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WOHNEN/103: Zentralamerika - Kein Recht auf Wohnen für Millionen Slumbewohner (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2011

Zentralamerika: Kein Recht auf Wohnen für Millionen Slumbewohner

von Danilo Valladares


Guatemala-Stadt, 2. November (IPS) - In Guatemala-Stadt haben Slumbewohner mit Straßenblockaden auf ihre schwierige Wohnsituation hingewiesen und die unverzügliche Umsetzung eines im Parlament fest steckenden Gesetzes gefordert, das ihnen den Zugang zu menschenwürdigen Wohnungen erleichtern soll. Wie der Aktivist Roly Escobar berichtet, leben derzeit 800.000 guatemaltekische Familien in Armensiedlungen. Ein solcher Verstoß gegen das Menschenrecht auf Wohnen lässt sich in ganz Zentralamerika beobachten.

Fast die Hälfte der 43 Millionen Menschen, die in Belize, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama leben, hat erhebliche Probleme, eine menschenwürdige Bleibe zu finden, weil die Kräfte des Marktes den Sektor dominieren. In Zentralamerika und der Dominikanischen Republik mit 11,3 Millionen Haushalten liegt das Wohnungsdefizit bei 43 Prozent. Nach Angaben des zwischenstaatlichen Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) werden in der Region pro Jahr 300.000 Wohneinheiten gebaut.

"In Guatemala sind arme Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen, nicht kreditwürdig und scheitern zudem am verwaltungstechnischen Aufwand", meint Escobar, Sprecher der Bewegung der Slumbewohner, die Ende Oktober die Proteste in Guatemala-Stadt organisiert hatte.

Das dem guatemaltekischen Parlament vorliegende Gesetz sieht vor, eine multisektorale Task Force einzurichten, die Maßnahmen und Strategien wie die Einrichtung eines Wohnungsfonds erarbeiten soll, um den Menschen des zentralamerikanischen Landes ein "würdiges, adäquates und gesundes" Wohnen zu ermöglichen. Neben Finanzierungshilfen geht es auch um Besitzrechte.

Das Recht auf Wohnen ist in vielen internationalen Verträgen wie der Allgemeinen Menschenrechtscharta und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgeschrieben, die in den zentralamerikanischen Staaten jedoch weitgehend ignoriert werden.


Wohnungsmarkt in der Hand des Privatsektors

"Vorrang haben in der Regel Wirtschaftsinteressen. Die Regierungen kommen ihrer sozialen Verantwortung nicht nach", bestätigt Eduardo Velásquez vom Zentrum für städtische und regionale Studien der guatemaltekischen Universität von San Carlos. "Bisher wurde der Wohnungssektor der Privatwirtschaft überlassen. Das neue Gesetz soll dem Staat nun eine größere Rolle beimessen."

Velásquez zufolge steckt der Gesetzentwurf nur deshalb im Parlament fest, weil sich die Abgeordneten nicht für die Realität der guatemaltekischen Bevölkerungsmehrheit interessieren. "Wenn man von einer Wirtschaftsgruppe dafür bezahlt wird, dafür zu sorgen, dass sich am Status quo auf dem Wohnungsmarkt nichts ändert, wird man wohl kaum etwas ändern."

In Guatemala, wo die Hälfte der 14 Millionen Einwohner in Armut und 17 Prozent in absoluter Armut leben, besteht nach Angaben der guatemaltekischen Kammer für Wohnbau ein Defizit an 1,6 Millionen Wohneinheiten.


Wohnungsnot gewollt

In den Nachbarländern sieht es kaum besser aus. "Dass Staaten ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, Menschen angemessene Unterkünfte bereitzustellen, ist weniger auf Untätigkeit zurückzuführen, sondern - was noch schlimmer ist - auf beabsichtigte Hindernisse, die den armen Menschen den Zugang zu angemessenem Wohnraum versperren sollen", meint Ismael Castro von der Salvadorianischen Stiftung für Entwicklung und Wohnen.

Die mangelnde Bereitstellung von Finanzhilfen für arme Familien ist nur einer von vielen Gründen, warum die städtischen Slums Zentralamerikas immer weiter anwachsen. Im 6,1 Millionen Einwohner zählenden El Salvador fehlt es nach Angaben lokaler Sozialverbände an mehr als 550.000 Wohnungen.

Die Chancen, dass sich die Lage bessert, sind angesichts der für den Wohnbau bestimmten staatlichen Zuwendungen von 0,12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) denkbar schlecht. Nicaragua gibt mit 0,14 Prozent unwesentlich mehr aus, wie der Zentralamerikanische Rat für Wohnen und menschliches Siedlungswesen 2008 herausgefunden hat.

Luis Enrique Trundle vom Honduranischen Institut für Zusammenarbeit und Selbstentwicklung zufolge konnte sich die Wohnungssituation in seinem Land ab Mitte des letzten Jahrhunderts zunächst verbessern. Doch dann habe unter dem Einfluss der internationalen Finanzorganisationen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) ein Rückgang der staatlichen Aktivitäten zugunsten des Privatsektors stattgefunden.

"Seit diesem Zeitpunkt hat die Entwicklung von Sozialwohnungen in der staatlichen Planung keine Rolle mehr gespielt", sagt der Aktivist. Bestenfalls seien aufgrund parteipolitischer Entscheidungen einzelne Wohnbauprogramme gefördert worden. Trundle zufolge ist es an der Zeit, Initiativen voranzubringen, die den Bau von Wohneinheiten durch die Betroffenen selbst oder die Gemeinden ermöglichen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.movimientoguatemaltecodepobladores.blogspot.com/
http://www.fundaungo.org.sv/dir_jovenes/45.html
http://www.sica.int
http://www.ipsnoticias.net/login.asp?redir=nota.asp?idnews=99453

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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2011