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MELDUNG/090: Angriff auf UNCTAD-Mandat - Ex-Führungskräfte kommen UN-Organisation zu Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. April 2012

Handel: Angriff auf UNCTAD-Mandat - Ex-Führungskräfte kommen UN-Organisation zu Hilfe

von Gustavo Capdevila



Genf, 12. April (IPS) - Rund 50 ehemalige Führungskräfte der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) haben in einer gemeinsamen Erklärung den führenden Industriestaaten vorgeworfen, die UN-Organisation in die Bedeutungslosigkeit abdrängen zu wollen.

Die reichen Länder seien offenbar nicht bereit, ein Gremium zu dulden, das sich durch unabhängige Analysen zum Wohl der Entwicklungsländer verdient gemacht habe, sagte der frühere UNCTAD-Generalsekretär Ruben Ricupero im IPS-Gespräch.

Die Offensive zielt nach Angaben ihrer Kritiker darauf ab, das Mandat der UNCTAD zu beschneiden, die seit ihrer Gründung 1964 für die Belange der armen Länder einsetzt. Ihre Empfehlungen in den Bereichen Finanzen, Umwelt, Ernährungssicherheit, geistiges Eigentum und Entwicklung seien mit dem Marktliberalisierungskurs der reichen Nationen nicht vereinbar, so einige Unterzeichner am 11. April vor Journalisten in Genf.

Der ehemalige UNCTAD-Mitarbeiter Yilmaz Akyuz lastet den Versuch, die UNCTAD mundtot zu machen, den "einflussreichsten Ländern" der auch als 'Club der Reichen' bekannten Organisation für Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung (OECD) an.

Er komme ausgerechnet zu einer Zeit, in der eine größere Mitwirkung bei der Lösung von Wirtschaftsproblemen im Allgemeinen und der Regulierung des internationalen Finanzensektors im Besonderen dringend geboten wäre, so der Wirtschaftsberater des zwischenstaatlichen 'South Centre' mit Sitz in Genf.


Unabhängige Analysen

In der Erklärung erinnerten die Unterzeichner daran, dass die Analysen der UNCTAD zu Fragen der Weltwirtschaft stets die Entwicklungsperspektive berücksichtigt und alternative Sichtweisen zu den Positionen der "vom Westen kontrollierten Finanzorganisationen" Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) aufgezeigt hätten.

So hatte die UNCTAD vor dem wachsenden Einfluss des Finanzsektors über die Realwirtschaft gewarnt und die Mexikokrise von 1994 bis 1995, die Asienkrise von 1997 und den wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruch Argentiniens 2001 vorhergesagt, heißt es in dem Dokument.

Vor der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise habe keine Organisation gewarnt geschweige denn eine Zauberformel zu deren Lösung zu bieten. Ebenso unbestritten sei jedoch, dass die derzeitige Krise in denjenigen Ländern entstanden und gewachsen sei, die nun jede Debatte über globale Wirtschaftsmaßnahmen, mit denen sie selbst gescheitert seien, zu ersticken suchten, hieß es in der Erklärung.

Nach Ansicht von John Burley, der 17 Jahre lang für die UNCTAD tätig war, geht es bei der Offensive der Industriestaaten um tiefgründige Fragen wie Meinungsvielfalt und Redefreiheit innerhalb des internationalen Systems. Der Angriff im Vorfeld der UNCTAD-Konferenz vom 21. bis 26. April im katarischen Doha sei nicht der erste.

Eine Erfahrung, die auch Ricupero als Generalsekretär der UN-Institution machen sollte. "Als ich 1995 zur UNCTAD kam, war eine Verschwörung der 'ewigen Verdächtigen', der reichen Länder, im Gang. Dabei ging es nicht wie jetzt um eine Mandatsänderung, sondern um die Auflösung einer Organisation, die sie von Anfang an nicht akzeptierten", sagte er im IPS-Gespräch. Als Argument habe es geheißen, die UNCTAD sei nach der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) wenige Monate zuvor überflüssig geworden. Diesem Angriff auf die UNCTAD sei man jedoch rigoros und mit Unterstützung vieler Entwicklungsländer erfolgreich entgegengetreten.

Der brasilianische Diplomat erwähnte in diesem Zusammenhang besonders den Beistand Südafrikas unter dem damaligen Präsidenten Nelson Mandela. Die neunte UNCTAD-Sitzung 1996 im südafrikanischen Midrand habe die Verschwörer zumindest vorübergehend zum Schweigen gebracht.


Häufige Attacken

In den darauf folgenden Jahren habe man immer wieder versucht, das Mandat der UN-Institution einzuschränken. "Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass in den letzten Jahrzehnten der UNCTAD die Möglichkeit genommen wurde, in Bereichen zu arbeiten, denen sie ihre Existenz verdankt", meinte Ricupero. Dazu zähle auch der Rohstoffsektor.

"Die reichen Ländern stören sich an der Existenz einer Organisation, die sich ihrer Kontrolle entzieht, die unabhängig in ihren Einschätzungen ist und die Afrikanern Empfehlungen unterbreitet, wie sich vor dem Neokolonialismus Frankreichs und der Europäer schützen können", betonte Ricupero.

Je mehr sich die Prognosen der UNCTAD, etwa im Hinblick auf die Globalisierung der Finanzen, bewahrheitet hätten, umso stärker hätten "die Komplizen derjenigen, die für die Anarchie im Finanzsektor verantwortlich sind", versucht, die Organisation zum Schweigen zu bringen, meinte der brasilianische Diplomat. "Gegen diese latent vorhandene Gefahr hilft nur die Einheit und der rigorose Widerstand der Entwicklungsländer."

Immer wenn es den reichen Ländern gelungen sei, den Einfluss der UNCTAD zu begrenzen, seien mangelndes Interesse, Ineffizienz und Abwesenheit derjenigen die Gründe gewesen, die die Organisation eigentlich im eigenen Interesse verteidigen müssten, so Ricpuero. (Ende/IPS/kb/2012)

Links:
http://www.southcentre.org/
http://www.unctad.org/en/Pages/Home.aspx
http://unctadxiii.org/en/Pages/home.aspx
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100538

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2012