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WOHNEN/104: Draußen vor der Tür - Exklusion auf dem Berliner Wohnungsmarkt (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 134/Dezember 2011
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Draußen vor der Tür

Exklusion auf dem Berliner Wohnungsmarkt

von Christine Barwick


Werden Menschen - etwa weil es Arbeitsabläufe erleichtert - in Kategorien eingeordnet, so kann dies zu sozialer Ungleichheit führen oder diese verstärken. Dies belegt eine Untersuchung von drei städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin. Hier stellte sich ganz konkret die Frage: Wird jeder Wohnungssuchende tatsächlich als Wohnung suchender Mensch gesehen oder primär als Einheimischer oder Migrant, als Mann oder Frau, als Christ oder Muslim - und je nach Einordnung begünstigt oder benachteiligt?


Wie und wo Menschen wohnen, kann großen Einfluss darauf haben, wie gut sie in ihr Umfeld und letztlich in die Gesellschaft insgesamt integriert sind. Doch nicht jeder kann völlig frei über seine Wohnsituation bestimmen. Wie im Einzelnen bestimmte Mechanismen bei der Wohnungsvergabe den Zugang zum Wohnungsmarkt nach sozialen Kriterien beeinflussen, wurde in einem Berliner Forschungsprojekt untersucht. Analysiert wird die Arbeit von städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin, die vor allem für die Vergabe von Sozialwohnungen zuständig sind. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, in welche gesellschaftlichen Kategorien Mitarbeiter dieser Unternehmen Wohnungsbewerber einordnen und ob Menschen aus bestimmten Kategorien bei der Wohnungsvergabe benachteiligt werden. Ausgangspunkt war die These des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Charles Tilly. Dieser hat gezeigt, dass Kategorisieren soziale Ungleichheit begünstigt. Für den Wohnungsmarkt hieße das konkret: Wird jeder Wohnungssuchende tatsächlich als Wohnung suchender Mensch gesehen oder primär als Einheimischer oder Migrant, als Mann oder Frau, als Christ oder Muslim - und je nach Einordnung begünstigt oder benachteiligt?

Die Grundlage der Untersuchung bilden leitfadengestützte Interviews mit insgesamt sieben Angestellten dreier städtischer Wohnungsbaugesellschaften. Die Interviews fanden jeweils in einem Innenstadt- sowie einem Randbezirk-Büro statt. Außerdem wurde die Arbeit von Angestellten von zwei dieser Wohnungsbaugesellschaften, zuständig für die Wohnungsvergabe in Kreuzberg und Wedding, jeweils einen Tag lang beobachtet.

Organisationen wie die Wohnungsbaugesellschaften und deren Mitarbeiter fungieren als sogenannte Torwächter oder gatekeeper des Wohnungsmarkts. Sie können den Zugang zu Wohnraum kontrollieren, damit in letzter Konsequenz die sozial-räumliche Struktur der Stadt mit prägen - und so auch soziale Ungleichheit beeinflussen. Mit Blick auf soziale Ungleichheit auf dem Wohnungsmarkt macht der Geograf Fred Gray deutlich, dass "it is necessary to distinguish between the privileged and the excluded or disqualified, in terms of the constraints placed upon households by the organizations which allocate housing".

Viele Studien, die sich mit den Torwächtern des Wohnungsmarkts beschäftigen, stellen diese schlicht als diskriminierend dar. Hier wird jedoch diese verengte Perspektive erweitert. Die zentrale These lautet: Auch die politischen Rahmenbedingungen und die Arbeitsabläufe in der Wohnungsbaugesellschaft als Institution können dazu führen, dass sich soziale Ungleichheit verfestigt.

Ein erster Mechanismus, der die Wohnungsvergabe im sozialen Wohnungsbau beeinflusst, resultiert aus stadtpolitischen Rahmenbedingungen. In Berlin beispielsweise finden Hartz-IV-Empfänger, die stark auf den sozialen Wohnungsbau angewiesen sind, oft nur mit größter Mühe eine Wohnung. Denn in der Hauptstadt liegt die Obergrenze für Mieten, die das Jobcenter übernimmt, unterhalb des Preisniveaus der meisten Sozialwohnungen. Grund sind Regeln aus den Anfangszeiten des sozialen Wohnungsbaus, die eine jährliche Zuschusskürzung durch die Stadt Berlin vorsehen. Diese Verluste lassen sich die Vermieter von den Mietern ausgleichen - durch höhere Mieten. Sozialer Wohnungsbau kann in der Hauptstadt daher mittlerweile nicht mehr mit geringen Mieten gleichgesetzt werden.

Die Wohnungsbaugesellschaften können diesem Problem begegnen, indem sie auf einen Teil der Miete verzichten - was für die Unternehmen natürlich ein Verlustgeschäft ist. Denn die Miete, die von der Stadt festgelegt wird, muss in jedem Fall an die Stadt abgeführt werden, notfalls zum Teil aus dem eigenen Etat der Gesellschaften. Eine Mietreduktion wird daher nur in bestimmten Fällen zugelassen: Der Mietbewerber muss eine Arbeit haben oder sich zumindest arbeitswillig zeigen. Zudem darf er keine Mietschulden haben und braucht ein gutes Mietzeugnis vom letzten Vermieter. Nur ein Armer, der es auch "verdient", bekommt also eine Sozialwohnung durch Mietreduktion. In attraktiven Innenstadtlagen, in denen die Nachfrage hoch ist, sind solche Reduktionen jedoch die Ausnahme.

Auch die Gebietsfreistellung ist ein Mechanismus, der zur Exklusion führen kann. Gebietsfreistellung bedeutet, dass Bewerber seit 2002 in bestimmten Siedlungen und Bezirken keinen Wohnberechtigungsschein mehr brauchen, außerdem ist die Fehlbelegungsabgabe weggefallen. Das heißt, dass jeder einkommensunabhängig eine Wohnung des sozialen Wohnungsbaus mieten kann. In Gegenden wie Kreuzberg führt das dazu, dass der verfügbare Wohnraum für Geringverdiener oder Hartz-IV-Empfänger knapp wird - kurzum, die Gebietsfreistellung schränkt den verfügbaren Wohnraum für traditionelle Mieter des sozialen Wohnungsbaus ein. Die interviewten gatekeeper nutzen diesen Spielraum und bevorzugen Berufstätige. Exemplarisch ist ein Beispiel, das Petra Becker (alle Namen wurden geändert), Mitarbeiterin einer für Kreuzberg zuständigen Wohnungsbaugesellschaft, anführt: "Wenn jetzt jemand [eine Einzelperson] sagt 'Ich nehm' jetzt die Dreizimmerwohnung', dann kann er die auch haben. Durch die Fehlbelegung wäre das ja gar nicht möglich gewesen (...) Das erleichtert uns auch die Auswahl der Bewerber." Die politischen Regeln für den sozialen Wohnungsbau der Stadt Berlin führen also dazu, dass die Kategorie Hartz-IV-Empfänger / arbeitslos der Kategorie Mensch mit eigenem Einkommen / erwerbstätig gegenübergestellt wird. Arbeitslose bekommen kaum noch eine Wohnung in attraktiven Stadtlagen. Sie müssen sich häufig mit Wohnungen in heruntergekommenen Sozialbausiedlungen oder benachteiligten Quartieren zufrieden geben.

Auch die Arbeitsabläufe innerhalb der Wohnungsbaugesellschaft fördern eine Kategorisierung der Bewerber. Wenn es beispielsweise darum geht, die Unterlagen zur Bewerbung um eine Wohnung zusammenzustellen, sind Hartz-IV-Empfänger von vornherein im Nachteil und damit schnell ausgegrenzt. Es gewinnen nämlich diejenigen, die am schnellsten die kompletten Unterlagen vorlegen können. Hierzu gehören der Personalausweis, eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, Einkommensnachweise der letzten drei Monate, die Schufa-Auskunft sowie bei Migranten eine für mindestens ein Jahr gültige Aufenthaltsgenehmigung. Gerade für Hartz-IV-Empfänger ist das rasche Beschaffen der Unterlagen aber schwierig, denn sie sind auf die Kooperation ihres Jobcenters angewiesen: Dort müssen sie das Wohnungsangebot vorlegen, sich die Bewerbung auf diese Wohnung genehmigen und bestätigen lassen, dass die Miete übernommen wird. Dies nimmt einige Tage, häufig sogar bis zu zwei Wochen in Anspruch. Hannes Weber von der für Kreuzberg zuständigen Wohnungsbaugesellschaft beschreibt das so: "Oft ist es auch so, dass viele Probleme haben, auch die Unterlagen teilweise zusammenzustellen. Also manche brauchen vier Wochen, manche brauchen fünf Wochen. Solange warten wir natürlich nicht auf den, dass er die Wohnung bekommt, weil dann gibt's ja auch noch andere." Diese Einstellung freilich läuft dem Sinn und Zweck des sozialen Wohnungsbaus zuwider - denn er hat ja den expliziten Auftrag, bezahlbaren Wohnraum speziell für sozial Schwächere bereitzustellen. Hartz-IV-Empfängern nicht mehr Zeit einzuräumen, sich auf eine Wohnung zu bewerben, schließt diese vom Wettbewerb um Wohnraum aus, erst recht, wenn es sich um Wohnraum in gefragten Lagen handelt.

Wer über ein eigenes - und vorzugsweise gutes - Einkommen verfügt, hat wesentlich bessere Chancen, das Rennen zu machen. Das Einkommen spielt aber auch noch in anderer Hinsicht eine wichtige Rolle. Die Wohnungsbaugesellschaften setzen einen bestimmten Schwellenwert fest: Demnach sollen die Mieter nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Das klingt zwar plausibel, kann aber gerade für ärmere Haushalte problematisch sein, denn bei geringem Einkommen ist die relative Mietbelastung automatisch höher. Der Schwellenwert führt also zu einer noch stärker eingeschränkten Wohnungsauswahl für ökonomisch schwächere Haushalte.

Nicht nur die stadtpolitischen Rahmenbedingungen und die Regeln der Wohnungsbaugesellschaft fördern das Kategorisieren. Auch die Mitarbeiter selbst tendieren dazu, ihre Kunden bestimmten Gruppen zuzuordnen und dementsprechend Wohnungen zu vergeben. Die Interviews machen deutlich, dass die vermeintlichen Interessen der deutschen Mieter die Mieterauswahl der interviewten gatekeeper beeinflussen. In attraktiven Gegenden wie Kreuzberg oder auch der Spandauer Altstadt wird, wie die Mitarbeiter selbst einräumen, darauf geachtet, dass keine weiteren Familien mit Migrationshintergrund in ein Gebäude einziehen. Jürgen Scholz, der für eine Wohnungsbaugesellschaft im Wedding arbeitet, sagt zur Mieterauswahl für eine attraktive Wohnanlage mit überwiegend deutscher Mieterschaft, "da würde ich zum Beispiel 'ne Dame mit Kopftuch ungern reinsetzen". Bei der Wohnungsvergabe spielen also die Kategorien Migrant und Einheimischer eine Rolle, wobei die Interessen der deutschen Mieter der Maßstab sind. Wenn Migranten keine oder eine schlechtere Wohnung bekommen, um den Interessen der deutschen Mieter gerecht zu werden, so benachteiligt dies natürlich die Migranten - und verstärkt soziale Ungleichheit. Die Beobachtungen der Arbeit in den Büros zweier Wohnungsbaugesellschaften belegen, dass deutsche Kunden oft türkischen, arabischen oder afrikanischen vorgezogen wurden. Waren die Migranten zugleich Hartz-IV-Empfänger, hatten sie besonders schlechte Karten.

Eine Mitarbeiterin sagte beispielsweise, ihrer Meinung nach hätten Hartz-IV-Empfänger kein Recht auf Wohnungen in Innenstadtlage. Sie fügte hinzu, Hartz-IV-Empfänger lebten oft über Generationen hinweg von staatlicher Unterstützung und bemühten sich gar nicht um Arbeit. Der Wunsch von Migranten etwa, in einer Gegend mit geringem Migrantenanteil zu wohnen, wird nicht immer ernst genommen. Wenn aber an Migranten vorzugsweise in Siedlungen oder Quartieren vermietet wird, in denen bereits viele weitere Migranten leben, führt dies letztendlich zu ethnischer Segregation und verstärkt wiederum soziale Ungleichheit.

Viele Mitarbeiter von Wohnungsbaugesellschaften schätzen sich als Experten ein, wenn es darum geht, Mietinteressenten von vornherein bestimmten Kategorien wie beispielsweise "arbeitslos" zuzuordnen. Auf die Frage, wie schnell er seine Kunden einordnen könne, antwortet Jürgen Scholz, der seit etwa einem Jahr bei seinem Unternehmen arbeitet: "Ja, man muss auch zwei, drei Worte sprechen mit den Leuten, dann kriegt man's aber relativ schnell raus. Aber ich sag' mal, der erste Eindruck trifft auf 50 Prozent zu oder vielleicht 60, 70 Prozent zu, und den Rest machen dann die nächsten zwei Minuten." Die Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie spiegelt sich im Umgang der Mitarbeiter mit den Kunden wider. Dies wurde bei den Beobachtungen deutlich, bei denen vermeintlich arbeitslose Mietinteressenten in einigen Fällen gar keine oder in anderen Fällen eine weniger ausführliche Beratung bekamen als Erwerbstätige.

Die Aussagen und Beobachtungen deuten insgesamt darauf hin, dass bei der Wohnungsvergabe im sozialen Wohnungsbau in Berlin vor allem Kategorien zur Anwendung kommen, die Hartz-IV-Empfänger und Migranten benachteiligen. Dabei zeigt sich aber, dass dies nicht allein auf Vorurteile von Mitarbeitern der Wohnungsbaugesellschaften zurückzuführen ist; auch institutionelle Diskriminierung trägt wesentlich dazu bei. So führen etwa die Rahmenbedingungen durch die städtische Politik und das hohe Arbeitsaufkommen in den Wohnungsbaugesellschaften dazu, dass schnell kategorisiert wird - und bestimmte Gruppen dadurch benachteiligt werden. In letzter Konsequenz droht dies Hartz-IV-Empfänger und Migranten immer weiter in die Großbausiedlungen in den Randbezirken zu drängen, was letztendlich soziale Ungleichheit verstärkt.


Christine Barwick ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung im Projekt "Citizenship Rights for Immigrants". Sie promoviert in Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund.
barwick@wzb.eu


Literatur

Gray, Fred: "Selection and Allocation in Council Housing". In: Transactions of the British Geographers, New Series, Vol. 1, No. 1, 1976, S. 34-46.

Lipsky, Michael: Street-Level Bureaucracy. Dilemmas of the Individual in Public Services. New York: Russell Sage Foundation 1980.

Tilly, Charles: Durable Inequality. Berkeley and Los Angeles: University of California Press 1998.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 134, Dezember 2011, Seite 13-15
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2012