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KRIMINALITÄT/065: Pakistan - "Bhatta-Mafia" in Karachi, Geschäftsinhaber müssen Schutzgeld zahlen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. September 2012

PAKISTAN: Karachi in der Hand von Erpresserbanden - Geschäftsinhaber müssen Schutzgeld zahlen

von Zofeen Ebrahim



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Auch kleine Händler müssen Schutzgelder zahlen
Bild: © Zainub Razvi/CC-BY-SA-2.0

Auch kleine Händler müssen Schutzgelder zahlen - Bild: © Zainub Razvi/CC-BY-SA-2.0

Karachi, Pakistan, 25. September (IPS) - In der südpakistanischen Hafenstadt Karachi Geschäfte zu machen ist teuer. Um im Klima der Straflosigkeit zu überleben, reicht die Zahlung von Schutzgeldern schon längst nicht mehr aus. Es braucht vor allem ein starkes Herz.

"Entführungen und Erpressungen sind hier zur Norm geworden", sagt ein 50 Jahre alter Fabrikbesitzer aus Karachi gegenüber IPS. Er schätzt sich glücklich, mit einer monatlichen Rate von 50.000 Rupien (rund 500 US-Dollar) davonzukommen. Andere zahlen weitaus mehr.

Die Schutzgelderpresser werden in Karachi die 'Bhatta-Mafia' genannt: in der Regel junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die mit den neuesten Waffen ausgestattet sind. Hinter ihnen steht meist eine der vier großen politischen Parteien des Landes: die regierende Pakistanische Volkspartei, die Awami-Nationalpartei, die Muttahida-Quami-Bewegung oder die Haqiqi. Seit kurzem wollen auch die Taliban ein Stück vom Schutzgeldkuchen.

Dem ehemaligen Präsidenten der Handels- und Industriekammer in Karachi, Anjum Nisar, zufolge hat sich die Bhatta-Epidemie insbesondere in den vergangenen drei Jahren ausgebreitet. Anfangs seien die Erpressungen auf die Industriegebiete Karachis, Korangi und SITE (Sindh Industrial and Trading Estate), beschränkt gewesen. Doch mittlerweile habe sich diese Praxis auf die gesamte Stadt ausgebreitet und sei nun auch in Einkaufsstraßen und auf Marktplätzen gang und gäbe und "kaum noch kontrollierbar". Somit sind nicht mehr nur Fabrikbesitzer und Großindustrielle betroffen, sondern auch kleine Geschäftsinhaber.

Die Schutzgelderpresser verbreiten Angst und Schrecken. Die meisten Betroffenen trauen sich daher nicht, mit der Presse zu sprechen. Und wenn doch, wollen sie nicht namentlich genannt werden. Auf einem Gebrauchtwarenplatz für Autoteile erzählen einige Geschäftsbesitzer, wie die Erpresser an sie herantreten.


"Keine leere Drohung"

"Zunächst rufen sie an und verlangen eine absurd hohe Summe. Sie sagen dir, wo deine Kinder zur Schule gehen und wo sie sich mit ihren Spielkameraden treffen", berichtet einer von ihnen, während die anderen zustimmend nicken. "Wenn du dich wehrst, kommt die erste Warnung: Einschusslöcher an den Fensterläden deines Geschäfts, oder sie senden dir eine unbenutzte Pistolenkugel zu mit dem Hinweis: "Diese Kugel wird entweder einen deiner Angestellten treffen oder dich selbst."

Ein Geschäftsbesitzer auf der Tariq-Straße, einer der populärsten Marktstraßen der Stadt mit rund 2.000 Läden, erzählt seinerseits: "Weil du weißt, dass das keine leeren Drohungen sind, verhandelst du mit ihnen, bis ihr euch auf eine Summe einigen könnt." Ein Gang zur Polizei, um den Anruf zurückverfolgen zu lassen, lohne nicht. "Normalerweise sagt die Polizei dir, dass du einfach zahlen sollst."

Die Sicherheitskräfte seien selbst finanziell und personell unterversorgt, fügt ein anderer Ladenbesitzer hinzu. "Selbst Minister und Parlamentsabgeordnete, die wir persönlich kennen, sagen uns, dass wir uns mit der Situation abfinden sollen." Auf 18 Millionen Einwohner Karachis kommen gerade einmal 30.000 Beamte.

Auf der Plaza, einem weiteren Gebrauchtwarenplatz in Karachi, heißt es, dass die geforderten Summen pro Erpresserbande zwischen 5.000 und 10.000 Rupien (50 bis 100 Dollar) jährlich liegen. Insgesamt sind hier sechs Banden im Einsatz, hinter denen politische Parteien stehen. Ab und zu verlangen die Erpresser auch unabhängig der regelmäßigen Zahlungen einmalige Abgaben von 200.000 und 500.000 Rupien (2.000 bis 5.000 Dollar).


'Speedy Kidnappings' auf dem Vormarsch

Darüber hinaus haben sich Entführungen eingebürgert. "Sie kidnappen dich, rufen deine Familie an und verlangen, innerhalb von zwei Stunden eine bestimmte Summe aufzubringen. Dann lassen sie dich wieder frei", erzählt ein Mann. 'Speedy Kidnapping' nennt er das. Er hat Angst seinen Namen zu nennen. "Diese jungen Männer sind schlaue Füchse. Ich könnte mir vorstellen, dass sie plötzlich mit diesem Artikel in der Hand vor mir stehen und mich fragen, warum ich es gewagt habe zu reden."

"Unsere jungen Männer haben eine einfache Art gefunden, schnell an Geld zu kommen", sagt ein anderer Mann. "Was sie mit Erpressungen zusammenbekommen, ist mehr als das, was sie mit einem Wirtschaftsstudium verdienen könnten. Hinzu kommt der Kick, wenn sie mit einer halbautomatischen Waffe in der Hand Angst und Schrecken verbreiten. Das gibt ihnen ein Gefühl von Macht, in dem sie sich suhlen."

Für Nisar von der Handelskammer ist auch die hohe Arbeitslosigkeit schuld an der Misere. "Von den Menschen, die jedes Jahr neu in den Arbeitsmarkt eintreten, landen drei Millionen direkt in der Arbeitslosigkeit." Es sei kein Wunder, dass ein Teil von ihnen in der Illegalität nach Wegen suche, um an Geld zu kommen.


Hohe Kriminalität bringt wirtschaftliche Einbußen

Doch die hohe Kriminalitätsrate macht der Wirtschaft zu schaffen. Karachi ist das Wirtschaftszentrum Pakistans. 95 Prozent des Außenhandels werden über die Hafenstadt abgewickelt. Karachi ist für 30 Prozent der landesweiten Industrieproduktion verantwortlich. "Jedes Jahr verliert Pakistan zwischen 1,3 bis zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes an die ineffiziente Energieversorgung und den unzureichenden Rechtsapparat", zitiert Nisar Statistiken des Finanzministeriums.

Andere Länder der Region haben Pakistan längst wirtschaftlich überholt. "Südkorea lag 1965 wirtschaftlich gesehen noch weit hinter uns. Sie haben unser Wirtschaftsmodell übernommen. Jetzt belaufen sich ihre Exporte auf 550 Milliarden US-Dollar. Die Exporte Indiens liegen bei 300 Milliarden Dollar. Wir sind sowohl mit natürlichen Ressourcen als auch mit Arbeitskräften sehr gut ausgestattet. Aber wir kommen mit unseren Exporten gerade einmal auf 24 Milliarden Dollar", sagt Nisar.

Für Arshad Islam gibt es nur eine Lösung: "Wir müssen Karachi waffenfrei machen. Dann kommen die jungen Pistolenhelden hoffentlich endlich zur Vernunft", sagt der ehemalige Präsident der Pakistanischen Vereinigung der Auto- und Autoersatzteilhändler. Er schlägt außerdem eine nächtliche Ausgangssperre vor, da die meisten Verbrechen nachts geschehen.

Doch bis dahin wollen Nisar und andere das Gesetz erst einmal in die eigene Hand nehmen. "Wir haben die Regierung aufgefordert, uns Lizenzen auszustellen, sodass wir uns selbst Waffen besorgen können." (Ende/IPS/jt/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/09/karachi-gripped-by-extortionists/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2012