Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

AGRAR/1560: Druck auf Bauernland - Deutsche Politik heizt Landraub an (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 357 - Juli/August 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Druck auf Bauernland

Deutsche Politik heizt Landraub an.
Internationale Leitlinien beschlossen

von Berit Thomsen



Eine Gemeinde in Gran Chaco, Nordargentinien, trägt den Namen Ballivián. Dort leben 3.000 Wichí-Indianer. Das hat bereits ewig Tradition. Sie ernähren sich von den Früchten, Samen und Wurzeln der Wälder, sammeln Honig, jagen und fischen. Auf kleinen Feldern kultivieren sie Mais und andere Feldfrüchte. So war es jedenfalls früher üblich. Irgendwann fräste sich die Nationalstraße Vierunddreißig durchs Land. Rechts und links von dieser Megastraße breitete sich eine stetig wachsende Intensivlandwirtschaft wie ein Teppich einfach über die Wälder und Flächen der indigenen Völker aus. Sie verlieren den Grund und Boden, den sie seit jeher bewirtschaftet haben, und damit ihre Nahrungsgrundlage und kulturelle Identität. Deshalb leben auch die Wichí-Indianer der Gemeinde Ballivián heute in großer finanzieller und sozialer Armut.


Landgrabbing in Entwicklungsländern

Dieses Fallbeispiel ermittelte die argentinische Organisation ACOCIANA im vergangenen Jahr im Auftrag von "Brot für die Welt". In der Studie "Landraub im Gran Chaco" wird darauf hingewiesen, dass in jüngster Zeit der Landraub in Lateinamerika eine dramatische Zuspitzung erlebt. Ein wesentlicher Treiber sind die steigenden Exporte von Sojaschrot, wovon Argentinien weltweit am meisten ausführt. Knapp die Hälfte vom Schrot wird in die EU verkauft und landet hier fast vollständig in den Futtertrögen. Das sind bekannte Folgen der exportorientierten Ausrichtung der Agrarpolitik, die Deutschland in der EU-Politik massiv vorantreibt. Und die Mehrproduktion landwirtschaftlicher Exportgüter ist mit den europäischen Ressourcen nicht zu leisten, weshalb zunehmend Rohstoffe wie Sojaschrot importiert werden müssen. In der Studie mit dem übersetzten Titel "Transnationale Landkäufe in der Landwirtschaft im Globalen Süden" vom April diesen Jahres untersucht ein internationales Netzwerk, darunter die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), transnationale Landkäufe weltweit. Demnach haben internationale Investoren allein in den letzten zehn Jahren, zumindest veröffentlicht, rund 83 Mio. Hektar Agrarfläche gekauft, davon allein 56,2 Mio. ha in Afrika. Das entspricht 4,8 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche Afrikas. Mit 17,7 Mio. Hektar ist Asien und mit 7 Mio. Lateinamerika betroffen. Der Rest dieser Art von Landkäufen fand in Osteuropa statt. Rund 45 Prozent dieser Landkäufe beziehen sich auf Ländereien, die in kleineren Strukturen bewirtschaftet wurden, weshalb, so die Studie, eine intensive Konkurrenz für die lokale Bevölkerung wahrscheinlich sei.


Probleme auch in Deutschland

Irgendwo in Norddeutschland: Eine Bäuerin, die nicht erkannt werden möchte, schaut aus ihrem Küchenfenster auf eine Weide, die sie pachten wollte. Dieses Stück Land hätte wunderbar in den Ablauf ihres Milchviehbetriebes gepasst, erzählt sie am Telefon. Aber der Verpächter, ein Nachbar, der jüngst seinen Betrieb aufgegeben hat, verpachtete seine rund 80 Hektar Land komplett an Betreiber einer 2,2 Megawatt-Biogasanlage. Und er wollte es nicht in kleineren Einheiten rausgeben. Rund 1.000 Euro soll der Pachtpreis hoch sein, erzählt man sich im Dorf. Das hätte die Bäuerin sogar bezahlt, aber eben nur für einen Teil der Fläche. Sie sagt: "Mehr hätten wir uns nicht leisten können zum jetzigen Zeitpunkt."

"Der Run auf Land ist hier sehr groß", sagt Johanna Böse-Hartje, Milchbäuerin vor den Toren von Bremen und im AbL-Bundesvorstand. Sie berichtet von einem Nachbarbetrieb, der nicht aufhört, immer neue Schläge Land zu kaufen, aber mit Geld, das er nicht in der Landwirtschaft erwirtschaftet. "Das ist eine ganz bedrohliche Situation", so Böse-Hartje, "dass wir von mehreren Seiten eingekesselt werden und nicht die Gewinne erwirtschaften, um mithalten zu können." Sie hat von Pachtpreisen um die 1.200 Euro den Hektar gehört. Vor noch gar nicht vielen Jahren war es in der Gegend üblich, Grünland für etwa 160 Euro pro Hektar und Ackerland für 280 Euro zu pachten, mit Abweichungen nach oben und unten.


Gesetze steuern noch wenig gegen

In dem Gutachten "Landwirtschaftlicher Bodenmarkt, Perspektiven und Grenzen der Weiterentwicklung des bodenpolitischen Ordnungsrahmens beim Grundstücksverkehrsgesetz" des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften (BLG) ist u.a. von "explodierenden Pachtpreisen" die Rede. In diesem Zusammenhang monieren die Gutachter beispielsweise, dass etwa nur ein Bruchteil der Landpachtverträge angezeigt werden, obwohl das nach dem Landpachtverkehrsgesetz gemacht werden müsste. Die Gutachter stellen fest, dass "Nichtanzeige nicht sanktioniert wird". Pachtpreisentwicklungen bleiben somit Teil der dörflichen Gerüchteküche. Im Grundstücksverkehrsgesetz können, so steht es im Gutachten, anstehende Käufe abgewendet werden, wenn beispielsweise "die Veräußerung eine ungesunde Verteilung des Grund und Bodens bedeuten" oder der "Gegenwert in einem groben Missverhältnis zum Wert des Grundstücks steht". Dennoch, so eine weitere Studie diesmal vom Johann Heinrich von Thünen-Instiut (vTi) zu "Aktivitäten von nichtlandwirtschaftlichen und überregional ausgerichteten Investoren auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt in Deutschland", wird das Grundstücksgesetz "von vielen befragten Experten als 'stumpfes Schwert' bezeichnet."

Auf der jüngsten Agrarministerkonferenz (AMK) in Konstanz haben die Minister von Bund und Ländern über mögliche Instrumente diskutiert und das Landthema gleich auf die nächste AMK im Herbst gesetzt. Dafür ist auch beim von Thünen-Institut ein weiteres Gutachten mit Handlungsvorschlägen in Auftrag gegeben worden. Abzuwarten bleibt, wie wirksam die Instrumente für bäuerliche Betriebe und Strukturen sein werden. Festzuhalten ist, dass die ostdeutsche Problematik in dieser Debatte beinahe kritiklos durchgerutscht ist. Jörg Gerke, Bauer in Mecklenburg-Vorpommern und AbL-Bodenexperte, sagt: "Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) hat im Auftrag der Bundesregierung und der ostdeutschen Bundesländer nach der Wende um die 40 Prozent der ostdeutschen Flächen verwaltet und privatisiert. Dabei sind Großbetriebe maßgeblich bevorteilt worden, kleine und Nebenerwerbsbetriebe hingegen kaum an Flächen gekommen. Der Strukturwandel wurde politisch angeheizt."


Leitlinien gegen Landraub

Vor Ort und im Ausland ist die deutsche Politik mitverantwortlich für den Druck aufs Land. Einerseits. Andererseits hat eben diese Politik, in Person von Landwirtschaftsministern Ilse Aigner, maßgeblich daran mitgearbeitet, dass die "Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern" im Mai vom Ausschuss für Welternährungssicherung der Vereinten Nationen (CFS) beschlossen wurden. Ein Erfolg auf internationaler Bühne, denn obwohl die Leitlinien als "freiwillig" bezeichnet werden, sind sie über den expliziten Bezug zu menschenrechtlichen Pflichten von Staaten im Rahmen des Völkerrechts auch völkerrechtlich bindend. Die Leitlinien bieten viele Anhaltspunkte, wie Transparenz bei Landtransfer, Beteiligung aller landwirtschaftlichen Akteure und der Zivilgesellschaft bei Boden- und Landnutzungsrechten, Sicherung der Ernährung, Verbesserung der lokalen Beschäftigung usw.

Die jüngste Fachtagung in Berlin: "Mit Leitlinien gegen Landraub", organisiert von diversen bäuerlichen und entwicklungspolitischen Organisationen, war ein erster Anstoß zu einer Debatte in Deutschland um die Möglichkeiten der Leitlinien in der weltweiten Bodenproblematik. Deutlich wurde, dass die Leitlinien nicht nur für Entwicklungsländer angewendet werden sollten. "Wir müssen aufzeigen, dass die Bundesregierung, allen voran Aigner, in ihrer Politik diesen Leitlinien widersprechen und ebenfalls vor ihrer Haustür kehren muss", stellt Jörg Gerke auf der Veranstaltung klar. Bauern und zivilgesellschaftliche Gruppen sind jetzt gefragt, bundesweit und bis in die Regionen in Deutschland die Leitlinien auf ihre Belange hin zu untersuchen und öffentlich zu machen. Daraus kann sich ein gesellschaftlicher Diskurs und damit der politische Druck für notwendige Änderungen entfalten. Jedenfalls als ein Baustein in dieser heißen Debatte.


Berit Thomsen, AbL-Expertin für internationale Agrarpolitik

Mehr Infos: abl-ev.de/themen/agrarpolitik/bodenpolitik

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 357 - Juli/August 2012, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2012