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DISKURS/120: "Grüne Ökonomie" als Beruhigungsmittel? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2015

"Grüne Ökonomie" als Beruhigungsmittel?

von Birgit Mahnkopf


Sollten wir frohen Mutes darüber sein, dass in den USA nicht nur Universitäten, Pensionsfonds und Kirchen ihre Gelder aus Industriesektoren abziehen, die fossile Energieträger fördern und verbrauchen, sondern selbst Banken und die Erben des Rockefeller-Vermögens? Spricht dies dafür, dass einflussreiche "Stewards of long-term Capital" damit begonnen haben, eine "grüne Wende" einzuleiten? Kann der stotternde Wachstumsmotor in den westlichen Industrieländern durch massive Investitionen in ressourcenschonende und effizienzsteigernde neue Technologien mithilfe von informationsbasierten Dienstleistungen und "smarten" Infrastrukturen wieder in Gang gebracht werden - finanziert von gewaltigen "Public-Private-Partnership"-Projekten zwischen dem globalen Finanzkapital und den in Folge der Schuldenkrise arg gebeutelten öffentlichen Geldgebern? Die "grüne Ökonomie", so lautet das Versprechen von IWF, Weltbank und OECD, von UN-Organisationen wie der UNCTAD und dem UNEP, von Seiten der Europäischen Kommission und nicht zu vergessen von unzähligen Think Tanks und Lobby-Organisationen transnationaler Konzerne, wird zukünftig kräftige Gewinne machen. Neben Kapitalanlegern und dem Staat werden auch Arbeitnehmer/innen, Konsument/innen und die zukünftigen Generationen zu den Gewinnern gehören. Auch die deutsche Bundesregierung erwartet von einer kohlenstoffarmen Energieversorgung und einer Verbesserung der städtischen Infrastrukturen und Recyclingtechniken sowie von "Bioraffinerien" zur Nutzung von CO2 als Kohlenstoffquelle, dass "die Umwelt", "das Klima" oder gar "der Planet" gerettet werde.

Dabei steht bereits heute fest, dass der gefürchtete Klimawandel nicht mehr zu vermeiden ist, auch wenn dessen kumulative Wirkungen erst für die Mitte des Jahrtausends erwartet werden. Die steigende CO2-Konzentration und die nachfolgende Erderwärmung markieren eine "planetarische Grenze", deren Überschreitung zum Kollaps komplexer Ökosysteme führen dürfte. Aber auch der Stickstoffzyklus und die Reduzierung der Artenvielfalt befinden sich im roten Bereich. Bei der Übersäuerung der Meere und beim globalen Frischwasserverbrauch sowie beim Wandel der Landnutzung sind die planetarischen Grenzen sehr nahe; für das Aufladen der Atmosphäre mit Aerosolen und die noch zuträglichen Mengen chemischer Gifte konnten die Daten für das Erreichen "planetarischer Grenzen" bislang noch nicht korrekt bestimmt werden.

In dem "neuen Bericht an den Club of Rome" unternimmt Jørgen Randers, einer der Verfasser der legendären vor 40 Jahren erschienenen Studie zu den "Grenzen des Wachstums", den Versuch eine globale Prognose für die kommenden 40 Jahre zu erstellen. Diese fällt in jeder Hinsicht düster aus: weil in der ersten Hälfte des Jahrhunderts keine konsequenten Reaktionen auf den "Krieg gegen den Planeten" (Ugo Bardi) erfolgen, werde die Welt nach 2050 auf dem gefährlichen Pfad der sich selbstverstärkenden globalen Erwärmung gelandet sein. Randers prognostiziert, nur "ein Wunder" könne dafür sorgen, dass sich die menschliche Zivilisation gegen Ende des Jahrhunderts "in einer erstrebenswerten und stabilen Situation" wiederfindet.

Ein solches "Wunder" würde den sofortigen und radikalen Ausstieg aus der kohlenstoffbasierten energetischen Grundlage des modernen Industriekapitalismus voraussetzen. Das aber hieße nichts anderes, als dass bis 2050 weltweit insgesamt nur noch 870 bis 1.240 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen werden dürften; würden hingegen die heute geschätzten Reserven verbrannt, entspräche dies der dreifachen CO2-Menge. Rund 80 % der gegenwärtig bekannten und bereits eingepreisten Reserven an fossilen Rohstoffen müssten daher im Boden bleiben: In den USA beträfe dies 92 %, in der EU rund 78 % aller Kohlereserven, in China und Indien rund zwei Drittel; große Teile der Ölreserven im Nahen und Mittleren Osten sowie ca. 60 % der Gasreserven; unkonventionelles Öl, dessen umstrittene Förderung in Nordamerika gegenwärtig wie ein Konjunkturmotor für die Weltwirtschaft wirkt und eine Förderung in der Arktis wären vollkommen tabu. Dem stehen freilich die eigennützigen Interessen von Kohle-, Öl-, Schiefergas-, Petrochemie- und Automobilindustrie sowie der von diesen Industriezweigen abhängigen Energieversorger im Weg. Deren Interessenvertreter werden verhindern, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten zu der gebotenen schnellen und umfassenden Transformation in den Bereichen Energie, Landwirtschaft, Verkehr und Produktion kommt - und ihre Argumente werden Gehör finden. Denn eine globale Energierevolution würde ja bedeuten, dass die sehr profitablen fossilen Energieträger durch erneuerbare und keineswegs kostengünstige Energie ersetzt und der Energiebedarf insgesamt gesenkt werden müsste.

Obwohl die "grüne Wirtschaft" in der EU von 2000-2011 nach Berechnungen der EUA um mehr als 50 % gewachsen ist, ist das einstige "Role Model" für eine "nachhaltige Entwicklung" weit davon entfernt, seine Wirtschaft und Gesellschaft kohlenstoffarm zu machen, eine umweltfreundliche Kreislaufwirtschaft hervorzubringen und seine Ökosysteme widerstandsfähig zu halten. Nach wie vor werden drei Viertel der in der EU verbrauchten Energie mit fossilen Brennstoffen erzeugt und für die nächsten 20 Jahre - und dies sind die für die Vermeidung des "worst case" letztlich entscheidenden - erwartet die EUA beim Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre, beim Umfang des Energieverbrauchs und bei der Nutzung fossiler Brennstoffe sowie im Transportsektor nur negative Entwicklungen.

Mit einem Mix aus halbherziger Förderung erneuerbarer Energien, beschleunigtem technologischen Wandel (um Material und Energie in Produktionsprozessen effizienter, also kostengünstiger einsetzen zu können) und Appellen, die zu Konsum- und Lebensstilwandel aufrufen, wird der "Krieg gegen den Planeten" nicht zu stoppen sein. Solange die Produktion ausgeweitet wird, zehren Skaleneffekte des Wachstums Effizienzgewinne durch ressourcensparende neue technische Verfahren oder Ersatzstoffe auf; dies wird unter dem Begriff des "Rebound-Effekt" thematisiert. Damit ist der Sachverhalt gemeint, dass Effizienzsteigerungen beim Einsatz von Material oder die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie mittelfristig zu niedrigeren Kosten und Preisen führen. Das gesparte Geld wird dann entweder für den ausgeweiteten Konsum aufgewendet oder reinvestiert. Vor allem aber spielt das Finanzkapital bei der erwünschten "ökologischen Restrukturierung" eine ganz entscheidende Rolle; es müsste die Kredite oder das Anteilskapital für den beabsichtigten Wandel zur Verfügung stellen. Doch geht dies nicht, ohne dass Druck auf das produktive Kapital erzeugt wird, Mehrwert respektive Profit zu generieren, der hoch genug ausfällt, um entweder die Zinsen zu bedienen oder Renditen für Anteilseigner zu erwirtschaften. Hinzukommt, dass das Finanzkapital kurzfristige Interessen an der Profitabilität des investierten Kapitals verfolgt und sich daher gegenüber Investitionen in Technologien, die für einen paradigmatisch radikalen Wandel der Produktionsstrukturen nötig wären, eher risikoscheu verhält. Doch ist Finanzkapital nicht nur für die ökologische Transformation der bestehenden Industrieinfrastrukturen nötig, sondern auch für den Ausbau vieler arbeitsintensiver Dienstleistungen (in den Bereichen Transport, Gesundheit, Informationstechnologie, Tourismus), die im Vollzug zwar weniger CO2-Emissionen erzeugen mögen, deren infrastruktureller Ausbau aber viel fixes Kapital benötigt.

Was der "grüne Kapitalismus" ausblendet

Hinzu kommt, dass ein Umstieg vom fossilen zu einem "grünen Kapitalismus", der sukzessive, aber in der kurzen Frist von zwei bis drei Jahrzehnten auf Grundlage erneuerbarer Energieträger funktionieren soll, nicht nur neue oder zumindest stark modifizierte Infrastrukturen, sondern auch vertragliche Fixierungen benötigt, die bereits heute in Kraft gesetzt sein müssten - auf regionaler, nationaler und globaler Ebene. Darüber hinaus haben erneuerbare Energieträger, genauso wie Energie, die aus unkonventionellen Öl- und Gasvorkommen gewonnen wird, eine gegenüber Kohle und konventionellem Öl und Gas deutlich geringere Energiedichte, was sie zumindest auf absehbare Zeit auch teuer macht. Es darf auch nicht vergessen werden, dass sowohl Wind- als auch Solarenergie einen beachtlichen materiellen Input bei ihrer Produktion aufweisen; sie benötigen spezielle, z.T. nicht substituierbare Rohstoffe, die auch für andere Verwendungszwecke nachgefragt werden. Dies treibt einerseits den Verbrauch, andererseits die Kosten der Extraktion vieler von der EU als "strategisch" ausgewiesenen Materialien in die Höhe. Ganz abgesehen davon, dass diese im geopolitischen Sinne knappen und nur energieintensiv produzierbaren Materialien sich nur sehr schwer, wenn überhaupt, wiederverwenden, recyceln und sicher entsorgen lassen.

Doch auch das Problem der Landnutzungskonkurrenz, vor allem im Hinblick auf den Flächenverbrauch, wird von den Befürwortern einer "Grünen Ökonomie" meist unterschlagen: eine Fläche lässt sich eben nicht gleichzeitig als Stellfläche für Windräder oder Solarkollektoren, Transportweg für Massenmobilität, Anbaufläche für biologische Landwirtschaft oder den Siedlungsbau nutzen. Auch die Externalisierung von Umweltfolgen und -kosten durch handelsinduzierten Emissionstransfer (durch das Outsourcing von material- und energieintensiver Produktion in Entwicklungsländer) spielt in der Vision eines "ergrünten" Kapitalismus entweder keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Vor allem aber würde eine "grüne Ökonomie" unter den Bedingungen kapitalistischer Produktions- und Herrschaftsverhältnisse die Probleme der globalen Gerechtigkeit ebenso wenig lösen, wie ihr "brauner", fossil-atomarer Vorläufer. Etwa wenn es um Fragen geht, die die Gewinnung, Verarbeitung und Entsorgung von Ressourcen betreffen oder das Problem der asymmetrischen Abhängigkeit von Industrie- und Entwicklungsländern hinsichtlich des Zugangs zu wissenschaftlichem und technischem Know-how.

In den entwickelten Industrieländern der OECD-Welt erfüllt die Vision eines "grünen Kapitalismus" indes eine wichtige ideologische Funktion: Sie verspricht, die Kluft zwischen unbegrenztem Anspruchsdenken (in der Form des Profits oder des Konsums) und physischer Endlichkeit von Ressourcen und Senken ließe sich durch technische Innovationen überbrücken. Doch dies ist eine gefährliche Illusion. Denn sie legitimiert die Verschiebung politischer Entscheidungen, die schon heute getroffen werden müssten, wenn der Kollaps von Ökosystemen abgewendet werden soll.


Birgit Mahnkopf ist Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).
mahnkopf@hwr-berlin.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2015, S. 37 - 39
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2015

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