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KONFERENZ/176: Gipfel in London - Leitfaden zur Unterstützung der Überlebenden von Vergewaltigungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Juni 2014

UN: Leitfaden zur Unterstützung der Überlebenden von Vergewaltigungen

von Thalif Deen


Bild: © Einberger/argum/EED/IPS

Das 61-jährige Vergewaltigungsopfer Angeline Mwarusena lebt in einem kongolesischen Dorf, das nach wie vor von Milizionären bedroht wird
Bild: © Einberger/argum/EED/IPS

New York, 16. Juni (IPS) - Immer wenn es bei den weltweiten UN-Friedensmissionen zu sexueller Gewalt gegen Frauen, Männer oder Kinder kommt, beeilt sich die Weltorganisation, die Schuldigen zu finden und in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Doch fehlt ihr jede Autorität, die Täter strafrechtlich zu verfolgen und die Opfer für das erlittene Leid zu entschädigen.

Auf dem jüngsten Gipfeltreffen diesen Monat in London hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einen Leitfaden vorgestellt, der den Betroffenen zu Ausgleichszahlungen und Rehabilitationsmaßnahmen verhelfen soll. Die Höhe der Entschädigungen müsse von der Schwere der Verbrechen und deren Folgen abhängig gemacht werden, heißt es in dem 20-seitigen Dokument.

Laut Sanam Naraghi Anderlini, Mitbegründerin des internationalen zivilgesellschaftlichen Aktionsnetzwerks ICAN, stellt sich dabei die Frage, wie die Vereinten Nationen verfahren wollen, damit sämtliche ihrer Mitarbeiter für das Problem der sexuellen Gewalt sensibilisiert und geschult werden könnten. "Und welche Mittel stehen zur Verfügung, um den Leitfaden effektiv umzusetzen?", fragte sie.

Wie Anderlini weiter erklärte, drängten sich im Zusammenhang mit dem Leitfaden zahlreiche Fragen auf. "Beruht seine Umsetzung auf Freiwilligkeit oder ist er eine Garantie dafür, dass die Schuldigen bestraft werden? Und wie soll seine Einhaltung kontrolliert werden?", fragte die Expertin am Zentrum für internationale Studien am Massachusetts-Institut für Technologie (MIT).


Entschädigungen für die Opfer erreichen nicht immer ihr Ziel

In dem neuen Report verweisen die UN zudem auf einige Schwächen der bestehenden Regelungen. In Südafrika beispielsweise werden Opfer sexueller Gewalt einmalig mit rund 4.000 US-Dollar abgefunden. Doch berücksichtigen die staatlichen Entschädigungsmaßnahmen weder die ungleichen Machtverhältnisse innerhalb der Familien noch die Tatsache, dass die weiblichen Opfer sexueller Gewalt sehr häufig kein Bankkonto besitzen.

"Lokale Opfergruppen haben berichtet, dass das Geld sehr oft auf das Konto eines männlichen Familienmitglieds überwiesen wird, wodurch die betroffenen Frauen - wenn überhaupt - nur einen begrenzten Zugang zu den Geldern haben", berichtete Anderlini. In einigen Fällen habe die Uneinigkeit über die Verwendung der Entschädigungen innerfamiliäre Gewalt nach sich gezogen.

Shelby Quast von der New Yorker Organisation 'Equality Now' ist der Meinung, dass Entschädigungen allein nicht ausreichen. Vielmehr sei ein auf internationalen Menschenrechten beruhender Rechtsrahmen erforderlich, um sicherzustellen, dass die Rechte von Frauen und Mädchen in Post-Konflikt- und Übergangszenarien gewahrt würden.

Gerade im Umgang mit besonders jungen Vergewaltigungsopfern spiele die Vielfalt der Wiedergutmachungsmaßnahmen eine entscheidende Rolle. Es sei notwendig, auf die besonderen psychologischen, finanziellen und anderen Bedürfnisse dieser jungen, in ihrer Entwicklung befindlichen Frauen zu berücksichtigen, erklärte sie.

Wie Zainab Hawa Bangura, UN-Sonderrepräsentantin für sexuelle Gewalt in Konflikten, auf dem Gipfeltreffen erklärte, "werden Entschädigungszahlungen ungeachtet der Tatsache, dass sie für die Überlebenden sexueller Gewalt so wichtig sind, in aller Regel in den Friedensverhandlungen nicht berücksichtigt oder aber anderen Finanzierungsprioritäten geopfert".


Sexuelle Gewalt trifft auch viele Männer

Die Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten, Valerie Amos, erinnerte an die Ergebnisse einer Untersuchung des Internationalen Strafgerichts für das ehemalige Jugoslawien, der zufolge in einem Konzentrationslager nahe Sarajewo 4.000 der 5.000 männlichen Häftlinge nach eigenen Angaben vergewaltigt worden waren.

Sie verwies ferner auf eine Umfrage im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRC), der zufolge jeder sechste männliche Befragte berichtet hatte, im Zusammenhang mit dem Konflikt sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Und eine Studie in Liberia fand heraus, dass von den ehemaligen Kombattanten 42 Prozent der Frauen und 33 Prozent der Männer Zielscheibe von sexueller Gewalt gewesen waren.

"Es gibt riesige Forschungslücken, und wir alle wissen nur zu gut, dass sexuelle Verbrechen in Konflikten unterberichtet und diejenigen Fälle, in denen Männer und Jungen betroffen sind, nur schwerlich zu erfassen sind", meinte Amos.

Wie Untergeneralsekretärin Phumzile Mlambo-Ngcuka, Chefin der UN-Frauenorganisation 'UN Women', betonte, ist es ein Gebot der Stunde, stärker als bisher gegen diese Verbrechen durchzugreifen.

Anderlini, die intensiv zu dem Thema der sexuellen Gewalt geforscht hat, unterstrich gegenüber IPS die Notwendigkeit, die Opfer zu berechtigen und zu befähigen, sich aus der Opferrolle zu befreien und ins Leben zurückzukehren. Voraussetzung sei eine psychische und psychosoziale Unterstützung sowie der Zugang zu Rechtsmitteln und Bildungs- und Berufsangeboten. Die Menschen seien zudem auf ein soziokulturelles Umfeld angewiesen, in dem sie akzeptiert seien und respektiert würden.

"Die Menschen sollten das Recht haben zu schweigen, wenn ihnen danach ist. Sie haben aber auch ein Anrecht auf soziale Gerechtigkeit, was bedeutet, dass es neben der finanziellen Entschädigung auch Programme geben muss, die auf die Gesundheits-, Bildungs- und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Opfer sexueller Gewalt eingehen."

Klinik- und Gesundheitspersonal müsse auf die Behandlung von Opfern sexueller Gewalt vorbereitet werden, sagte Anderlini, Autorin des Buches 'Women Building Peace: What They Do, Why it Matters' ('Friedensarbeit von Frauen: Was sie tun und warum es so wichtig ist'). Es gelte die psychosoziale Dimension ebenso zu berücksichtigen wie die Notwendigkeit, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, an Gruppentherapien teilzunehmen. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/06/u-n-releases-guidelines-on-reparations-for-victims-of-sexual-violence/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2014