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KIND/103: Mexiko - Prügel und Missbrauch in Waisenhäusern und Kinderheimen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. August 2014

Mexiko: Prügel und Missbrauch - Waisenhäuser und Kinderheime im Visier internationaler Organisationen

von Emilio Godoy


Bild: © mit freundlicher Genehmigung von Laura Martínez

Kinder in dem Heim 'Villa Infantil Irapuato'

Bild: © mit freundlicher Genehmigung von Laura Martínez

Mexiko-Stadt, 25. August (IPS) - Waisenhäuser und Kinderheime in Mexiko werden nach Meinung unabhängiger Experten vom Staat nicht ausreichend reglementiert und überwacht. Gravierende Menschenrechtsverstöße sind die Folge.

"Die Lage ist sehr ernst", erklärt Laura Martínez, Direktorin der Kinderschutzorganisation 'Patronato Pro Hogar del Niño de Irapuato' in der Stadt Irapuato im zentralmexikanischen Bundesstaat Guanajuato, etwa 300 Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt. "Kein nationaler Zensus gibt darüber Auskunft, wo sich die Kinder aufhalten und wer sich nach welchen Methoden um sie kümmert. Das alles sollte genau festgelegt und gut kontrolliert werden. Geltende Regelungen werden nicht befolgt, Gesetze dazu gibt es bisher nicht."

In dem von Martínez' Organisation geleiteten Heim 'Villa Infantil Irapuato' werden seit 1969 Kinder betreut. Bis zu 40 Waisen oder andere gefährdete Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 20 Jahren können dort aufgenommen werden. Seit 2003 gelten in dem Heim, das aus privater und öffentlicher Hand finanziert wird, eigene Regelungen für den Umgang mit den Schutzbefohlenen. Die Unterbringung der Kinder wird von der Behörde 'Nationales System für integrale Familienentwicklung' (DIF) veranlasst.


400.000 mexikanische Kinder ohne elterliche Fürsorge

Menschenrechtsexperten warnen aber, dass die Zustände in vielen anderen Waisenhäusern in Mexiko nicht mit den internationalen Abkommen, die die Regierung unterzeichnet hat, zu vereinbaren seien. In dem Land mit rund 118 Millionen Einwohnern, darunter etwa 45 Millionen Minderjährigen unter 18 Jahren, gibt es um die 700 staatliche und private Heime, in denen etwa 30.000 Kinder betreut werden. Nach Schätzungen des Lateinamerikanischen Netzwerks für Pflegeunterbringung leben in Mexiko rund 400.000 Kinder ohne Eltern und ungefähr 100.000 von ihnen auf der Straße.

Zuletzt gerieten die Waisenhäuser und Kinderheime Mitte Juli in die Schlagzeilen. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, dass 596 Menschen, davon 458 Kinder, aus dem Heim 'Die große Familie' in Zamora im westmexikanischen Staat Michoacán in Sicherheit gebracht worden seien. Nach Angaben der Behörden lebten sie unter erbärmlichen Bedingungen in Zimmern, in denen es vor Kakerlaken und Ratten wimmelte.


Gewalt und Missbrauch

Die Opfer berichteten, missbraucht, verprügelt, gegen ihren Willen festgehalten und zum Betteln gezwungen worden zu sein. Das 1947 gegründete Heim wurde von Rosa del Carmen Verduzco, auch als 'Mamá Rosa' bekannt, geführt. Aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustands muss sie sich nicht vor Gericht verantworten. Sechs ihrer Mitarbeiter werden hingegen Entführungen, Kindesmissbrauch und sexuelle Übergriffe zur Last gelegt. Am 30. Juli wurde das Heim endgültig geschlossen.

"Der Staat hat diese Einrichtungen niemals kontrolliert", kritisiert Martín Pérez, Exekutivdirektor des Mexikanischen Netzwerks für Kinderrechte. "Nur wenn ab und zu etwas an die Öffentlichkeit dringt, erinnern sich die Behörden an die Heime. Niemand weiß, nach welchen Methoden die Erzieher mit den Kindern umgehen und welcher Schaden angerichtet wird."

Auch an anderen Orten wurden Übergriffe festgestellt. Am 17. Juni befreiten die Behörden 33 Kinder im Alter von fünf bis 17 Jahren sowie zehn 18- bis 24-Jährige aus der 'Casa Hogar Domingo Savio' in der zentralmexikanischen Stadt Puebla. Die Behörden waren Hinweisen auf Übergriffe seitens des Direktors der Einrichtung nachgegangen.

2011 waren 19 Kinder aus dem 'Instituto Casa Hogar Nuestro Señor de la Misericordia y Nuestra Señora de la Salette' in Mexiko-Stadt befreit worden. Ihnen war mit dem Tod gedroht worden, falls sie anderen von den erlittenen Misshandlungen berichten würden. Zwei Jahre zuvor waren die Behörden 126 Jugendlichen in einer ähnlichen Lage in den 'Casitas del Sur', von der Organisation 'Reintegración Social' geleiteten Heimen, zu Hilfe gekommen. Zwölf Personen wurden vorübergehend vermisst, von drei weiteren fehlt nach wie vor jede Spur.


Vereinte Nationen machen Druck auf Regierung

Nach dem Gesetz für soziale Fürsorge muss das Gesundheitsministerium die Unterbringungseinrichtungen für Kinder überwachen. Praktisch finden solche Kontrollen jedoch nicht statt. Seit mehr als einem Jahrzehnt haben internationale Organisationen Mexiko deswegen ins Visier genommen. In seinen Empfehlungen an die mexikanische Regierung äußerte sich das UN-Kinderrechtskomitee 2006 besorgt darüber, dass viele Kinder in nicht überwachten privaten Heimen lebten, und schlug eine Erfassung dieser Institutionen vor.

"Das Komitee ist beunruhigt über den Mangel an Informationen zur Zahl und zu den Lebensbedingungen von Kindern, die von ihren Eltern getrennt in Heimen leben. Eine große Zahl von ihnen ist in Institutionen untergebracht, die vom privaten Sektor verwaltet werden. Das Komitee bedauert das Fehlen von Informationen und staatlichen Kontrollen", heißt es in dem Report. Das Komitee, das die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention überwacht, empfahl die Einführung von Regelungen im Einklang mit den Kinderrechten und wirksamen Gesetzen.

In dem im Februar 2014 veröffentlichten Bericht 'Das Recht von Jungen und Mädchen auf Familie. Alternative Betreuung. Das Ende der Institutionalisierung in den Amerikas' forderte die Interamerikanische Kommission der Menschenrechte (IAKMR) die Mitgliedsstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eindringlich dazu auf, den Betrieb solcher Unterbringungseinrichtungen zu reglementieren und zu kontrollieren.


Im September UN-Beratungen in Genf

Zivilgesellschaftliche Gruppen in Mexiko haben einen Vorstoß angekündigt, um den Staat zur Erfüllung seiner Pflichten zu zwingen. Während der 69. Sitzung der Arbeitsgruppe des UN-Kinderrechtskomitees vom 22. bis 26. September in Genf wird eine Kinderdelegation gemeinsam mit dem Weltkinderhilfswerk UNICEF und unabhängigen Organisationen einen Bericht zur Lage von Kindern vorstellen.

Im Mai und Juni nächsten Jahres wird das Kinderrechtskomitee, dem 18 unabhängige Experten angehören, die Situation in Mexiko bewerten. Im Oktober wird die CIDH-Kinderrechtsbeauftragte Rosa Maria Ortiz das Land besuchen, um einen Bericht zu erstellen. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/08/mexicos-orphanages-black-holes-for-children/
http://www.ipsnoticias.net/2014/08/los-orfanatos-mexicanos-son-agujeros-negros-para-la-ninez/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2014