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INTERNATIONAL/142: Brasilien - Industriewachstum verlangsamt, doch bisher niedrigste Arbeitslosenrate (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. März 2013

Brasilien: Industriewachstum stark verlangsamt - Doch bisher niedrigste Arbeitslosenrate

von Mario Osava



Rio de Janeiro, 8. März (IPS) - Die Industrie ist die Achillesferse der brasilianischen Wirtschaft. Trotz Anreizen der Regierung hat die Produktion um 2,7 Prozent abgenommen. Dabei zeigt der Einzelhandel ein starkes Wachstum und die Arbeitslosenrate ist auf den niedrigsten Stand in der Geschichte des Landes gesunken.

Die rätselhafte Stagnation der Volkswirtschaft, die dennoch in manchen Bereichen so schnell wächst, dass das Land überfordert ist und von Arbeitskräftemangel und einer steigenden Inflation begleitet wird, ist Gegenstand mehrerer neuer Publikationen.

Als Gründe für die Entwicklung geben Ökonomen die rückläufige Zahl junger Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, und überschüssige Lagerbestände an. Die Regierung von Staatspräsidentin Dilma Rousseff ist vor allem über die Verlangsamung der Aktivitäten der Fertigungsindustrie besorgt und sieht dadurch die Zukunft des Landes gefährdet. Die bereits vor Jahren von Experten erkannte Deindustrialisierung ist inzwischen nicht mehr zu leugnen.

Trotz aller positiven Vorhersagen lassen die niedrigen Investitionen, die sich in dem Rückgang der Produktion von Kapitalgütern 2012 um 11,8 Prozent und in dem Anstieg der Inflation spiegelt, nicht auf eine rasche Erholung hoffen. Die Zentralbank muss möglicherweise Maßnahmen ergreifen, um die Nachfrage zu bremsen.

Die Wirtschaftsdaten zum Jahresende seien eine "kalte Dusche" gewesen, hätten Hoffnungen auf einen Wiederbeginn des Wachstums zerstört und gezeigt, dass "die Krise tiefer geht", sagte Julio de Almeida, ein Berater des Instituts für Studien zur Industrieentwicklung (IEDI). Es handele sich nicht um ein zufälliges Phänomen, das auf die schwierige Lage der Weltwirtschaft zurückzuführen sei.


Hinter globale Entwicklung zurückgefallen

Anders als China, Südkorea und Indien habe Brasilien in den vergangenen 20 Jahren "mit der Entwicklung der globalen Wirtschaft nicht Schritt gehalten", erklärte er. Besonders dynamische Bereiche wie die Elektronik und die Pharmaindustrie seien mit ihren technischen Innovationen nicht weit genug gekommen. In den vergangenen 15 Jahren hätten die Industrie und gewisse 'organisierte Dienstleistungen' unter einer Kostenakkumulierung gelitten, die mit der Logistik, den Finanzen und der Energie zusammenhing. Die Wettbewerbsfähigkeit sei dadurch beeinträchtigt worden.

Zudem sind die Gehälter in den letzten fünf Jahren viel rascher gestiegen als die Produktivität. Allein 2012 erhöhten sie sich laut IEDI im Durchschnitt um 5,8 Prozent, während die Produktivität um 0,8 Prozent sank.

Für Länder, die weniger stark im Wettbewerb stünden, sei es möglich zu überleben, wenn die Weltwirtschaft gut wachse, sagte Almeida. Durch die 2008 in den USA ausgebrochene globale Finanzkrise, die dann auf Europa übergegriffen habe, hätten sich aber Probleme gezeigt. Der Markt für Industrieprodukte habe sich weltweit verschlechtert. Auf dem brasilianischen Markt sei starke Konkurrenz entstanden.

Dennoch glaubt Almeida, dass sich die Lage in diesem Jahr leicht erholen könnte, da die Regierung Maßnahmen zur Senkung der Stromkosten ergriffen habe. Zudem seien die Steuern in einigen Industriebereichen und die Zinsen gesenkt sowie die Wechselkursraten stabilisiert worden, sagte er. Überdies seien hohe Investitionen in die Transportinfrastruktur angekündigt worden.

Nach Ansicht des Experten wird es aber notwendig sein, die Produktivität durch massive Investitionen in technologische Innovationen anzutreiben. Die Grundlagen der Industrie in Brasilien seien veraltet. Eine dominierende Stellung hat vor allem die Fahrzeug- und Maschinenindustrie. Der Sektor, dessen Bandbreite von der Produktion von Autoersatzteilen bis zu landwirtschaftlichen Maschinen reicht, machte 2011 etwa 21 Prozent der Industrieproduktion aus, wie die nationale Vereinigung der Fahrzeughersteller ANFAVEA mitteilte.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich dieser Anteil verdoppelt, während die Fertigungsindustrie immer weniger zum Bruttoinlandsprodukt beitrug und 2011 nur noch 14,6 Prozent ausmachte. Die Automobilherstellung gewinnt indes immer weiter an Bedeutung. Die Regierung reagierte im Dezember 2008 auf die Finanzkrise mit einer Senkung der Steuern auf Fahrzeuge, nachdem die Verkäufe über drei Monate deutlich zurückgegangen waren. Diese Strategie war zuvor bereits in anderen Krisen angewendet worden.


Schiffbauindustrie im Fokus

Auch Erdöl und Stahl sind wichtig bei den Bemühungen Brasiliens, die Deindustrialisierung umzukehren. Die Hoffnungen richten sich außerdem auf die Schiffbauindustrie, zumal nahe Brasilien neue Ölvorkommen auf dem Meeresgrund des Atlantiks entdeckt worden sind.

Nach Ansicht des Wirtschaftsexperten Edmar Bacha, Autor des im Februar veröffentlichten Buches 'O Futuro da Indústria no Brasil' (Die Zukunft der Industrie in Brasilien), "geht es der Industrie schlecht und Brasilien sehr gut", da die Arbeitslosigkeit niedrig und die Einkommen hoch seien. Seiner Meinung nach hat Brasilien seine Wettbewerbsfähigkeit vor allem wegen des Anstiegs der Löhne und Gehälter eingebüßt.

Nach Angaben der an dem Buch beteiligten Autoren Beny Parnes und Gabriel Hartung erhöhte sich das Durchschnittseinkommen in dem Land zwischen 2006 und 2011 um 14,4 Prozent. Damit liegt Brasilien weltweit an der Spitze, gefolgt von Australien mit einem Lohnwachstum von neun Prozent. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.iedi.org.br/
http://www.ipsnews.net/2013/03/wheels-of-industry-slowing-in-brazil/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102432

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2013