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REDE/041: Dr. Kristina Schröder zur Gleichstellungspolitik, 4.3.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, zur Gleichstellungspolitik vor dem Deutschen Bundestag am 4. März 2010 in Berlin


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vier Anträge zur Gleichstellungspolitik stehen heute auf der Tagesordnung. Kein einziger dieser Anträge fordert die Abschaffung des Weltfrauentages; denn zu lang ist die Liste der Themen, die an diesem Tag unsere Aufmerksamkeit verdienen. Ich möchte daher meine erste gleichstellungspolitische Rede als Ministerin für ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern in der beruflichen Entwicklung nutzen.

Meine These ist, dass Strukturen und Kulturen in der Arbeitswelt nicht nur Frauen benachteiligen, sondern zu einer Benachteiligung von Menschen, von Männern und Frauen, führen, wenn sie Fürsorgeaufgaben in der Familie übernehmen. Deshalb sehe ich mich hier sowohl als Familienministerin als auch als Gleichstellungsministerin in der Pflicht.

Wir kritisieren zu Recht, dass Frauen immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Wir kritisieren zu Recht, dass auf höheren Hierarchieebenen, in Führungspositionen, insbesondere in Vorständen und Aufsichtsräten, sehr wenige Frauen vertreten sind. Aber warum reden wir so wenig über die kulturellen und strukturellen Ursachen in der Arbeitswelt, die diesen Beobachtungen zugrunde liegen? Ich glaube nicht, dass Gehaltsunterschiede und die fehlende Präsenz von Frauen in den Führungsetagen immer noch das Ergebnis bewusster, schenkelklopfender Diskriminierung sind. Vielmehr glaube ich, dass wir es mit kulturellen und strukturellen Ursachen zu tun haben.

Ich denke dabei zum Beispiel an ein Erlebnis, das ich vor zwei Wochen im Zug hatte. Vor mir saß eine Frau Mitte dreißig mit Notebook, Handy und Tochter. Die Kleine plapperte: "Mein Zimmer ist das schönste, aber dein Zimmer und Papas Zimmer sind auch schön." Da fragte die Mutter: "Mein Zimmer? Papas Zimmer?" Die Kleine antwortete: "Die Küche und das Büro." Da musste ich natürlich erst einmal grinsen, aber in dieser kindlichen Wahrnehmung wird, glaube ich, eines deutlich: Berufstätige Männer nehmen oft zwei, drei Karrierestufen auf einmal, während berufstätige Frauen meist zwei, drei Jobs auf einmal machen, nämlich Beruf, Kindererziehung und Haushalt.

Das hat wenig mit individuellen Denk- und Verhaltensmustern zu tun. Wenn Paare sich freiwillig für dieses Modell entscheiden, dann ist das ihre Privatsache. Aber in vielen Fällen ist es nicht so. Viele Paare heute wünschen sich eine gleichberechtigte Partnerschaft. In den Führungsetagen vieler Unternehmen gibt es eine strukturell familienfeindliche Kultur, die diese häusliche Arbeitsteilung zementiert. Ich glaube, dass genau das das Problem ist. Diese Arbeitskultur ist von einer Leistungselite geprägt, die sich deshalb so kompromisslos ihrer Karriere widmen kann, weil sie die Zuständigkeit für Kinder und Küche weitgehend outgesourct hat. Dazu lasse ich gern einen Mann zu Wort kommen. Ich zitiere aus einem Artikel über Managerehen, der schon vor einiger Zeit in der Wirtschaftswoche erschienen ist. Der moderne Manager sei ein "familienferner Lebensnomade ..."

Ich zitiere weiter:

"Seine Firma verlangt den ganzen Mann, rund um die Uhr und rund um den Globus, dafür wird er schließlich bezahlt, und nicht nur er, auch seine Frau und seine Kinder stehen auf der Gehaltsliste der Firma, als entfernte Angestellte gewissermaßen, weil auch sie ihr Leben dem Job unterordnen, ganz klar ..."

Ich glaube, die Luft für Frauen in den Führungspositionen ist auch deshalb so dünn, weil sie keine familienfernen Lebensnomaden sein wollen. Dies wird aber in vielen Unternehmen unausgesprochen erwartet, und auch die Arbeitszeit in vielen Führungspositionen lässt es überhaupt nicht anders zu. Das meine ich mit den Kulturen und Strukturen, die ich als die Ursache für die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt genannt habe. Solange Frauen kinderlos bleiben und sich für den klassisch kompromisslosen männlichen Lebenslauf entscheiden, ist das kein so großes Problem. Da gibt es zwar die typischen Vorurteile, die jede erfolgreiche Frau kennt, aber das machen Frauen oft durch einen besonderen Arbeitseinsatz wieder wett. Sobald Frauen aber Mütter werden und sich Zeit für Verantwortung nehmen wollen, bezahlen sie dafür mit Gehaltseinbußen und eingeschränkten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Sie sind es, die länger im Beruf aussetzen. Sie sind es, die in Teilzeit zurückkehren. Sie sind es, die den Familienalltag managen. Das ist - das betone ich noch einmal - völlig in Ordnung, solange sich Paare dafür entscheiden. Ungerecht ist es, wenn die äußeren Bedingungen ihnen keine andere Wahl lassen.

Von fairen Chancen für Frauen in der Arbeitswelt kann keine Rede sein, solange familiäre Aufgaben dort als Handicap gelten. Dies gilt übrigens genauso für Männer, die bereit sind, mehr familiäre Verantwortung zu übernehmen. Denn auch sie disqualifizieren sich häufig für höhere Aufgaben in einer von familienfernen Lebensnomaden geprägten Welt, in der sich Kulturen und Strukturen nur sehr langsam verändern.

Was aber bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn Zeit für Verantwortung in der Familie so massiv mit beruflichen Entwicklungschancen bezahlt werden muss? Diese Frage halte ich für entscheidend. Denn ich verstehe meine Arbeit als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht nur als Arbeit für diese Zielgruppen, sondern auch als Gesellschaftspolitik mit einem zentralen Ziel: mit dem Ziel, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu unterstützen und zu fördern. Unter diesen Leitgedanken sollten wir auch unsere Gleichstellungspolitik stellen, und unter dieser Prämisse sollten wir auch die Forderung nach gesetzlichen Quotenregelungen beurteilen.

Die christlich-liberale Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag klar zum gemeinsamen Ziel bekannt, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Dabei kann man mit der Brechstange vorgehen und gleichstellungspolitische Ziele gesetzlich vorschreiben, etwa in Form von gesetzlichen Quoten für alle Bereiche, in denen Frauen fehlen. Das wirkt dann wie Kortison: Die Symptome verschwinden, aber die Ursachen bleiben.

Man kann aber auch versuchen, die Ursachen ungleicher Chancen in der beruflichen Entwicklung zu bekämpfen. Das ist eine langfristige Strategie, und sie fordert ein ganzes Bündel unterschiedlicher Maßnahmen: Maßnahmen, die Denk- und Verhaltensmuster ändern, wie zum Beispiel die Vätermonate oder eine Gleichstellungspolitik, die gezielt auch Jungen und Männer in den Blick nimmt, Maßnahmen, die Zeit für Verantwortung in die Arbeitswelt integrieren, wie zum Beispiel das Teilelterngeld oder unser wichtiges Vorhaben einer Familienpflegezeit, und nicht zuletzt auch Maßnahmen, die die Dominanz von Männern ab einer gewissen Hierarchiestufe transparent machen und Diskussionen darüber anstoßen.

Hier setzt unser Stufenplan an. Was wir brauchen, sind Veränderungen, die wir am besten mit Unterstützung der Unternehmen und nicht im Kampf gegen die Unternehmen erreichen. Deshalb halte ich eine Quotenregelung nicht für die gleichstellungspolitische Offenbarung. Das gilt insbesondere im operativen Bereich, im Management und bei Vorständen; da wäre eine Quotenregelung schon verfassungsrechtlich problematisch. Für Aufsichtsräte allerdings schließe ich eine Mindestanteilsregelung als Ultima Ratio nicht aus. Denn ich bin überzeugt, als Damoklesschwert kann eine gesetzliche Mindestanteilsregelung für Aufsichtsräte notwendige Veränderungsprozesse in Gang setzen. Als Brechstange benutzt, würde sie aber nur die Zahlen verändern.

Vielleicht brauchen wir aber weder das eine noch das andere. Denn Unternehmen können es sich gar nicht mehr leisten, in den Führungsetagen auf die Kompetenz von Frauen zu verzichten. So viel Selbstbewusstsein sollten wir haben, nicht nur am Weltfrauentag.


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Quelle:
Bulletin Nr. 22-1 vom 04.03.2010
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Kristina Schröder, zur Gleichstellungspolitik
vor dem Deutschen Bundestag am 4. März 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010