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KIND/159: Kinderarbeit - Schuften bis zum Umfallen (Securvital)


Securvital 4/2017 - Oktober-Dezember
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Kinderarbeit
Schuften bis zum Umfallen

von Norbert Schnorbach


Viele Millionen Kinder müssen unter härtesten Bedingungen arbeiten, um sich und ihre Familien am Leben zu erhalten. Umweltzerstörung und Klimaveränderungen verschärfen die Not, wie Berichte aus Indien ebenso wie aus Afrika und Südamerika zeigen.

Die indische Verfassung verbietet es, dass Kinder unter 14 Jahren in Fabriken oder Bergwerken arbeiten. Es gibt gesetzliche Vorschriften zur Eindämmung von Kinderarbeit und soziale Hilfen mit Verpflegung, Schulunterricht und Ausbildungsangeboten. Ein nach Mahatma Gandhi benanntes Gesetz sichert der armen Landbevölkerung ein Basiseinkommen zum Lebensunterhalt in Notfällen. Solche staatlichen Maßnahmen, so lückenhaft sie in der Praxis sind, haben es geschafft, das Ausmaß der Kinderarbeit in Indien in den vergangenen Jahrzehnten zu senken.

Aber immer noch leisten auf dem indischen Subkontinent Hunderttausende Kinder, die noch keine 14 Jahre alt sind, Schwerstarbeit und ruinieren ihre Gesundheit. Oft in Steinbrüchen, wo in härtester Handarbeit große Steinblöcke behauen werden, oder in Ziegelfabriken, wo Frauen und Kinder Lehmblöcke und Ziegelsteine schleppen bis zum Umfallen. 500.000 Fälle von Kinderarbeit wurden allein in den zwei indischen Bundesstaaten Odisha und Andra Pradesh nach amtlichen Angaben bei der letzten Untersuchung festgestellt. Zwangsarbeit, Gesundheitsgefährdung und Ausbeutung von Kindern gehören immer noch zum Alltag, in Indien wie auch vielen anderen Ländern.

"Kinder leiden besonders unter sich verschlechternden Umweltbedingungen. Statt einer Klimapolitik à la US-Präsident Trump brauchen wir eine Umkehr in Richtung Ressourcenschutz und nachhaltigem Wirtschaften."
Terre des Hommes, Kinderarbeitsreport 2017

Das internationale Kinderhilfswerk Terre des Hommes hat nun anhand von Fallstudien aufgezeigt, dass der Teufelskreis von Armut und Krankheit zunehmend auch von Umweltzerstörung und Klimaveränderungen verschlimmert wird. "Unser diesjähriger Kinderarbeitsreport zeigt, dass der Klimawandel die Ausbeutung von Kindern verschärft", berichtet Jörg Angerstein, Vorstandssprecher von Terre des Hommes. Der Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, Klimawandel und der Ausbeutung von Kindern wurde bisher kaum untersucht. Aber mit Fallstudien aus Indien, Nepal und weiteren Ländern zeigt Terre des Hommes im "Kinderarbeitsreport 2017", dass ökologische Veränderungen mit dafür verantwortlich sind, wenn Kinder in ausbeuterische Arbeit gedrängt werden.

Im indischen Bundesstaat Odisha zum Beispiel hat die landwirtschaftlich arbeitende Bevölkerung die Folgen von Klimawandel und extremen Wetteränderungen bereits heftig zu spüren bekommen.

Zerstörte Ernten

Ausgedehnte Trockenzeiten und schwere Regenfälle außerhalb der üblichen Monsunzeiten haben den Zyklus der Landwirtschaft aus dem Tritt gebracht und Ernten zerstört. Abholzungen und Wasserknappheit kamen hinzu. Für viele Familien, die sich traditionell von der Landwirtschaft ernährten, verschlechterten sich die Lebensgrundlagen dramatisch. Durch solche Veränderungen steigt die Armut, stellte Terre des Hommes fest. Die Familien geraten unter Existenzdruck und sind gezwungen, vermehrt auch ihre Kinder arbeiten zu lassen, um das Überleben zu sichern.

Als Folge solcher Umweltveränderungen sei auch zu beobachten, dass immer mehr Menschen Arbeit auf Baustellen oder in den Kohlebergwerken von Odisha als Saisonkräfte suchen. Gerade diese in Indien ohnehin weit verbreitete Saisonarbeit an wechselnden Orten zwingt die Familien zum Umzug in Wander- oder Elendsquartiere und führt zu noch mehr Kinderarbeit.

Die Jungen werden eingespannt für Hilfsarbeiten in Zementfabriken oder auf Baustellen, um Geld zu verdienen, auch die Mädchen gehen oft nicht mehr regelmäßig zur Schule. "In den meisten von uns untersuchten Fällen führt das dazu, dass die Kinder in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen", berichtet Terre des Hommes. Damit wächst dann auch die nächste Generation in die Armut hinein.

Die Slums wachsen

Ähnliche Entwicklungen wurden auch in Afrika und Südamerika festgestellt. In der afrikanischen Sahelzone zum Beispiel hat der Klimawandel zu unberechenbaren Wetterunregelmäßigkeiten und einer Auslaugung der Böden geführt. Dort können viele Familien nicht anders überleben, als auch ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. In Mittelamerika untersuchte Terre des Hommes den Trend, dass immer mehr Familien wegen Überschwemmungen, Stürmen und extremer Witterung die Landwirtschaft aufgeben und in städtische Umgebungen ziehen. Dort verdingen sich dann viele Kinder als Müllsucher, um die Familie über die Runden zu bringen. Auch im südamerikanischen Peru beobachtete Terre des Hommes, dass Familien, die in ländlichen Gebieten keine ausreichende Lebensgrundlage mehr finden, in Slums am Rande der Städte ziehen. Dort arbeiten die Kinder dann zum Beispiel als Hilfskräfte in Baubetrieben. Sie sind nicht bei den örtlichen Behörden gemeldet, haben keinen Zugang zu Schulen und zur Gesundheitsversorgung.

Die Auswirkungen von Dürren, Überflutungen und anderen Folgen des Klimawandels auf Kinder werden auch von den Vereinten Nationen (UN) intensiver untersucht. So leben nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks weltweit mehr als 500 Millionen Kinder in Regionen mit großer Hochwassergefahr, weitere 160 Millionen Kinder in Gebieten mit starker Trockenheit.

Kinderrechte

Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt mittlerweile schon ein Viertel aller weltweiten Sterbefälle bei Kindern unter fünf Jahren auf Umweltursachen zurück. Diese Entwicklung alarmiert die Vereinten Nationen. Derzeit bereitet das UN-Kommissariat für Menschenrechte eine umfassende Untersuchung über die Beziehung zwischen Kinderrechten und Klimawandel vor.

Bereits jetzt - und viel stärker noch in Zukunft - haben Umweltzerstörung und Klimawandel einen dramatischen Einfluss auf die Lebensbedingungen und die Perspektive von Millionen von Kindern. "Die Kombination aus ärmlichen Lebensverhältnissen, geringen Bildungschancen und fehlenden guten Arbeitsbedingungen für junge Menschen und Erwachsene sorgt dafür, dass immer mehr Kinder unter gefährlichen und schädlichen Bedingungen arbeiten müssen", stellt der Kinderarbeitsreport fest.

Für die Reduzierung der weltweiten Armut sei deshalb eine wirksame internationale Umweltpolitik notwendig. Der Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen zur Reduzierung der globalen Treibhausgase sei das falsche Signal. "Statt einer Klimapolitik à la US-Präsident Trump", fordert Jörg Angerstein, "brauchen wir eine Umkehr in Richtung Ressourcenschutz und nachhaltigem Wirtschaften. Das wäre auch ein Beitrag zum Schutz von Kindern vor ausbeuterischer Arbeit."


Hilfe für Kinder in Not
Terre des Hommes Deutschland e.V. wurde vor 50 Jahren gegründet, um schwer verletzten vietnamesischen Kindern zu helfen. Heute engagieren sich 1300 Freiwillige in 100 Städten für das gemeinnützige Kinderhilfswerk. Terre des Hommes unterstützt in vielen Ländern rund 400 einheimische Initiativen mit Spenden. "Wir schützen Kinder vor Sklaverei und Ausbeutung, helfen Flüchtlingskindern, kümmern uns um die Opfer von Krieg, Gewalt und Missbrauch und sorgen für die Erziehung und Ausbildung von Kindern. Wir unterstützen Mädchen und Jungen, deren Familien an Aids gestorben sind und setzen uns ein für das Recht von Kindern auf eine gesunde Umwelt und für den Schutz diskriminierter Bevölkerungsgruppen."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Ziegelherstellung in Indien: Hier arbeiten Kinder, die bis zu 40 Kilo schwere Lasten schleppen müssen.
- Der Klimawandel bringt noch mehr Trockenheit, Waldbrände und Ernteausfälle.
- Mit der Arbeit auf Müllkippen tragen Kinder zum Lebensunterhalt bei.
- Arbeit statt Schule: Bei verarmten Familien in Afrika müssen die Kinder mitarbeiten.

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Quelle:
Securvital 4/2017 - Oktober-Dezember, Seite 16 - 18
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2017

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