außerdem: Der Ehemann in spe sollte groß sein, gebildet(er als sie) und nicht mehr als ein paar Jahre älter. Ein Mann, der diesen Kriterien nicht entspricht, wird keines zweiten Blickes gewürdigt. Je älter frau wird, desto kleiner ist die Zahl der verfügbaren Wunschmänner.


Aus dem Traum erwachen

In der Ehe findet sich frau dann plötzlich sehr veralteten patriarchalen Normen unterworfen, die in keinem Gesetz stehen, aber in der Gesellschaft zwingende Autorität haben. Entweder sind diese Normen konfuzianisch (3000 Jahre alt) oder ebenso mehrtausendjährig hinduistisch. Jedenfalls haben sie eine philosophisch-religiöse Verbrämung und also höchsten Rang. Aufgaben der Ehefrau sind das Gebären von Söhnen sowie die Pflege der Schwiegereltern im Alter.

Damit es mit dem Gebären funktioniert, schreiben in ganz Asien die Regierungen das "späteste" Heiratsalter für Frauen vor: in Indien liegt es bei 25 Jahren, in China bei 27 und in Taiwan sowie in Japan bei über 30 Jahren. Jegliche wissenschaftliche Erkenntnisse zählen nichts, die Frau ab 35 ist in Taiwan "Spätgebärende", und ihre medizinischen Risiken werden ihr nur so um die Ohren geschlagen.

Das Alter des Mannes spielt natürlich keine Rolle, mann benötigt schon ein paar Jahre oder das Geld der Eltern, um die finanziellen Anforderungen der Ehe zu erfüllen. Die idealen Männer sind natürlich rar gesät. Immer mehr Frauen in Asien verweigern sich einer zweiten Wahl und bleiben lieber allein.


Das Ende der Familie?

Oder muss Familie einfach anders verstanden werden? Die taiwanische 14-tägig erscheinende Zeitschrift "Commonwealth" hat in ihrer diesjährigen Februar/März-Nummer zwölf neue alternative Familienformen identifiziert. Darin werden real existierende Gegenentwürfe zum traditionellen Familienmodell präsentiert, die zeigen, dass der kommerziell-utilitaristische, Frauen instrumentalisierende Familientypus keine Zukunft hat, aber auch, wie weit entfernt europäisch-westliche Modelle von der asiatischen Vorstellungswelt sind.

Wenn Familie neu eine emotionale - und physische - Heimat ist, kommt es beispielsweise auf die reproduktive Funktion nicht (mehr) an und auch nicht auf die Vielzahl der Verwandten. So lässt Hsu Lu ihre Medienkarriere in der Hauptstadt Taipeh hinter sich, sie allein repräsentiert ihre Familie plus die Nachbar_innen im abgelegenen Dorf. Deng Fanglan, Altenpflegerin aus Vietnam, hat nicht die Nachbar_innen, sondern ihre taiwanischen Arbeitgeber_innen als ihre nicht verwandte Familie auf Zeit adoptiert.

"Familie auf Zeit" ist auch ein neues Familienkonzept für die live-in ausländischen Care-Arbeiter_innen in Taiwan, die dort höchstens zwölf Jahre lang arbeiten dürfen. Die leibliche Familie - daheim in Vietnam, in Indonesien oder auf den Philippinen - reduziert sich auf die stolz hergezeigten Fotos der mit dem in Taiwan verdienten Geld gebauten Häuser.

"Familie" sind in dieser neuen Typisierung der Zeitschrift - in Asien jedoch selten - Einelternfamilien oder 3-Generationen-Frauenhaushalte mit Mutter, Kind und Großmutter. Gesetzlich nirgends in Asien erlaubt, aber längst Realität sind gleichgeschlechtliche Paare oder Langzeitbeziehungen mit zwei getrennten Wohnungen. Überhaupt neu in Asien gibt es jetzt Vater-Sohn-Familien. In diesem Fall ist allerdings der Sohn erwachsen und der Vater (kritischer) Begleiter seiner Berufskarriere.


Familienkonstellationen

Ehen über ethnische Grenzen hinweg waren nicht Teil der konfuzianischen und erst recht nicht einer indischen Heirat innerhalb einer Kaste. Aber in der globalen Welt entwickeln sich binationale Verbindungen als neue Formen von Familie. Da heiraten ein Taiwaner und die als Flüchtling aus Myanmar nach Taiwan gekommene und dort aufgewachsene Frau; da wird die Ehe eines Hakka(1) aus Meinong mit einer indonesischen Hakka-Braut arrangiert, die Eheleute haben nur den Hakka-Dialekt als grenzüberschreitende gemeinsame Sprache; da ist eine Familie in Taiwan sichtlich - blauäugige Kinder! - ethnisch gemischt, tatsächlich stammt die Mutter aus Polen. Neu ist auch die Entwicklung in Sachen Adoption. Traditionell adoptierte ein kinderloses Paar in der Hoffnung, dass die Adoption ein leibliches Kind "anregen" würde. Familien mit eigenen Kindern wären nie auf die Idee gekommen zu adoptieren, und die Gesellschaft hat nach wie vor kein Verständnis dafür, dass eine Familie mit leiblichen Kindern ein weiteres Kind in Langzeitpflege nimmt. Der nächste Schritt wäre die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare, die gar nicht so weit weg ist von der traditionell befürworteten informellen (im modernen Gesetz nicht vorgesehenen) Adoption durch Alleinstehende, um die Erbfolge zu klären.

Wie sich nun zeigt, sind in Sachen Familie und Ehe die traditionellen Mann-Frau-Bilder längst nicht mehr einzig gelebte Realität. Was aber in vielen Ländern Asiens fehlt, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen und die gesellschaftliche Akzeptanz, um ein selbstbestimmtes "Familienleben" abseits der Vater-Mutter-Kind-Konstellation zu leben.


ANMERKUNG:
(1) Mit Hakka oder sogenannten Guest People wird eine in ganz Asien verbreitete Gruppe mit gemeinsamem und typischem Dialekt bezeichnet.


ZUR AUTORIN:
Astrid Lipinsky leitet das Wiener Zentrum für Taiwanstudien und gibt die Vienna Taiwan Studies Series heraus. Sie lebt in Wien.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 132, 2/2015, S. 13-14
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang