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UN-REPORT/070: Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik gefordert (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 49 - Winter 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Migration lohnt sich?
UN-Bericht fordert von den reichen Ländern Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik

Von Martin Link


Anfang Oktober veröffentlichte das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) seinen diesjährigen "Bericht zur menschlichen Entwicklung". Zusammenfassen lassen sich die Ergebnisse des Berichts auf die Kernaussage "Migration lohnt sich" bringen.


Diese Bilanz bezieht sich allerdings insbesondere auf die Ökonomien der reichen Länder. Ohne den Motor Migration seien die aktuellen und künftigen Krisen der Weltwirtschaft kaum zu lösen.


UN verspricht Nutzen für alle

Den Preis für diese Strategie wirtschaftlicher Konsolidierung zahlen indes die Armen der Welt. Die Verbesserung ihrer Situation liegt allein in der Auswanderung in den reichen Norden. Versüßt wird den Bewohnern der globalen Armenhäuser der Gedanke an die Fremde mit Statistiken, die ein 15 mal höheres Einkommen oder eine 16-fach geringere Kindersterblichkeit versprechen. Der UN-Bericht (www.dgvn. de) verspricht Nutzen für alle, denn die Rücküberweisungen der Exilierten in ihre Heimatländer kletterten im Jahr 2007 auf weltweit 370 Mrd. US$. Eingedenk der 10 % und mehr an Gebühren, die Betroffene in der Regel für solche Bargeldtransfers hinblättern müssen, machen das größte Geschäft auch hier insbesondere Banken und international agierende Finanzdienstleister.

Dass es tatsächlich zu Kapitalflüssen dieser Höhe kommt, irritiert bei einem ersten Blick auf den bekannten Aufwand, den Europa und Nordamerika bei der administrativen und militärischen Abschottung ihrer Außengrenzen gegen die Habenichtse dieser globalisierten Welt betreiben.


Nicht die armen Länder profitieren von Rücküberweisungen

Bei genauerem Hinsehen erklärt sich der nur scheinbare Widerspruch: nur ein geringer Teil der Geldflüsse geht von reichen in arme Länder. Denn nur 70 Mio. der weltweit 217 Mio. sich in Industrieländern abrackernden Migrantinnen und Migranten stammen aus sog. Entwicklungsländern. Viele Entsenderstaaten sind gleichzeitig aufstrebende Schwellenländer: am meisten profitierten 2007 Indien (35,3 Mrd.), China (32,8 Mrd.), Mexiko (27,1 Mrd.), die Philippinen (16,3 Mrd.) und Nigeria (9,2 Mrd.) von den Rücküberweisungen. Aber auch Staaten aus dem Herzen der industrialisierten Welt sind als Profiteure ganz vorn mit dabei: Spanien (10,7 Mrd.), Polen (10,5 Mrd.) und Deutschland (8,6 Mrd. US$). Nach Europa fließen sogar viermal so viel Rücküberweisungen Exilierter wie nach Afrika. In der politischen Debatte gern bemühte Ängste, dass alle Welt nach Europa bzw. Deutschland wolle, sind nach wie vor unbegründet. Nach Zahlen, die Prof. Knerr, Universität Kassel, am 22. September bei einem Workshop der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover präsentierte, gehören zu den Top 10 der Zielländer der Arbeitsmigration immerhin Staaten wie Russland (mit 12.1 % der weltweiten MigrantInnen), die Ukraine (6,8 %), Saudi Arabien (6,4 %) oder Indien (5,7 %). Allein 86 % hingegen der in den Top 10 ihrer Zielländer gezählten 8,4 Mio. Flüchtlinge wurden von Jordanien, Palästina, Iran, Pakistan, Tansania, Syrien, Libanon und dem Tschad aufgenommen.


Status egal - MigrantInnen zahlen sich aus

Im Jahr 2008 sind mehr Menschen aus Deutschland aus-, denn eingewandert. Gerade mal 0,22 % der o.g. auf der Flucht befindlichen Menschen haben 2008 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Die Asylanerkennungsquote von gerade 5-8 % bei gleichzeitiger langjähriger und hunderttausendfacher Kettenduldungsexistenz entlarvt beispielhaft eine Einwanderungspolitik, die Migrantinnen und Migranten allenfalls als arbeitsmarktliche Reservekategorie zur Kenntnis nimmt. In diesem marktwirtschaftlich intendierten migrationspolitischen Kalkül sind Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus und auch solche ganz ohne Papiere eine feste kalkulatorische Größe. Statusverbesserungen und damit einhergehende größere Rechtssicherheit könnten die nationalökonomische Bilanz verhageln. So gesehen haben auch das nationale Desinteresse an einer effektiven Altfallregelung oder die ständige Weigerung sämtlicher Industrieländer, die UN-Wanderarbeiterkonvention zu unterzeichnen, ihre zynische Logik.

Glaubt mensch dem ständigen Lamento von Kirchen und Gewerkschaften, werden Migrantinnen und Migranten - ungeachtet ihres Aufenthaltstitels - ohnehin regelmäßig weit unter dem Wert ihrer KollegInnen mit deutscher Staatsangehörigkeit bezahlt. Dennoch sind die wirtschaftlichen Umsätze immens. Die Höhe allein der Rücküberweisungen aus Deutschland betrug 12,3 Mrd. US$ im Jahr 2006. Für UNDP sind sie Indiz für den wohl erheblichen Mehrwert, den Exilierte nicht nur in Deutschland erwirtschaften. Das zeigt allein der Blick auf die USA (42,2 Mrd. US$), Saudi Arabien (15,6), die Schweiz (13,8), Russland (11,4), Spanien (11), Italien (8,2), Luxemburg (7,5), Niederlande (6,7) und Malaysia (5,6).


Wechselwirkungen der Rücküberweisungsökonomien

Für nicht wenige Staaten gehören die jährlichen Rücküberweisungen inzwischen zum wesentlichen Teil ihrer nationalen ökonomischen Potenz: z.B. Tadschikistan (36,2 % des Bruttoinlandspoduktes (BIP)), Moldawien (36,2 %), Honduras (25,8 %), Libanon (22,8 %) oder Jordanien (20,3 %). Die wirtschaftlichen und investitionsfördernden Vorteile für die heimischen Binnenökonomien sind weitgehend unstrittig. Die Rücküberweisungen führen u.a. zur Erhöhung und Verstetigung des Einkommens der betroffenen Familien. diskutiert. So führen Rücküberweisungen zu landesweiten Preissteigerungen, und dadurch zu Problemen für NichtempfängerInnen und infolgedessen zu einer weiteren Erhöhung von Auswanderungsdruck und Brain Drain.

Die globalen Migrationsdynamiken sind indes unumkehrbar. Die Politikmischung von Abwerbung qualifizierter Kräfte bei gleichzeitiger restriktive Abschottungspolitik, mit der die reichen Länder sich gegen das Einwanderungsinteresse insbesondere der Armen zur Wehr zu setzen suchen, ist allzubald zum Scheitern verurteilt. Bis 2050 wird laut UNDP allein in den Entwicklungsländern die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter um 1,1 Mrd. zunehmen. Afrika erwartet eine Zuwachsrate von 123 %, Lateinamerika von 26 % und Asien von 22 %. Europa hält mit minus (!) 23 % dagegen. Ein Paradigmenwechsel in der europäischen Einwanderungspolitik ist also mehr als angezeigt!


Martin Link ist Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein e.V. in Kiel.


BAMF-Publikation "Blickpunkt Integration" empfiehlt Leitfaden zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse

Der "Blickpunkt Integration" des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Aktueller Informationsdienst zur Integrationsarbeit in Deutschland, beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe mit dem Thema Integration und Anerkennung ausländischer Qualifikationen aus verschiedenen Perspektiven.

So geht es z.B. um die Frage, warum es in Deutschland für MigrantInnen so schwer ist, in ihrem erlernten Beruf Fuß zu fassen oder darum, wie die Anerkennung ausländischer Qualifikationen und die berufliche Integration verbessert werden kann. In dem Heft wird auch der "Leitfaden zur Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse in Schleswig-Holstein" des Projekts access im Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein vorgestellt. Die dritte Auflage des Leitfadens wird in den Sprachen Deutsch, Englisch, Russisch und Türkisch voraussichtlich zum Jahresende gedruckt.

Bestellungen oder Download des Leitfadens unter
www.access-frsh.de


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 49 - Winter 2009, Seite
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2010