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RENTE/637: Abschlagsfreie Rente (spw)


spw - Ausgabe 4/2014 - Heft 203
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Debatte: Abschlagsfreie Rente

von Adolf Bauer



Das Rentenpaket - Startsignal für überfällige Verbesserungen

Der 13. Juni 2014 war ein guter Tag für Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Nach jahrelanger Stagnation gab die Bundesregierung ein klares Startsignal für Verbesserungen in der Alterssicherung. Ein Plus bei der Mütterrente, die Erwerbsminderungsrente verbessert, eine Anhebung des Reha-Budgets und - eine Sonderregelung für die abschlagsfreie Rente ab 63. Dieses Vorhaben stand jedoch seit seiner Ankündigung im Kreuzfeuer der Kritik. "Die Rente mit 63 ist grundfalsch", erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. "Selbst Sozialverbände kritisieren jetzt die Rente mit 63", titelte die Zeitung DIE WELT. Die abschlagsfreie Rente rief Kritiker aus verschiedensten Lagern auf den Plan und polarisierte. Zweifellos waren die Beweggründe der Zwischenrufer sehr verschieden.

Wer profitiert von der abschlagsfreien Rente mit 63?

Um was geht es? Die Rente mit 63 soll es Versicherten ermöglichen, nach 45 Beitragsjahren eine abschlagsfreie Rente zu beziehen. Sie ist zum 1. Juli in Kraft getreten. Bisher mussten Versicherte für jeden Monat, den sie vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente gingen, Kürzungen in Kauf nehmen. Das soll nun anders werden. Aber Vorsicht, denn die Rente mit 63 gilt nur für Menschen, die vor 1953 geboren sind. Für Versicherte die nach dem 1. Januar 1953 geboren wurden, soll das Renteneintrittsalter schrittweise auf 65 Jahre angehoben werden. Zu den Leistungen, die auf 45 Beitragsjahre angerechnet werden können, gehören Wehr- oder Zivildienst, Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes sowie grundsätzlich auch Kurzarbeiter-, Insolvenz- und Arbeitslosengeld I.

Zu viele gehen leer aus

Aus Sicht des SoVD profitieren zu wenige von der abschlagsfreien Rente mit 63. Denn der Kreis derjenigen, der von dieser Leistungsverbesserung profitiert, wird aus Sicht des SoVD schon allein deshalb gering ausfallen, weil die Altersgrenze von 63 Jahren nicht dauerhaft im Rentenrecht verankert wurde. Im Gegenteil wird sie, kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen, lediglich für die Geburtsjahrgänge nach 1952 schrittweise wieder angehoben. Zu bedenken ist weiterhin, dass viele der Versicherten die geforderte Wartezeit von 45 Jahren nicht erfüllen. Sie können damit nicht von der abschlagsfreien Rente mit 63 Jahren profitieren, obwohl sie vergleichbare Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung erbracht haben. Das betrifft Versicherte mit vergleichbar hohen Beitragsvorleistungen in weniger als 45 Jahren. Auch ein Großteil der Frauen erreicht die Wartezeit von 45 Jahren nicht. Zum Beispiel aufgrund von Unterbrechungen in den Erwerbsbiografien. Dies gilt im Übrigen auch für Versicherte mit Zeiten der Arbeitslosigkeit. Zwar werden bei der Wartezeit von 45 Jahren auch Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld und vergleichbaren Leistungen berücksichtigt. Dies gilt, allerdings mit Einschränkungen, jedoch nicht für Zeiten des Arbeitslosengeld II- oder des Nichtleistungsbezugs, wovon wiederum Frauen besonders betroffen sind.

Verfassungsrechtliche Bedenken ernst nehmen

Eine hervorgehobene Problemstellung besteht in der Tatsache, dass die bis Ende 2010 zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeld II-Bezugs im Gegensatz zu den Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeld I-Bezugs bei der Wartezeit nicht berücksichtigt werden sollen. Denn die entsprechende Argumentation, Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosengeld II-Bezuges beruhten nicht auf Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auf Steuermitteln, überzeugt nicht. Auch andere, aus Steuermitteln finanzierte Pflichtbeitragszeiten werden schließlich auf die Wartezeit angerechnet. Dies kann verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen, da der Ausschluss von Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung aus SoVD-Sicht zu einer Ungleichbehandlung führt. Deshalb alle Beitrags- und Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen, wäre der richtige Weg.

Folgen der Rente mit 67 nur für wenige Versicherte gelöst

Zweifellos anerkennt Arbeitsministerin Andrea Nahles die Leistung von Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Und es gibt keine Gründe, die dagegen sprechen. Jedoch so sehr die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren zu begrüßen ist, bleibt in der Summe festzuhalten, dass sie die sozialen Folgen der Rente mit 67 nur für einen kleinen Teil der Versicherten löst. Aus guten Gründen wird dies deshalb von jenen als ungerecht empfunden, für die keine Erleichterungen geschaffen wurden. Betroffen sind vor allem schwerbehinderte Menschen, deren abschlagsfreier Renteneintritt unverändert von 63 auf 65 Jahre angehoben wird.

Damit mehr Versicherte von Leistungsverbesserungen profitieren, verbieten sich weitere Insellösungen. Es liegen durchaus Vorschläge vor, die Verbesserungen für alle Versicherten versprechen. Zum Beispiel die Rente mit 67. Sie auszusetzen, wäre ein großer Fortschritt.

Sicher ist, es müssen weitere Reformen folgen. Dies gilt insbesondere für die Erwerbsminderungsrenten. Denn die Zahl der Menschen, die arbeiten wollen, es aber nicht mehr können, wächst. Deshalb müssen die systemwidrigen Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten abgeschafft werden. Anders als bei einer selbstbestimmten Frühverrentung befinden sich die Erwerbsminderungsrentner in einer Zwangslage. Würden die Abschläge abgeschafft, wäre dies nur gerecht und die Betroffenen könnten ein wenig aufatmen.

Adolf Bauer ist Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD).

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2014, Heft 203, Seite 18-19
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2014