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ENERGIE/1841: Erdgas als geopolitische Waffe - Teil 1 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 18 vom 2. Mai 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Erdgas als geopolitische Waffe
Teil I: Importabhängigkeit und US-amerikanische Seifenblase

von Bernd Müller



Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat sich innerhalb kurzer Zeit ein zweites Mal mit einem Vorschlag zur europäischen Energieversorgung zu Wort gemeldet. Mitte März hatte er die deutsche Energiepolitik kritisiert. Sie sei der Grund, weshalb die Europäische Union nicht beherzt auf den russischen Griff nach der Krim habe reagieren können. Die EU solle ihre "überzogenen" Klimaziele überdenken, forderte er, weil sie Europa noch stärker von russischen Gasimporten abhängig machen würden. Am 21. April veröffentlichte er dann in der englischen Wirtschaftszeitung Financial Times seine Vorstellungen über eine europäische Energieunion.

Ziel der Energieunion sei eine größere Unabhängigkeit von russischen Gasimporten, vor allem solle sich die Verhandlungsposition der europäischen Länder gegenüber Gazprom verbessern. Die EU-Kommission solle in Zukunft für die 28 EU-Mitgliedsstaaten die Verhandlungen für alle neuen Gasverträge übernehmen. Außerdem müsse innerhalb der EU ein Transportund Speichersystem für Erdgas geschaffen werden, um Versorgungsengpässe in Zukunft verhindern zu können. Zusätzlich dazu sollen die einheimischen Ressourcen wie Kohle und Schiefergas stärker genutzt werden. Europa sollte auch auf seine Partner außerhalb Europas schauen: Erdgas könne aus den USA und Australien importiert werden, was die Versorgungssicherheit in Europa erhöhen würde.


Kühle Reaktion

Die Bundesregierung hat bisher nur wenig Interesse an Tusks Vorschlägen gezeigt. Zwar wolle sie die Vorschläge "ernsthaft prüfen", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, doch sei allerdings auch klar, "dass alle Maßnahmen und Lösungen im Rahmen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung stattfinden müssen". Die primäre Verantwortung für die Gasversorgung liege bei der Gasbranche, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. "Unsere marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung ist auf den Wettbewerb zwischen Wirtschaftsakteuren ausgerichtet", sagte ein Ministeriumssprecher. Eine europaweite Einkaufsgemeinschaft laufe hingegen auf "ein anderes Modell" hinaus. Die EU-Kommission sei außerdem selbst dabei, Vorschläge auszuarbeiten, wie die Abhängigkeit verringert werden kann. Bis Juni sollen diese ausgearbeitet sein, hat EU-Ratspräsident Herman van Rompuy am 21. März angekündigt.

Diese eher kühle Reaktion der Bundesregierung verwundert nicht sonderlich. Tusks Vorschläge sind weder neu noch originell. Seit einige Länder Osteuropas in den Jahren 2006 und 2009 durch den Lieferstopp russischen Gases an die Ukraine stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, wird darüber diskutiert, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Versorgungssicherheit zu verbessern. Die EU-Kommission hat die Mitgliedsstaaten schon vor Jahren aufgerufen, sich sowohl neue Quellen im Ausland als auch im eigenen Land zu erschließen. Ein Verbundnetz an Gasleitungen zu schaffen, um das Erdgas von Ost nach West, von Nord nach Süd und in die umgekehrten Richtungen transportieren zu können, ist ebenso lange in der Diskussion. Doch bisher sind notwendige Investitionen an unklaren Rahmenbedingungen gescheitert, sagt Rune Bjørnson, Vizechef des norwegischen Konzerns Statoil, Europas zweitgrößtem Gasproduzenten. Zu diesen Rahmenbedingungen zählen für ihn auch klare Klimaziele für die Zeit nach 2020, die aber von der polnischen Regierung bislang verhindert werden.


Europäische Regierungen beim Klimaschutz nicht einig

Die beiden Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Oliver Geden und Severin Fischer, schreiben in einer Stellungnahme, dass der letzte EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im März keine weitreichenden Beschlüsse gebracht habe. Auf diesem wurde über die neuen Klimaschutzziele für die Jahre 2020 bis 2030 gesprochen. Geden und Fischer stellen fest, dass sich die europäischen Regierungen in der Frage des Klimaschutzes nicht einig seien. Während nord- und westeuropäische Staaten sich für einen ambitionierten Klimaschutz stark machen würden, wolle man in Osteuropa davon gar nicht mehr reden. So hatte die polnische Regierung unter Donald Tusk schon vor zwei Jahren ihr Veto gegen höhere Vorgaben im Klimaschutz eingelegt. Außerdem verweise die polnische Regierung immer wieder darauf, dass sie keine rein europäischen Verpflichtungen eingehen wolle. Nur wenn sich beim mutmaßlich entscheidenden Weltklimagipfel in Paris 2015 alle Industrieländer auf dieselben Ziele verpflichten würden, wolle die polnische Regierung auch höheren Vorgaben zustimmen. Dass es dazu kommen werde, könne schon jetzt ausgeschlossen werden, schreiben Geden und Fischer.

Erdöl und -gas decken den europäischen Energiebedarf zu etwa 60 Prozent. Der Bedarf an Erdöl muss dabei zu 86 Prozent durch Importe gedeckt werden und das Erdgas zu 66 Prozent - Tendenz steigend. Zu jeweils einem Drittel werden die Rohstoffe aus Russland bezogen. Vor dem EU-Gipfel im März hatte die EU-Kommission noch einmal darauf hingewiesen, dass Klimaschutz und die Abhängigkeit von Energieimporten zusammenhängen. Die Kommission hatte verschiedene Szenarien durchrechnen lassen, wie sich unterschiedliche Klimaschutzziele auf die Importabhängigkeit auswirken.

Sollten sich Staats- und Regierungschefs der EU auf keine neuen Ziele für die Zeit nach 2020 einigen können, müssten den Berechnungen zufolge im Jahr 2030 fünf Prozent mehr Erdgas importiert werden als im Referenzjahr 2010. Können sie sich nur darauf einigen, den Kohlendioxid-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, würden die Importe leicht sinken. Nur wenn der CO2-Ausstoß noch deutlicher gesenkt werde, die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut würden und mehr in Energieeffizienz investiert werde, könne die Importabhängigkeit beim Erdgas deutlich (28 Prozent) gesenkt werden.

Doch Polen steht mit seiner Kritik an der Klimaschutzpolitik der EU nicht allein. Auch die traditionellen Energieanbieter wehren sich gegen solche ehrgeizigen Ziele im Klimaschutz. So haben die Chefs der zwölf großen europäischen Energiekonzerne, darunter RWE und E.on dafür gekämpft, dass sich die EU nur noch dem einen Ziel der Senkung des CO2-Ausstoßes verschreibt. Sie fürchten um Marktanteile. In der europäischen Energiepolitik hätten sich folglich zwei gegensätzliche Positionen herausgebildet, schreiben Geden und Fischer weiter. Während die einen den Energieverbrauch verringern und die erneuerbaren Energien ausbauen wollen, setzen die anderen darauf, Russland durch andere Gasund Öllieferanten zu ersetzen und die Nutzung heimischer Rohstoffe voranzutreiben.


USA will zum größten Energieexporteur der Welt werden

Letztere Position wird von den USA unterstützt. Bei seinem jüngsten Europabesuch hatte US-Präsident Barack Obama die Europäer aufgefordert, ihre heimischen Ressourcen stärker zu nutzen und sich neue Energiequellen zu erschließen. So sagte auch Obamas ehemaliger Sicherheitsberater, General James L. Jones, in einem Interview: "Europas Abhängigkeit von russischem Gas und Öl könnte auf Dauer enorme geopolitische Konsequenzen haben." In den nächsten Jahren könnten die USA zum größten Energieexporteur der Welt werden und so würden "unsere europäischen Freunde und Verbündeten weniger von russischer Energie abhängen und weniger verwundbar sein für Putins Erpressungen".

Hinter diesen Worten steht der Glaube, die USA könnten dank des Fracking-Booms den weltweiten Ölund Gasmarkt gezielt beeinflussen. Energie und wie wir sie in Zukunft nutzen werden, sei genauso wichtig wie Kriegsschiffe, Divisionen oder Jagdbomber, sagte Jones weiter. Die beiden ehemaligen Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates der USA unter George W. Bush, Robert D. Blackwill und Meghan L. O'Sullivan, haben diese Ansicht erst kürzlich in der US-amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs vertieft. Sie sehen die Möglichkeit, den Ölpreis auf dem Weltmarkt um bis zu 20 Prozent zu senken, was für die OPEC-Staaten, Venezuela und Russland gravierende Folgen haben soll. Putin könne so gestürzt werden, meinen sie.

Obwohl es zweifelhaft ist, dass die USA in absehbarer Zeit mit den Lieferungen von verflüssigtem Erdgas (LNG) nach Europa beginnen werden beziehungsweise Schiefergas in Europa wirtschaftlich gefördert werden kann, werden Donald Tusk und andere Politiker nicht müde, genau das in Aussicht zu stellen. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Treffen mit dem kanadischen Premierminister Stephen Harper, es werde eine Neubetrachtung der gesamten Energiepolitik geben.

Erst Ende letzten Jahres hat die USEnergiebehörde (EIA) ihre Prognose für die Energieversorgung für 2014 und danach veröffentlicht. Sie kommt zu dem Schluss, dass bereits 2016 der Höhepunkt der Ölproduktion durch Fracking erreicht sein werde. Ab 2020 werde die Produktion von konventionellem und unkonventionellem Öl wieder sinken. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Josef Fell, rechnet in einer kürzlich veröffentlichten Studie damit, dass die Fördermengen in den USA eher zurückgehen werden. Fell geht davon aus, dass dies auch auf den Gassektor zutreffen wird. Die Zunahme der Schiefergasproduktion durch die umstrittene Fracking-Technologie werde in den nächsten Jahren den Rückgang in der konventionellen Erdgasförderung nicht kompensieren können.

Der Export von Rohöl und Erdgas ist in den USA weitgehend verboten. Die Regierung ist verpflichtet zu prüfen, ob der Export im strategischen Interesse der USA liegt. Ausgenommen von der Prüfung sind nur die Länder, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen geschlossen haben. Das schreiben der Energy Policy and Conservatation Act von 1975 und der Export Administration Act von 1979 vor. Derzeit sind es vor allem die Energiekonzerne und Politiker aus den öl- und gasreichen Bundesstaaten, die auf eine Aufhebung der Gesetze drängen. Denn das Ausfuhrverbot hat zu einem Überangebot vor allem von Gas auf dem US-Markt geführt, mit entsprechend niedrigen Preisen. Der Marktpreis für Erdgas liegt teilweise unter den Gestehungskosten.

Die US-Republikaner haben im Zuge der Krim-Krise Gesetzesentwürfe eingebracht, die den sofortigen Export von Gas ermöglichen sollen. "Freunde" und "Verbündete" sollen aber nicht speziell unterstützt werden. Stattdessen soll das Gas auf dem Weltmarkt verkauft werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es dann aber gleich von asiatischen Ländern aufgekauft, die viel höhere Preise zahlen als die Europäer. Lag der Preis in den USA bei drei US-Dollar pro einer Million British termal units, der gängigen Handelseinheit, lag der Preis in Deutschland bei elf Dollar und in Japan bei 17 Dollar. Erschwert wird der Exportdrang auch dadurch, dass eine einflussreiche Industrielobby fürchtet, dass dann die Preise in den USA wieder steigen könnten. Erschwert würde dadurch, dass die US-Wirtschaft wieder erstarke, argumentiert der Chemieriese Dow Chemical. Auch der deutsche Siemens-Chef Joe Kaeser mahnte, dass die niedrigen Energiekosten ein wichtiger Standortfaktor seien.

Erst kürzlich hat Naomi Klein im Guardian geschrieben, dass der Öffentlichkeit nicht bekannt sei, dass die für einen Export im großen Ausmaß notwendige Infrastruktur nicht vorhanden sei und erst geschaffen werden müsse. Viele Jahre würden für Zulassung und Aufbau benötigt. Ein einziges Terminal, das Erdgas verflüssigt, könne bis zu sieben Milliarden Dollar kosten und sei abhängig von einem riesigen Netz von Pipelines und Kompressorstationen. Jedes Terminal brauche ein eigenes Kraftwerk, um die notwendige Energie bereitzustellen.


Keine Strategie für eine europäische "Energieunion"

EU-Energiekommissar Günter Oettinger beschwört die EU-Mitgliedsstaaten, mehr Anlagen zu bauen, die verflüssigtes Gas (LNG) regasifizieren. Hans-Josef Fell widerspricht ihm und weist darauf hin, dass es bereits genügend Anlagen gibt. Derzeit werden in der EU 21 entsprechende Terminals betrieben. Sie wurden vor allem in Spanien, Italien und Holland gebaut. Sieben weitere sind im Bau und es gibt Planungen für weitere Anlagen im Mittelmeer- und Ostseeraum. Die bestehenden Terminals haben eine Jahreskapazität von 190 Milliarden Kubikmetern, wovon allerdings nur 46 Milliarden genutzt werden.

In Europa gebe es zwar genügend LNG-Kapazitäten, aber das weltweit freie Angebot sei mit 5 Milliarden Kubikmetern im Monat äußerst knapp, schreibt Kirsten Westphal, Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik, in einer Studie. Diese Menge sei geringer als die, welche kompensiert werden müsste, wenn die Ukraine als Transitland ausfallen sollte. Erst ab 2020 sei damit zu rechnen, dass dieser relative Lieferengpass überwunden sein dürfte.

Sollen aber mehr LNG-Terminals in Europa gebaut werden, sei eine europäische Strategie nötig, mahnt Paolo Scaroni, Chef des italienischen Öl- und Gaskonzerns ENI. Diese sei aber bisher nicht zu erkennen. Die Gasnetze der einzelnen EU-Staaten müssten miteinander so verbunden werden, dass das Gas in beide Richtungen fließen könne. Historisch gesehen habe bisher jedes Land seine eigene Gasversorgung aufgebaut und deshalb lasse sich das Gas nicht einfach über die europäischen Grenzen dorthin liefern, wo es gebraucht werde. Leitungen, die Gas aus dem Norden nach Italien bringen, würden meist nicht in der umgekehrten Richtung funktionieren.

Nur zwischen einigen wenigen Ländern ist dies bereits jetzt möglich. Durch Schubumkehr lassen sich eine Handvoll Länder Osteuropas über Deutschland, Österreich oder Italien mit Gas versorgen. So ist es bereits möglich, die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen von Deutschland aus, Ungarn, Slowenien und Rumänien von Österreich aus und Slowenien und Kroatien von Italien aus mit Erdgas zu versorgen. Das Baltikum, Bulgarien und Finnland sind EU-intern noch gar nicht in ein gemeinsames Netz integriert. Seit dem letzten Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine habe sich zwar viel getan, aber man sei noch weit entfernt von einem grenzüberschreitenden Gasmarkt innerhalb der EU, schreibt Klaus Stratmann im Handelsblatt.


Während es Europa auch in Zukunft schwer fallen wird, auf russisches Öl und Gas zu verzichten, hat Russland nun angekündigt, seinerseits die Lieferungen nach Europa zu reduzieren. Russische Großunternehmen würden jetzt die Umstellung ihrer Lieferungen in den Osten - vor allem China - vorbereiten, sagte der russische Finanzminister Anton Siluanow gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti. Ab 2020 werde Russland die Lieferungen nach Europa verringern.


Bernd Müller, Dipl.-Ing., freier Journalist

Weitere Informationen unter:
www.bernd-mueller.org

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 18 vom 2. Mai 2014, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014