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GEWERKSCHAFT/1506: Faire Globalisierung braucht starke Gewerkschaften und Tarifverträge (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Jobs, Jobs, Jobs
Gute Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Zukunft?

Faire Globalisierung braucht starke Gewerkschaften und Tarifverträge
ArbeitnehmerInnenrechte weltweit stärken

von Stefan Körzell


Neue Technologien, aber auch die fortschreitende Globalisierung führen zu einem Strukturwandel, der die Gewerkschaften weltweit vor Herausforderungen stellt. Zusätzlich hat die neoliberale Deregulierungspolitik auf Arbeits-, Finanz-, Güter- und Dienstleistungsmärkten in den letzten Jahrzehnten erkämpfte Rechte der Beschäftigten in Frage gestellt und unter Druck gesetzt. Die aktuelle Debatte um die Neuordnung der globalen Handelspolitik und die Auswirkungen der Globalisierung bietet die Chance, das derzeitige Ungleichgewicht zwischen Beschäftigten und transnationalen Konzernen auch entlang globaler Wertschöpfungsketten auszugleichen und die Zusammenarbeit der internationalen Gewerkschaftsbewegung zu unterstützen.


Mittlerweile werden die negativen Effekte dieser Entwicklungen auch im politischen Mainstream zunehmend erkannt. So mussten sogar die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank in einem gemeinsamen Papier kürzlich eingestehen, dass die Art und Weise, wie die Globalisierung in den letzten Jahren gestaltet wurde, viele VerliererInnen produziert hat. Der IWF und die nicht gerade gewerkschaftlich orientierte Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisieren die gewachsene Ungleichheit und stellen in jeweils eigenen Untersuchungen fest, dass diese gerade in jenen Ländern besonders hoch ist, wo Gewerkschaften und Tarifbindung schwach sind. Doch die richtigen politischen Konsequenzen werden aus all diesen Erkenntnissen noch nicht gezogen.


"Strukturelle Reformen" - die falsche Antwort auf wachsende Ungleichheit

Im Gegenteil: Nach wie vor empfehlen diese und andere Organisationen "strukturelle Reformen", die Gewerkschaften und Tarifsysteme unter Druck setzen. Besonders anschaulich wurde das zuletzt in Europa, wo die Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission den Krisen-Ländern wie Griechenland, Portugal oder Spanien tiefe Einschnitte in ihre Lohnverhandlungssysteme aufzwang. Beispielsweise wurden betriebliche Vereinbarungen gegenüber Flächentarifverträgen gesetzlich gestärkt, Tarifverhandlungen mit tendenziell arbeitgeberInnennahen Gruppen anstelle von Gewerkschaften zugelassen, das Mittel der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vielerorts eingeschränkt. Die Folge: Während z. B. in Portugal im Jahr 2009 noch für 1,9 Millionen Beschäftigte ein Flächentarifvertrag galt, waren es im Jahr 2012 nur noch 300.000 Beschäftigte. In Spanien verloren zwischen 2008 und 2013 fast 7,5 Millionen Menschen den Schutz durch Flächentarifverträge. Anstelle eines umfassenden Ausbaus von Flächentarifverträgen mit branchenweiter bzw. regionaler Gültigkeit geht der Trend nach wie vor in Richtung tarifvertraglicher Regelungen auf Betriebsebene, die deutlich weniger Beschäftigte abdecken, wie die Bestrebungen in Frankreich derzeit deutlich werden lassen.

Im Namen der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit begannen Institutionen der Europäischen Union (EU) und nationale Regierungen darüber hinaus, entweder direkt in die Lohnentwicklung einzugreifen oder sie schufen neue Institutionen, die die Löhne in Europa dauerhaft in einem niedrigen, politisch vorgegebenen Rahmen halten sollten (z. B. Euro-Plus-Pakt). Diese Schwächung der Tarifautonomie bedeutet ebenfalls eine Schwächung der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften.

Auch in Deutschland ist die Tarifbindung aufgrund veränderter Rahmenbedingungen unter Druck geraten. Unter einen Tarifvertrag fielen in Deutschland im Jahr 2015 insgesamt nur noch 45 Prozent der Beschäftigten. Vor allem in kleineren Unternehmen bis 50 Beschäftigten ist der Grad der Tarifbindung schlecht.

Diese Entwicklungen müssen umgekehrt werden, denn eines ist klar: Eine erfolgreiche Globalisierung, eine wirtschaftliche und soziale Stabilisierung kann es nur mit starken Gewerkschaften und einer flächendeckenden Tarif- und Lohnpolitik geben, die auch unter geänderten Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen gute Löhne und Arbeitsbedingungen schafft.


Was die Gewerkschaften selbst tun

Die Gewerkschaften selbst reagieren durchaus auf die stattfindenden Veränderungen, die Globalisierung und neoliberale Reformen mit sich gebracht haben:

In Deutschland kommen beispielsweise zunehmend innovative, kampagnenorientierte Strategien zur Anwendung (Organizing-Strategien), um auch KollegInnen in neuen Branchen zu erreichen. Auch Beschäftigte in irregulären Beschäftigungsverhältnissen - in Leiharbeit oder Werkverträgen etwa - werden zunehmend in den Blick genommen. Um dem großen Problem der Tarifflucht der ArbeitgeberInnen zu begegnen, werden auch tariflose Unternehmen in Arbeitskämpfe einbezogen. Eine weitere gewerkschaftsseitige Möglichkeit zur Stärkung der Tarifbindung wäre zum Beispiel ein stärkerer Aufbau von Betriebsratsstrukturen in kleinen Unternehmen, um dort auch als Gewerkschaften noch besser verankert zu werden.

Weil die zunehmende internationale Zerfaserung der Produktionsstrukturen, durch die Verlagerung von Produktionsstandorten oder einzelnen Betriebsstrukturen ins Ausland, die Organisierung der Beschäftigten erschwert, kooperieren die Gewerkschaften auch auf globaler Ebene, um die Position der Beschäftigten entlang globaler Wertschöpfungs- und Lieferketten vor allem gegenüber transnationalen Unternehmen zu stärken. Beispielsweise gibt es Ansätze, auf internationaler Ebene innerhalb von Konzernstrukturen die Rechte von ArbeitnehmerInnen zu verankern und Instrumente der Sozialpartnerschaft zu stärken. Internationale Rahmenverträge zwischen transnationalen Unternehmen und globalen Gewerkschaftsdachverbänden helfen, über Grenzen hinweg Beschäftigten derselben Konzerne dieselben Rechte zu garantieren. Auch sektorweite Vereinbarungen tragen dazu bei, dass entlang globaler Wertschöpfungsketten sozial- und arbeitnehmerrechtliche Mindeststandards wie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verankert werden (z. B. im Energie- oder Schifffahrtssektor).


Was die Politik tun muss

Allerdings ist auch der Gesetzgeber gefragt, um Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre zu begegnen und Gewerkschaften und Tarifvertragssysteme europa- und weltweit zu stärken.

Eine Kernforderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Stärkung der Tarifbindung in Deutschland ist, die AVE von Tarifverträgen weiter zu erleichtern und auszuweiten. Mit diesem Instrument kann die Regierung einen Flächentarifvertrag auf Antrag der Tarifvertragsparteien und unter bestimmten Bedingungen auf alle Unternehmen ausweiten. In Deutschland ist das aber eine große Ausnahme. Außerdem ist die Anwendung des Instruments seltener geworden: Die Zahl der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge hat sich seit den 1990er Jahren fast halbiert.

Um diesen Trend umzukehren, hat die deutsche Gesetzgebung bereits erste Maßnahmen ergriffen, die aber in der Realität bislang wenige Auswirkungen gehabt haben. Es braucht hier eine Nachjustierung, insbesondere eine Einschränkung der Blockademöglichkeiten durch die ArbeitgeberInnenverbände.

Begleitet werden müssen diese Schritte durch eine effektive Re-Regulierung des Arbeitsmarktes. Die Gewerkschaften haben mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und tariflicher Regelungen zur Gleichstellung von Leiharbeitskräften bereits auf erste Schritte in die richtige Richtung gedrängt. Die Zurückdrängung von Formen irregulärer und prekärer Beschäftigung bleibt aber weiter eine wichtige Aufgabe in Deutschland, Europa und weltweit, um gute Arbeit zu fördern und Lohnverhandlungssysteme zu stabilisieren.

Auch auf internationaler Ebene muss eine Stärkung von Gewerkschaften und ihren Rechten auf die politische Agenda. Dazu kann die Einhaltung von grundlegenden Gewerkschafts- und ArbeitnehmerInnenrechten beispielsweise verbindlich und sanktionsbewehrt in internationalen Handelsverträgen verankert werden. Auch die Leitsätze für multinationale Unternehmen der OECD und die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) bieten wichtige Anknüpfungspunkte, auch wenn sie bislang auf Grund ihrer Freiwilligkeit noch weitgehend zahnlos bleiben. Der derzeitige UN-Prozess zur Erarbeitung eines verbindlichen Vertrags, der die menschenrechtlichen Pflichten von Konzernen definieren soll, bietet gute Chancen zur weltweiten Stärkung der Rechte von Beschäftigten.

Die aktuelle Debatte um die Neuordnung der europäischen und globalen Handelspolitik und die Auswirkungen der Globalisierung bietet die Chance, das derzeitige Ungleichgewicht zwischen Beschäftigten und transnationalen Konzernen auszugleichen und die Zusammenarbeit der internationalen Gewerkschaftsbewegung zu unterstützen. Denn menschenwürdige Arbeit, grundlegende Prinzipien und Rechte der ArbeitnehmerInnen müssen auch entlang globaler Wertschöpfungs- und Lieferketten verankert werden. Nur so kann verhindert werden, dass durch Auslagerungsstrategien im Namen der Wettbewerbsfähigkeit Sozialdumping im globalen Maßstab betrieben wird.


Der Autor ist Mitglied im geschäftsführenden DGBBundesvorstand, zuständig für Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik sowie für Struktur-, Industrie-, Dienstleistungs- und Handwerkspolitik.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 16-17
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2017

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