Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → UNO

FRAGEN/004: In Syrien nichts erreicht - Interview mit UN-Sonderberichterstatterin (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2012

Kinder: In Syrien nichts erreicht - Interview mit UN-Sonderberichterstatterin Coomaraswamy

von Carlota Cortes



New York, 29. Juni (IPS) - Radhika Coomaraswamy ist seit 2006 Sonderberichterstatterin für Kinder und bewaffnete Konflikte. Sie hat in den vergangenen sechs Jahren Uganda und die Zentralafrikanische Republik besucht, außerdem Sri Lanka, Nepal, den Irak und viele andere Länder, um sich vor Ort über die Situation von Kindern zu informieren.

IPS hat sie unter anderem zum bewaffneten Konflikt in Syrien befragt. Große Sorge bereitet ihr, dass nichts gegen das dortige Töten, Verstümmeln und Foltern von Kindern getan wird. "Die internationale Gemeinschaft muss jetzt mit einer Stimme sprechen."

IPS: Im vergangenen März haben Sie den Südsudan besucht. Die Sudanesische Volksbefreiungsarmee SPLA hat ein Abkommen mit den UN unterzeichnet, in dem sie zugesagt hat, die Kinder in ihren Reihen aus dem Dienst zu erlassen. Das ist genau einer der Kernpunkte Ihrer Arbeit: mit verschiedenen Konfliktparteien einen Dialog aufzubauen. Wie effektiv ist diese Strategie?

Radhika Coomaraswamy: Wir fahren sehr erfolgreich mit dieser Strategie. Wir haben in den vergangenen Jahren 17 Aktionspläne unterzeichnet, und 2011 wurden mehrere tausend Kindersoldaten in der Zentralafrikanischen Republik, im Tschad, in Kolumbien, der Demokratischen Republik Kongo, Myanmar, Südsudan und dem Sudan aus dem Dienst entlassen.

Diese Prozesse haben das Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. In der Regel läuft es so, dass der Sicherheitsrat den UN-Generalsekretär um eine Liste mit Konfliktparteien bittet, die Kindersoldaten in ihren Reihen haben. Die SPLA gehörte auch dazu. Um von der Liste gestrichen zu werden, muss die bewaffnete Gruppe einen Aktionsplan unterzeichnen, in dem sie sich verpflichtet, keine Kinder mehr für ihren Kampf einzusetzen.

Meistens werden die Kinder ja entführt und gezwungen, sich an den Kämpfen zu beteiligen, beispielsweise in Sierra Leone und Liberia. Die Situation im Südsudan ist eine ganz andere. Viele junge Menschen treten der SPLA aus Perspektivlosigkeit bei. Sie sehen einfach keine andere Möglichkeit zu überleben.

IPS: Im jüngsten UN-Bericht über die Situation von Kindern und bewaffnetem Konflikt werden die syrischen Sicherheitskräfte als neue Akteure aufgeführt, die Kinder töten und verstümmeln und Schulen und Krankenhäuser ins Visier nehmen. Wie kann man dagegen vorgehen?

Coomaraswamy: Das Wichtigste ist, dass die Kämpfe beigelegt werden. Außerdem muss der politische Prozess rasch wieder aufgenommen werden. Anschließend kann man über UN-Friedensmissionen und Ähnliches nachdenken.

IPS: Was ist in Syrien in der Hinsicht bisher erreicht worden?

Coomaraswamy: Nichts, absolut nichts. Das ist genau das Problem, das uns große Sorgen bereitet. Nichts wurde gegen das Ermorden von Kindern, das Verstümmeln und Foltern von Kindern getan. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt mit einer Stimme sprechen.

Das technische Team (das nach Syrien geschickt wurde) traf sich mit Flüchtlingen jenseits der syrischen Landesgrenze. Es konnte mit jungen Opfern sprechen und ihre Aussagen in Abwesenheit von Erwachsenen aufnehmen. Die Glaubwürdigkeit dieser Kinder wurde überprüft und in einigen Fällen Folterspuren festgestellt. Die Kinder wussten genau über die Vorgänge (in Syrien) Bescheid.

IPS: Im selben Bericht werden Nepal und Sri Lanka nicht mehr auf der roten Liste geführt. Was kann hier getan werden, um die Region zu befrieden?

Coomaraswamy: In Sri Lanka waren bisher zwei Parteien aufgeführt: Die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) und die Befreiungstiger des Tamilischen Volkes (TMVP). Die Kindersoldaten, die den LTTE angehörten, wurden am Ende des Krieges alle umgebracht. Namenslisten gab es keine.

Die TMVP haben einen UN-Aktionsplan unterzeichnet. Dieses Jahr haben sich Beobachter die Situation vor Ort angesehen und bestätigt, dass die Kinder alle aus dem Dienst entlassen wurden. Deshalb sind beide Parteien nicht mehr auf der roten Liste. Die humanitären Maßnahmen müssen aber natürlich weitergeführt werden. (Ende/IPS/jt/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2012/06/qa-children-killed-with-impunity-in-syria

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012