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JUGEND/308: Jugendarbeit unter Druck (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2013 - Nr. 101

Jugendarbeit unter Druck
Die Alltagswelt von Heranwachsenden und die Rahmenbedingungen für die Kinder- und Jugendarbeit haben sich gewandelt. Wie die Träger den vielfältigen neuen Herausforderungen begegnen können

von Klaus Schäfer



Die Kinder- und Jugendarbeit dient der allgemeinen Förderung junger Menschen. Ihre Geschichte zeigt, dass sie weit mehr ist als ein Ort reiner Freizeitbeschäftigung. Sie leistet schon immer einen wichtigen Beitrag zur Bildung und Erziehung. Dennoch muss sie sich stets von Neuem besonders legitimieren. Vor allem in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte wird sie hinterfragt. Ein wesentlicher Grund dafür ist sicherlich, dass es an einer eindeutigen Überschaubarkeit über die Breite und Vielfalt der Angebote und auch über die Wirkung der eingesetzten Mittel fehlt. Die Datenlage ist jedenfalls keineswegs ausreichend. Der 14. Kinder- und Jugendbericht (KJB) weist auf die Bedeutung der Kinder- und Jugendarbeit für das Aufwachsen junger Menschen hin - aber auch auf notwendige Veränderungen (Deutscher Bundestag 2013).


Kinder- und Jugendarbeit ermöglicht Teilhabe und Bildung

Die Kinder- und Jugendarbeit ist seit jeher ein Feld der sozialen, politischen und kulturellen Bildung, der Gestaltung von Freizeit in selbstorganisierter Form, der Organisation junger Menschen in von ihnen gewählten Zusammenschlüssen sowie in besonderen Formen der offenen Einrichtungen. Besonders in der offenen Jugendarbeit können die Jugendhäuser und Jugendfreizeitstätten zu wichtigen Anlaufstellen für junge Menschen werden, die sich in der Gleichaltrigengruppe zusammenfinden. Zudem steht die kulturelle Jugendarbeit an der Schnittstelle zwischen sozialpädagogischer Förderung und der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur.

Die Kinder- und Jugendarbeit ist von unterschiedlichen Trägerinteressen und Angebotsformen geprägt. Sie ist wie kaum ein anderes Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe inhaltlich, regional und trägerspezifisch vielseitig ausgestaltet. Angesichts ihrer besonderen Rolle in der Bildung junger Menschen und der Entwicklung der Ganztagsschulen wird sie immer wieder als ein wichtiger Partner in der Bildung und Erziehung junger Menschen genannt. Als Ort außerschulischer Bildung hat sie durchaus die Qualität, junge Menschen zusammenzuführen, ihnen Räume zu geben, Gelegenheitsstrukturen zu eröffnen und sie in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu fördern. Ein Blick auf die Daten zeigt, dass immer noch viele junge Menschen an den Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit teilnehmen. So weist die Kinder- und Jugendhilfestatistik für das Jahr 2010 insgesamt 89.157 öffentlich geförderte Maßnahmen aus, die von fast 3,3 Millionen jungen Menschen genutzt wurden (inklusive Doppelzählungen; Pothmann 2010).


Die gesellschaftlichen Veränderungen erfordern neue Akzente

Mit Blick auf die im 14. KJB dargestellten Entwicklungen stellt sich die Frage, welche Akzente die Kinder- und Jugendarbeit setzen sollte, um auch in Zukunft ihrer Rolle als außerschulischer Bildungsbereich gerecht zu werden und für junge Menschen attraktiv zu sein. Dabei muss sie sich mehreren Herausforderungen stellen: Die demografische Entwicklung bedingt nicht nur einen quantitativen Rückgang der Zielgruppe, sondern zugleich auch eine regionale Differenzierung. Eine weitere Herausforderung ist der Ausbau der Ganztagsschulen, der zwangsläufig zu einer anderen Zeitgestaltung bei Kindern und Jugendlichen führt. Zudem erweitern kommerzielle Freizeitangebote die Optionsvielfalt für junge Menschen, sie stehen häufig in Konkurrenz zur Kinder- und Jugendarbeit. Das wird durch die Bedeutung der neuen Medien und der virtuellen sozialen Kontakte noch verstärkt. Schließlich lässt die Bereitschaft Jugendlicher nach, sich systematisch und dauerhaft freiwillig zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Das verändert das für die Jugendarbeit so wichtige Prinzip der Ehrenamtlichkeit (Rauschenbach u.a. 2010).

Diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist kein einfacher Prozess. Er verlangt von den Akteuren ein hohes Maß an Selbstreflexion und auch an Willen zur Veränderbarkeit. Dabei kann man nicht von »der« Kinder- und Jugendarbeit sprechen, sondern es müssen die Unterschiede zwischen der offenen, der verbandlichen und der kulturellen Jugendarbeit ebenso gesehen werden wie die regionalen und landesspezifischen Besonderheiten.


Die Jugendarbeit leidet unter den finanziellen Engpässen der Kommunen

Wichtig sind die Rahmenbedingungen für die Kinder- und Jugendarbeit. Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1990 (SGB VIII; siehe Lexikon S. 11 in diesem Heft) ist für sie erstmals eine verbindliche und durchaus breit angelegte gesetzliche Regelung geschaffen worden. Die Regelungen der Paragraphen 11 und 12 des SGB VIII lassen jedenfalls für die Kommunen und auch für die freien Träger keinen Zweifel an ihrem Stellenwert für das Aufwachsen junger Menschen. Dementsprechend hat der öffentliche Träger die Kinder- und Jugendarbeit zu fördern und die erforderliche Grundfinanzierung zu gewährleisten. Zwar ist über die Höhe und den Umfang der Förderung nichts gesagt, dennoch handelt es sich um eine klare Leistungsverpflichtung (Münder u.a. 2009).

In der Praxis fehlt es jedoch oft an der notwendigen Stabilität in der Finanzierung. Es zeigen sich immer wieder zum Teil erhebliche Schwankungen bei der Höhe der Förderbeträge. Die angestrebte Planungssicherheit ist vor allem angesichts der eher schwierigen Haushaltslage der Länder und Kommunen oftmals nicht erreichbar, und in der Politik flackern immer wieder Zweifel an einer zwingenden Notwendigkeit dieser Arbeit auf. Ohne Frage ist die Kinder- und Jugendarbeit auch dadurch in jüngster Zeit in die Defensive geraten. Aber es stimmt ebenso, dass die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen, unter anderem auch durch die steigenden Kosten für die frühkindliche Bildung und die Hilfen zur Erziehung, immer beschränkter geworden sind und Handlungsspielräume enger werden.

Zwar wuchsen die öffentlichen Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit seit dem Jahr 2000 von knapp 1,4 Milliarden Euro auf 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2010. Doch dieser Anstieg ist darauf zurückzuführen, dass die Gesamtförderbeträge von Bund, Ländern und Kommunen in den letzten 15 Jahren angestiegen sind. Von einer nennenswerten Verbesserung der Finanzausstattung der Kinder- und Jugendarbeit kann, verglichen mit dem Beginn der 2000er-Jahre, keine Rede sein (Pothmann 2012). Zudem wird in den Kommunen häufig auf Projekte verzichtet und es werden kaum neue Impulse für die Praxis durch zusätzliche Mittel gesetzt.


Erfolge besser sichtbar machen

Planungssicherheit und Verbindlichkeit sind jedoch zwei Voraussetzungen, die nicht allein für das gute Verhältnis zwischen Trägern und jungen Menschen wichtig sind, sie spielen auch bei der Bildungsförderung und bei der Kooperation mit Schulen eine bedeutende Rolle. Denn nur wenn die Kinder- und Jugendarbeit verlässlich ist und ihre Angebote über längere Zeiträume hinweg planen und gestalten kann, wird sie auch den Stellenwert erhalten, der ihr angesichts der wachsenden Bedeutung non-formaler und informeller Bildung zukommt.

Die Bedingungen für Kinder- und Jugendarbeit sind zwar nicht überall gleich, allerdings gerät sie insgesamt stärker unter den Druck, sich immer wieder zu legitimieren und zu behaupten. Das ist für die oft ehrenamtlich Tätigen eine besondere Herausforderung. Andererseits dürfen aber die Chancen nicht übersehen werden. Denn die (Fach-)Politik sieht durchaus die Leistungen und Möglichkeiten der Jugendarbeit. Das mag sich aus der Sicht der Träger nicht immer in der finanziellen Ausstattung widerspiegeln. Es zeigt sich aber in den Erwartungen an sie. So soll sie zum Beispiel neue Zielgruppen ansprechen und diese für ihre Angebote gewinnen, etwa Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund; sie soll ein Ort gemeinsamer Förderung von Kindern mit und ohne Behinderung werden (Inklusion); sie soll sich in die Ganztagsschulen einbringen, die Ehrenamtlichkeit noch mehr fördern, präventiv arbeiten und natürlich in der Bildungsförderung einen aktiven Part spielen.

Organisationen der Jugendarbeit müssen signalisieren, dass sie diese neuen Erwartungen erfüllen und jungen Menschen im Prozess des Aufwachsens ein wichtiger Partner sein können. Dafür ist es aber auch notwendig, sich stärker auf die unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen einzustellen. Außerdem bedarf es einer Strategie, um junge Menschen mit Angeboten und inhaltlichen Schwerpunkten besser zu erreichen und deren eigene Interessen stärker zu berücksichtigen. Die Fähigkeit, den Alltag mit seinen Widersprüchen und Herausforderungen zu meistern, ist für alle Heranwachsenden von Bedeutung. Die Kinder- und Jugendarbeit kann dabei ein unverzichtbarer Partner sein.

Von allen Herausforderungen hat der neue Bildungsauftrag der Kinder- und Jugendarbeit eine besondere Bedeutung. Gefordert ist mehr und mehr ein Zugehen auf den Lern- und Lebensort Schule und das Einbringen in Ganztagskonzeptionen. Erfahrungen in der Kooperation liegen vor - Mitwirken am erweiterten Schulalltag erfordert aber mehr. In diesen Prozess bringt die Kinder- und Jugendarbeit ihre besondere Stärke und Kompetenz mit: die Nähe zu jungen Menschen und den direkten Bezug zu ihren Lebenswelten. Dies unterscheidet sie von der (klassischen) Schule. Die Zusammenarbeit erweitert ihre Handlungsmöglichkeiten, zum Beispiel durch Projekte oder auch dadurch, dass der Kinder- und Jugendarbeit ein gewisses Zeitbudget in der Schule gegeben wird, das sie selbst gestalten kann. Verlässlicher Partner der Schule zu sein, bedingt aber zugleich, dass sie dieses Verhältnis verbindlich und fachlich angemessen gestalten muss.

Notwendiger denn je ist zudem, dass die Kinder- und Jugendarbeit sich transparent darstellt. Dabei geht es auch darum, das Wissen über Kinder- und Jugendarbeit und über die Wirkung ihrer pädagogischen Prozesse deutlich zu erweitern. Die derzeitige Datenlage ist nicht ausreichend, um die Erfolge und die Stärken der Kinder- und Jugendarbeit sichtbar zu machen.


Auch die Politik ist gefordert

Die Politik ist gefordert, die Kinder- und Jugendarbeit angemessen und ausreichend zu fördern. Denn sie bereichert in jeder Kommune die Bildungslandschaften und unterstützt Präventionsstrategien. Gerade angesichts der enormen Veränderungen in der Jugendphase benötigen junge Menschen einen Partner, der ihnen ermöglicht, ihre ureigenen Anliegen zu realisieren.

So, wie die Kinder- und Jugendarbeit gegenüber Kindern und Jugendlichen verlässlich sein muss, so muss auch die Politik verlässlich gegenüber der Kinder- und Jugendarbeit sein. Natürlich dürfen dabei die finanziellen Möglichkeiten einer Kommune nicht überschätzt werden, und die Kinder- und Jugendarbeit befindet sich durchaus in Konkurrenz zu anderen Bereichen, die ebenfalls eine labile Förderbasis haben. In Anbetracht der zunehmenden Komplexität des Aufwachsens dürfte jede Kommune und jedes Land ein Interesse daran haben, die Potenziale der Kinder- und Jugendarbeit zu erkennen und diese lebensweltorientierte pädagogische Arbeit zu erhalten.


DER AUTOR

Prof. Klaus Schäfer war Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport in Nordrhein-Westfalen und Mitglied im Kuratorium des Deutschen Jugendinstituts. Kontakt: prof.klaus.schaefer@web.de


LITERATUR

DEUTSCHER BUNDESTAG (2013): Der 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen und Bestrebungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12200. Im Internet verfügbar unter
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/122/1712200.pdf
(Zugriff: 8.3.2013)

MÜNDER, JOHANNES / MEYSEN, THOMAS / TRENCZEK, THOMAS (Hrsg.; 2009): Frankfurter Kommentar SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Baden-Baden

POTHMANN, JENS (2010): Wo bleibt die Kinder- und Jugendarbeit? Zwischen realem Krisenszenario und statistischen Ungereimtheiten. In: KomDat Jugendhilfe, Heft 3/2013, S. 6-7.

POTHMANN, JENS (2012): Jugendarbeit - gelandet nach freiem Fall? In: KomDat Jugendhilfe, Heft 1/2012, S. 14-15

RAUSCHENBACH, THOMAS / BORRMANN, STEFAN / DÜX, WIEBKEN / LIEBIG, REINHARD / POTHMANN, JENS / ZÜCHNER, IVO (2010): Lage und Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Baden-Württemberg. Eine Expertise. Dortmund/Frankfurt/Landshut/München. Im Internet verfügbar unter
www.sozialministerium-bw.de/fm7/1442/Expertise_Jugendarbeit_2010.pdf
(Zugriff: 8.3.2013)


DJI Impulse 1/2013 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2013 - Nr. 101, S. 13-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2013