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INTERNATIONAL/248: Bali-Einigung die Zweite (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen

Bali-Einigung die Zweite
Verzögert sich das endgültige Scheitern der Doha-Runde ein weiteres Mal?

Von Tobias Reichert


Die WTO-Mitglieder beschließen zum zweiten Mal das Bali-Paket. "Scheinbar hat uns Bali so gut gefallen, dass wir es noch mal machen wollten." Die Eröffnungsrede von Generaldirektor Roberto Azevedo zur außerordentlichen Sitzung des Allgemeinen Rats der WTO macht deutlich, wie sich die dort gefassten Beschlüsse von denen der Ministerkonferenz im Jahr zuvor unterscheiden. Sprich: Fast gar nicht.


Nötig geworden war der erneute Beschluss, da die im Frühjahr ins Amt gekommene neue indische Regierung ein Ungleichgewicht in der Umsetzung des Bali-Pakets erkannt hatte.(1) Während das neue Abkommen über administrative Handelserleichterungen (Trade Facilitation Agreement, TFA) schon im Juli 2014 unterzeichnet werden sollte, war für die Reform der Regeln für Ernährungssicherheitsprogramme eine Frist bis 2017 vorgesehen. Indien hatte gefordert, dass beide Prozesse parallel verlaufen und abgeschlossen werden sollten, da es schnell Rechtssicherheit für seine eigenen Programme erreichen will. Als im Sommer noch keine konkreten Verhandlungen zur Ernährungssicherheit stattgefunden hatten, weigerte sich Indien das TFA-Abkommen zu unterzeichnen. Die USA hatten dagegen jede Nachverhandlung und Anpassung des Bali-Pakets abgelehnt.

Keine neuen Ergebnisse

Ergebnis des monatelangen Streits zwischen Indien und den USA ist nun ein Beschluss, der die Vereinbarung von Bali inhaltlich wiederholt. An einer Stelle kommen die USA und andere WTO-Mitglieder Indien entgegen: Die Regeln für Ernährungssicherheitsprogramme sollen nun schon bis Ende nächsten Jahres anstatt bis 2017 geändert werden. Ob dies allerdings dazu führen wird, dass tatsächlich schneller eine Einigung erreicht wird, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin zählt die WTO zu den weltweit führenden Organisationen beim Überschreiten von Fristen. Immerhin bekräftigt der neue Beschluss auch die Entscheidung von Bali, dass keine WTO-Streitfälle gegen bestehende Ernährungsprogramme geführt werden sollen, bis die Regeländerung - wann auch immer - vereinbart ist.

Der Kompromiss erlaubt es Indien und den USA das Gesicht zu wahren, und macht den Weg dafür frei, TFA in Kraft zu setzen. Der Beschluss dazu musste dann noch einmal um einen Tag verschoben werden, da nach der Einigung der Hauptkontrahenten auch andere Länder darauf bestanden, dass der Allgemeine Rat noch einmal die Bedeutung ihrer Lieblingsthemen aus dem Bali-Paket betonte. Bei den entsprechenden Beschlüssen - beispielweise zu verbessertem Marktzugang für die am wenigsten entwickelten Länder und Zurückhaltung beim Einsatz von Exportsubventionen - handelt es sich zwar nur um rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen, aber sie wurden noch einmal bekräftigt. Eine neue Frist wurde auch für den weiteren Fahrplan zum Abschluss der Doha-Runde insgesamt gesetzt, bei der sehr viel kontroversere Fragen zu lösen wären als im Bali-Paket. So ein Fahrplan soll nun nicht bis Dezember 2014 sondern bis Juli 2015 vereinbart werden. Auch hier ist weiter mehr als unklar, ob bis zu dieser Frist wirklich eine Einigung erzielt werden kann.

Indien bleibt standhaft

In der jüngsten Krise der an Frustrationen und Zusammenbrüchen reichen Geschichte der Doha-Runde hat die neue indische Regierung sowohl gegenüber den anderen WTO-Mitgliedern als auch der indischen Öffentlichkeit und Interessengruppen deutlich gemacht, dass sie trotz insgesamt wirtschaftsliberaler Ausrichtung bereit ist, auch im Freihandelskontext hart zu verhandeln und dabei einiges an diplomatischem Porzellan zu zerschlagen. Die Möglichkeit das TFA als Druckmittel dafür zu nutzen veränderte Regeln für Ernährungssicherheit in ihrem Sinne durchzusetzen, hat die indische Regierung mit der Unterzeichnung weitgehend aus der Hand gegeben. Das Abkommen wird allerdings erst in Kraft treten, wenn es von zwei Dritteln der WTO-Mitglieder ratifiziert wurde. Die Ratifizierung dauert in der Regel mehrere Jahre. Werden in dieser Zeit keine Fortschritte bei den Verhandlungen über die Regeln für Ernährungssicherheit erzielt, könnten Indien und seine Verbündeten versuchen, ein ausreichend breites Bündnis zu schmieden, das das TFA erst dann ratifiziert, wenn die Ernährungssicherheitsfrage geklärt ist. Angesichts der großen Zahl an Ländern, die daran grundsätzlich Interesse haben, wäre dies nicht unrealistisch.

Die Industriestaaten könnten eine erneute Krise auf diesem Gebiet relativ einfach vermeiden, indem sie einer Regelanpassung zustimmen, die effektive und zielgerichtete Ernährungssicherheitsprogramme in der WTO unbegrenzt zulässt. Das setzt aber voraus, dass sie den Entwicklungsanspruch der Doha-Runde ernster nehmen als bisher. Auch für die nächsten Schritte, die noch weitaus umstritteneren Themen der Doha-Runde voranzubringen, ist dies unabdingbar. So lange jedoch die Industriestaaten bei ihrer bisherigen Haltung bleiben, ist dem Handelskorrespondenten der Financial Times zuzustimmen: Der letzte "Durchbruch" zeige nur, wie unendlich schwierig es in der WTO ist, sich auf die einfachsten Dinge zu einigen.


Autor Tobias Reichert ist Teamleiter für Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch.


Anmerkung

1. Siehe hierzu Marí, Reichert: WTO meldet sich zaghaft zurück: "Historischer" Einschnitt in der Handelspolitik knapp verhindert, Rundbrief 04/2013, S. 26f.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2015

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