Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


ENERGIE/2022: Argentinien - Ausbeutung von Vaca Muerta bleibt trotz Erdölpreisverfall eine Option (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. April 2015

Argentinien: Ausbeutung von Vaca Muerta bleibt trotz internationalem Erdölpreisverfall eine Option

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Die argentinische Lagerstätte Loma Campana
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Buenos Aires, 10. April (IPS) - Trotz des gravierenden Niedergangs der internationalen Erdölpreise hält Argentinien an der Förderung von nicht konventionellem Erdöl und Erdgas fest. Auch die Aussicht, dass die erforderlichen ausländischen Investitionen in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr in nächster Zeit ausbleiben werden, hält den staatlichen Erdölkonzern YPF nicht davon ab, die Pläne für die Ausbeutung der Schieferöllagerstätten 'Vaca Muerta' im Südwesten Argentiniens voranzutreiben.

Argentiniens Energie-Handelsdefizit ist im vergangenen Jahr auf fast sieben Milliarden Dollar angestiegen, was zum Teil mit dem Rückgang der konventionellen Erdölreserven zusammenhängt. Die Möglichkeiten, dieses Defizit abzubauen, hängen in entscheidendem Maße von der Entwicklung von Vaca Muerta ab, einem größeren Schieferöl- und Schiefergaslagerfeld im Becken von Neuquén.

"Kurzfristig wäre es sicher besser, Vaca Muerta ruhen zu lassen und fossile Brennstoffe zu importieren", meinte Víctor Bronstein, Leiter des Zentrums für energetische, politische und gesellschaftliche Studien, im Gespräch mit IPS. "Allerdings sollten wir weiter in die Entwicklung investieren, um in dem Moment, in dem die Erdölpreise wieder steigen werden, über die Kapazitäten zu verfügen, unsere eigene Energie zu produzieren."

Dieselbe Ansicht habe Staatspräsidentin Cristina Fernández geäußert, als sie den nationalen Barrelpreis auf 72 Dollar - 40 Prozent oberhalb des internationalen Erdölpreises - als Anreiz für die Ausbeutung von Vaca Muerta festgesetzt habe, fügte er hinzu. Die internationalen Erdölpreise sind in den letzten sieben Monaten von 110 Dollar pro Barrel auf unter 50 Dollar gefallen.

Wie das staatliche Erdölunternehmen 'Yacimientos Petrolíferos Fiscales' (YPF) bekannt gab, hat Vaca Muerta die argentinischen Erdöl- und Gasreserven verzehn- beziehungsweise vervierzigfacht. Dadurch sieht sich das Land nicht nur in der Lage, zum Energieselbstversorger, sondern auch zum Energieexporteur zu werden.

YPF verfügt über die Genehmigung, 12.000 der 30.000 Quadratkilometer umfassenden Lagerstätten in der Provinz Neuguén auszubeuten. Doch dafür bedarf das Unternehmen wie im Fall der Loma-Campana-Lagerstätte in Vaca Muerta kapitalstarke transnationale Partner. Dort arbeitet YPF mit dem US-Unternehmen 'Chevron' zusammen.


Voruntersuchungen

"Doch wer wäre schon bereit, angesichts der aktuellen Niedrigpreise jetzt in unkonventionelles Erdöl und Erdgas zu investieren?", fragt der Vizevorsitzende der 'Grupo Moreno', Gustavo Calleja. "Wir halten derzeit an Vaca Muerta fest und fahren damit fort, durch Probebohrungen den Umfang der Lagerstätte auszumachen. Wir wollen wissen, wie tief wir gehen können, um die Kosten und Umweltschäden niedrig zu halten."

Gefördert werden unkonventionelle Ressourcen mit Hilfe des hydraulischen Frackings. Das Verfahren ist aufgrund möglicher Spätfolgen umstritten, weil große Wassermengen, Sand und Chemikalien unter Hochdruck bis zu 2.000 Meter tief in das Gestein gepresst werden, um das darin eingeschlossene Öl und Gas freizusetzen. Es könnte die Aquifere verseuchen und Erdbeben verursachen. Fracking ist zudem eine teure Prozedur und wirft nur dann Gewinne ab, wenn Erdöl und Erdgas zu hohen Preisen gehandelt werden.

Bisher wird die Technologie vor allem in Nordamerika und in geringerem Umfang auch in Europa angewendet. Nach einer Schätzung, die im Jahr 2013 von der US-Behörde für Energieinformation verbreitet wurde, befinden sich etwa 90 Prozent der weltweiten Schiefergasvorkommen außerhalb der Vereinigten Staaten.


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

YPF-Techniker an einem Bohrturm von Loma Campana in Vaca Muerta
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

"Bei den derzeitigen Preisen können nur diejenigen Länder die Schiefergasreserven ausbeuten, die über modernste Technologien verfügen", erläuterte Calleja. Die Kosten für die Produktion von einem Barrel Schiefergas hängen von Faktoren wie der Extraktion, Exploration, der Amortisierung der Investitionen und der Zahlung von Steuern und Lizenzgebühren ab. In den USA werden die Kosten mit zwischen 40 und 70 Dollar angegeben.

Bronstein zufolge hat der Einbruch der internationalen Erdölpreise zu einem Rückgang der Fracking-Aktivitäten um mehr als 30 Prozent geführt. Der Trend wird sich seiner Meinung nach in den nächsten Monaten fortsetzen.


Hohe Produktionskosten

In Argentinien hat die Entwicklung von Schiefergas und Schieferöl gerade erst begonnen. Dies bedeutet, dass die Produktionskosten aufgrund logistischer und infrastruktureller Schwierigkeiten doppelt so hoch sind wie in den USA, so der Experte. Die Produktionskosten bei konventionellem Öl schlagen in dem südamerikanischen Land pro Barrel mit zwischen 20 und 30 Dollar zu Buche, bei Schieferöl sind es derzeit 90 Dollar. Doch Bronstein zufolge werden sie mit voranschreitender Entwicklung von Vaca Muerta sinken.

Bisher wird Schiefergas in Argentinien nicht kommerziell produziert. Die Schieferölproduktion hingegen hat einen Anteil an der Gesamtproduktion von YPF von zehn Prozent. Berücksichtigt man die Aktivitäten aller Förderfirmen im Lande, ergibt sich ein Anteil von drei bis vier Prozent.

YPF zufolge lohnt sich die Ausbeutung von Vaca Muerta nach wie vor, wenn man die graduell zunehmende Fördermenge und die höheren argentinischen Ölpreise in Betrachtung ziehen würde. Auch hofft die Industrie auf einen Preisverfall der Fracking-Inputs und - Dienstleistungen.

YPF hat bereits mit dem malaysischen Unternehmen 'Petronas' und dem US-Konzern 'Dow Chemical' Kooperationsabkommen über die Ausbeutung von Vaca Muerta unterzeichnet. Auch andere transnationale Unternehmen haben Interesse bekundet. Deshalb ist Bronstein eher optimistisch, was den Zufluss ausländischer Investitionen angeht, zumal langfristig gedacht werde. "Investoren werden sich nicht von den derzeit niedrigen Rohölpreisen abschrecken lassen. Und im Grunde sind sich alle Analysten einig, dass die Erdölpreise in den nächsten Jahren wieder stark anziehen werden."

Auch Cristian Folgar, ein ehemaliger Staatssekretär für Treibstoffe, ist der Meinung, dass jeder Schnappschuss vom heutigen Ölmarkt einen falschen Eindruck von den Möglichkeiten des Sektors vermittelt. Deshalb werde YPF auch weiterhin in die Ausbeutung von Vaca Muerta investieren. Seiner Meinung werden ausländische Unternehmen, die bereits in den argentinischen Schieferölsektor investiert haben, keinen Rückzieher machen, andere Konzerne jedoch eher abwarten, bis sich die Lage wieder stabilisiert.

Calleja befürchtet indes, dass der weltgrößte Erdölproduzent Saudi-Arabien, der Experten zufolge hinter dem globalen Preisverfall steht, um unter anderem Schiefergas vom Markt zu fegen, die Preise noch mehr nach unten drücken könnte. Angesichts einer Situation, die er als "Krieg verschiedener Interessen" bezeichnet, hält er die Zeit für gekommen, sich nach Alternativen zu den fossilen Brennstoffen umzusehen. Seiner Meinung nach bietet sich Wasser- und Atomkraft an, die einen Anteil am argentinischen Energiemix von 14 Prozent haben und "deren wirtschaftliche und ökologische Kosten nicht so hoch sind". (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/04/desplome-de-precios-petroleros-no-mata-a-vaca-muerta/
http://www.ipsnews.net/2015/04/plunging-oil-prices-wont-kill-vaca-muerta/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. April 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang