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FINANZEN/021: Welche nachhaltigen Lösungen für die Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2009

Welche nachhaltigen Lösungen für die Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es?

Von Karl Kauermann / Philipp Fink


Einige Beobachter halten ausschließlich die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 für den Auslöser der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Doch diese Betrachtungsweise übersieht, dass die eigentlichen Ursachen weiter zurück liegen. Zur Bewältigung ist nun ein neuer ordnungspolitischer Rahmen vonnöten, auch international.


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Die Finanzmarktkrise nahm ihren unheilvollen Ausgang in den USA. Dort wurden politische Ziele eindeutig über die Integrität der Märkte gestellt. Dabei hat der amerikanische Staat nicht nur bei der zielorientierten Regulierung der Kapitalmärkte versagt, sondern Aufsicht und Kontrolle wurden explizit politischen Erwägungen untergeordnet.

Die politischen Vorgaben sahen vor, dass jede amerikanische Familie in ihrem eigenen Haus wohnen sollte. Entsprechend wurden die beiden quasi-staatlichen Hypothekenagenturen, Freddie Mac und Fannie Mae, aufgefordert, ihre Vergabestandards herabzusetzen. Es entstand der Subprime-Markt und das Volumen an Hypotheken nahm drastisch zu. Allein zwischen 2005 und 2006 wurden in den USA Hypotheken in Höhe von ca. 5.000 Milliarden US-Dollar vergeben. Entsprechend stark wuchs die Immobiliennachfrage.

Die starke Wertsteigerung der Immobilien und ihr Status als halbstaatliche Institutionen ermöglichten den amerikanischen Immobilienfinanzierern bestmögliche Bonitätsbewertungen durch die Rating-Agenturen. Damit konnten beide Finanzinstitutionen ihre Anleihen auf den Kapitalmärkten leicht platzieren. Entsprechend günstig konnten die Agenturen ihre vergebenen Hypotheken verbriefen.

Mit der massiven Ausweitung der Hypothekenvergabe und ihrer Verbriefung entstand ein staatlich gestütztes Schneeballsystem, das auf der Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer und der unterstellten Wertsteigerung der Immobilien basierte. Dieses System geriet letztlich in Schieflage, als die Zinsen wegen der Inflationsgefahr erhöht wurden. Damit konnten zum einen die zinsvariablen Hypotheken von den Kreditnehmern nicht mehr bedient werden. Zum anderen stiegen die Kosten der Refinanzierung an den internationalen Finanzmärkten.

Auf allen Ebenen der staatlichen Regulierung und der Finanzindustrie fand eine folgenreiche Fehleinschätzung der Risiken der verbrieften Papiere statt. Dieses Versagen setzte einen Dominoeffekt in Gang, der unter anderem auch zur Insolvenz von Lehman Brothers führte.


Qualität der Kontrollen verbessern

Doch die Finanzaufsicht war nicht wegen fehlender Kontrolle wirkungslos, sondern wegen einer falschen. Dies ist zum Großteil auch das Ergebnis politischer Einflussnahme, die falsche Impulse gesetzt und negative Entwicklungen verstärkt hat. Das zentrale Problem liegt in der Identifikation und Steuerung von Risiken. Selbst wenn ausgefeilte quantitative Bewertungssysteme vorhanden waren, wurde die qualitative Bewertungslogik häufig vernachlässigt.

Wie das Beispiel der deutschen Allfinanzaufsicht BaFin zeigt, ist kontrolliert worden. Kein Instrument oder Produkt darf auf dem deutschen Finanzmarkt gehandelt werden, ohne dass es zuvor von der zuständigen Behörde geprüft worden wäre. Doch ähnlich wie die betroffenen Finanzinstitute haben sich die staatlichen Prüfer bei einigen komplexen Produkten auf die Bewertungsmethoden, Einstufungen und Einschätzungen der Rating-Agenturen verlassen.

Die Diskussion um eine Verschärfung der Finanzaufsicht greift zu kurz, wenn sie sich nur auf die Ausweitung der Prüfung fokussiert. Entscheidend ist eine Verbesserung der Kontrolle durch mehr Qualität. Denn je mehr Informationen über die Risiken eines Instruments bekannt sind, desto höher ist die Transparenz und schließlich das Vertrauen der Marktteilnehmer untereinander.


Die Rückkehr der Politik

Doch auch der Vertrauensverlust der Menschen in ihr Wirtschaftssystem muss bekämpft werden, um die Entstehung einer Legitimationskrise der Marktwirtschaft zu verhindern. Denn je länger die Wirtschafts- und Finanzkrise anhält, desto mehr steigt die Gefahr, dass diese Vertrauenskrise sich zu einer Krise des politischen Systems entwickelt. Nach Jahren der Deregulierung ist nun die Politik gefordert, den ordnungspolitischen Rahmen neu zu setzen, um das freie Spiel der Marktkräfte zum Nutzen der Allgemeinheit zu lenken.

Zwar sind die von der Bundesregierung verabschiedeten Konjunkturpakete und die Schaffung des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) Schritte in die richtige Richtung, doch sind kurz- und langfristig wichtige Nachbesserungen nötig:

Erstens: Kapitalversorgung wiederherstellen. Vordringlichste Aufgabe ist es nach wie vor, die Wirtschaft mit ausreichend Kapital zu versorgen. Dies setzt die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Interbankenhandels voraus. Als wichtigstes Element gilt hierbei die Wiedergewinnung des Vertrauens zwischen den Finanzmarktakteuren.

Der Kapitalhandel auf den Interbankenmärkten könnte in der Zukunft durch die Einrichtung einer Clearingstelle bei der Bundesbank gesichert werden. Eine solche Einrichtung könnte es den Banken erlauben, insbesondere kurzfristige Kredite mit kalkulierbaren Risiken über die Bundesbank zu handeln. Des Weiteren sollten die Eigenkapitalhilfen sowie die Garantien der SoFFin für die Liquiditätsinanspruchnahme der betroffenen Institute in Einzelfällen über die gesetzlich festgelegten 36 Monate hinaus ausgedehnt werden können.

Eine Bad Bank, die verseuchte Risikoaktiva ohne Mitverantwortung der ursprünglichen Eigentümer auf Kosten des Bundes herauskauft, ist abzulehnen. Doch sollten Restrukturierungseinheiten für alle betroffenen Institute mit Hilfe der SoFFin geschaffen werden. Ob jeweils als Bank oder z.B. durch Auslagerung von Assets in Zweckgesellschaften ist im Einzelfall zu entscheiden. In jedem Fall darf der Alteigentümer nicht aus der Verantwortung entlassen werden.

Zweitens: Entscheidungshorizonte erweitern und Haftung verbessern. Einer der entscheidendsten Faktoren, die zur Entstehung und weiteren Entwicklung der Spekulationsblase beigetragen haben, waren die falsch gesetzten Gehaltssysteme. Diese haben die Renditejagd und sehr kurzfristige Betrachtungs- und Entscheidungshorizonte begünstigt.

Inzwischen liegen vernünftige Vorschläge von Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier vor, wie die Managementgehälter und Haftungsfragen per Gesetz geregelt werden können. Auch die juristische Aufarbeitung der Finanzmarktkrise hat begonnen. Doch jenseits der Fragen nach Schuld und Sühne sollte eine Debatte über die grundsätzlichen Bewertungsgrundlagen von Firmen geführt werden. Wie können langfristige Perspektiven bei der Bewertung von Unternehmen stärker berücksichtigt werden? Wie kann der Markt soziales Kapital honorieren? Wie können Nachhaltigkeitsaspekte in die Gewinn- und Verlustrechnung integriert werden?

Drittens: Neuregulierung und Restrukturierung des Kapitalmarkts. Richtigerweise werden die Ausweitung der Eigenkapitalquoten und Leverage-Ratios gefordert. Auch muss gegen Steueroasen vorgegangen werden und bestimmte Akteure wie Hedgefonds gilt es, verstärkt zu überwachen. Doch die Aufsicht muss nicht nur finanziell und rechtlich sondern auch qualitativ in die Lage versetzt werden, eine dynamische und vor allem unabhängige Kontrolle vornehmen zu können.

Die ersten Analysen der Finanz- und Wirtschaftskrise für den deutschen Bankensektor zeigen einen dringenden Handlungsbedarf bei den Landesbanken. Angesichts des immensen finanziellen Schadens ist eine umfassende Reform des öffentlichen Bankensektors auf Landesbankebene dringend erforderlich. Dabei sind Zusammenlegungen von Instituten dringend.

Viertens: Internationale Koordination und Kooperation. Zwar versuchen die Industriestaaten mit umfangreichen konjunkturellen Stützungsmaßnahmen ihren Wirtschaften zu helfen. Doch geschieht dies in der Regel ohne internationale Koordinierung. Die Wirkung der Konjunkturpakete der einzelnen Staaten droht somit zu verpuffen. Im Fall der EU kommt man schnell zu der traurigen Feststellung, dass die europäische Idee bei der Krisenbewältigung bisher von nationalstaatlichen Interessen überdeckt wurde. Ebenso wird nur ein gemeinsames Vorgehen im Rahmen des laufenden G20-Prozesses bei der Verbesserung der Finanzmarktregulierung Erfolg versprechend sein. Denn internationale Probleme erfordern eine internationale Antwort.


Kein Missmanagement finanzieren

Die beschlossenen Konjunkturpakete der Bundesregierung versuchen den Doppelschock auf die deutsche Wirtschaft in Form von Liquiditätsengpässen und dem Nachfragerückgang auszugleichen. Zwar ist der Druck auf die Politik sehr groß, die in Not geratenen Unternehmen zu unterstützen. Doch muss die Antwort vorsichtig formuliert werden, da die einsetzende Rezession strukturelle Probleme einzelner Firmen offenlegen wird, die mit der Finanzkrise nichts zu tun haben. Die Hilfen dürfen nicht den Marktaustritt von Unternehmen verzögern, die wegen einer falschen Geschäftspolitik bzw. durch den Strukturwandel nicht auf dem Markt weiter hätten bestehen können.

Denn die Wirtschaft durchlebt immer wieder Phasen der Innovation und der Stagnation. Das ist ein notwendiger evolutionärer Mechanismus, der regulativ in das Wirtschaftsgeschehen eingreift. Es gehört zu dem Erfolg der Marktwirtschaft, dass Systeme, Institutionen und Organisationen ersetzt werden, wenn sie nicht mehr funktionieren. Andere Anbieter, die bessere Dienstleistungen und Produkte anbieten können, nehmen ihren Platz ein. Der Staat darf nicht zum Dauerfinanzierer von Missmanagement werden und dabei glauben, die Marktfunktionen besser ausführen oder gar völlig ersetzen zu können.


Soziale Demokratie stärken

Die Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt, dass die Politik das Zepter wieder in die Hand nehmen muss. Doch dürfen die geplanten Milliardenausgaben nicht auf die bloße Wiederherstellung des Status Quo zielen. Damit würde die Chance vertan, langfristig die soziale und ökologische Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft voranzubringen. Denn trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise bleiben die Probleme der Ressourcenverknappung und des menschheitsgefährdenden Klimawandels bestehen.

Deshalb müssen die Lösungsansätze für die Bewältigung der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise auf eine Stärkung der Sozialen Demokratie abzielen. Dieses gesellschaftspolitische Konzept bietet die Möglichkeit, die künftigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen anzunehmen und in Zukunftschancen für jedermann umzuwandeln. Gerade die Sozialdemokratie kann sich in diesen turbulenten Zeiten als besonders glaubwürdiger Krisenmanager anbieten. Denn sie verfügt über die richtigen Rezepte und die Führungskräfte, um überzeugende Lösungen auf nationaler und internationaler Ebene zu formulieren.


Karl Kauermann (* 1946) war bis Anfang 2006 Vorstandvorsitzender der Berliner Volksbank und ist Sprecher des Managerkreises der FES.

Philipp Fink (* 1974) ist Referent für Industrie- und Energiepolitik in der Stabsabteilung der FES.


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2009, S. 48-51
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009